piwik no script img

Wissenschaftler rüffeln RegierungForscher warnen vor langer Krise

Alternative Wirtschaftswissenschaftler fordern mehr staatlichen Gestaltungswillen.

Experten wollen den Finanzsektor wieder zur Dienstleistungsbranche umgestalten. Bild: dpa

BERLIN taz Die Bundesregierung hat die Dimension der Krise nicht verstanden. Das ist die Botschaft des "Memorandums 2009", das die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik am Mittwoch vorstellte.

"Wer glaubt, dass die Krise in ein, zwei Jahren vorbei ist, hat von Ökonomie nicht viel Ahnung", sagte Heinz-Josef Bontrup, Professor für Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Er forderte einen "sozialen und ökologischen Umbau des Systems".

Neu an der derzeitigen Situation sei "das zeitgleiche Auftreten von tiefer Rezession, finanzieller Kernschmelze, fortschreitender Umweltzerstörung und sozialer Polarisierung", heißt es im Memorandum. Dafür gebe es nur eine Lösung: mehr Staat. Dazu gehöre jedoch "deutlich mehr Gestaltungswillen", als die Bundesregierung mit ihrer reaktiven Politik zeige.

Konkret will die Arbeitsgruppe den Finanzsektor wieder zu einer Dienstleistungsbranche umgestalten. Die Politik begründe ihre Milliardenhilfen für die Banken schließlich damit, dass "ein funktionierendes Finanzsystem ein öffentliches Gut ist", sagte die Bremer Finanzprofessorin Mechthild Schrooten. Garantiert werden könne dieses Gut aber nur, wenn der Staat die Banken übernehme und deren Geschäftspolitik kontrolliere. "Haftung und Entscheidungsgewalt gehören in eine Hand", sagte Schrooten.

Für den Umbau der Wirtschaft fordert die Arbeitsgruppe in den kommenden fünf Jahren jährlich 110 Milliarden Euro. 75 Milliarden davon sollen in Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser und auch entsprechende Personalausgaben investiert werden, 18 Milliarden in öffentlich geförderte Beschäftigung. Mit den restlichen 17 Milliarden könnte das Arbeitslosengeld II angehoben und so der private Konsum angekurbelt werden.

Das Geld soll kurzfristig über Neuverschuldung aufgebracht werden, bevor das Steuersystem mittelfristig so umgebaut werden kann, dass Vermögende und Unternehmen wieder einen höheren Anteil übernehmen müssen. Die von der Bundesregierung geplante Schuldenbremse sei völlig falsch - und "borniert", sagte Bontrup. Schließlich bedeute sie nicht anderes, als künftige Fiskalpolitik zu verbieten. Das Argument, dass Schulden künftige Generationen belasteten, lässt er nicht gelten. Zum einen hätten auch diese mehr davon, eine funktionierende Infrastruktur zu erben als eine ausgedünnte oder verrottete. Zum anderen gingen neben den Schulden schließlich auch die Forderungen auf sie über.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!