: Wissenschaft und Technik: Untreue Vögel
Bis daß der Tod sie scheide, glaubten Ornithologen bisher, seien Vögel einander treu. Säugetiere, ja, die leben polygam; 90 Prozent aller Vogelarten indes finden sich zu bleibenden Paaren, bei denen beide Partner brav ihr Teil zur Aufzucht der Brut beitragen. Klarer Fall von Denkste - oder von Projektion: Nach den letzten Erkenntnissen stürzt sich auch das anscheinend so monogame Federvieh regelmäßig in jenes Abenteuer, das die wissenschaftliche Literatur vornehm als „Außer-Paar-Kopulation“ bezeichnet. Aber nicht etwa aus Spaß an der Freud‘, oder weil die Piepmätze Beziehungskistenprobleme wälzten. Timothy Birkhead, Vogelkundler an der britischen Universität Sheffield, hat den Arterhaltungstrieb als Motiv für die Seitensprünge ausgemacht. Er hat eine Sippe von Zebrafinken beobachtet, die Farbtönung des Gefieders diente ihm zur Bestimmung der Vaterschaft, und herausgefunden, daß ein Küken auf 14 Nachkommen einem außerehelichen Stelldichein zuzuschreiben ist. Birkhead folgert, die natürliche Selektion bevorzuge Männchen, die häufig fremdgehen, weil diese mehr Nachkommen insgesamt zeugen und erst noch ihre Stärke und ihr selbstbewußtes Auftreten genetisch weiter streuen. Eben diesen Vorteil müssen Vögel sich außerdem mit dauerhafter Partnerschaft erkaufen: Zwei Eltern können nun mal doppelt soviele Sprößlinge füttern und durchbringen wie einer allein. Die beste Strategie, um die eigenen Gene weiterzuvererben, lautet also für einen Vogelmann: Soviele Weibchen wie nur möglich zu befruchten und die Aufzucht dann diesen Weibchen und ihren jeweiligen Gatten zu überlassen. Ein „erfolgreiches“ männliches Tier muß natürlich auch Strategien entwickeln, um eine möglichst hohe „Trefferquote“ zu erzielen. Birkheads Beobachtungen ergaben, daß, wenn eine seiner Finkinnen Eier legte, diese wohl vom letzten Männchen befruchtet worden sein mußten, das mit ihr kopuliert hatte. Männchen beluchsten Paare, die Anstalten zum Koitus trafen. Im richtigen Augenblick warfen sie sich dazwischen, versetzten dem Gatten einen Stüber und machten sich über das Weibchen her. Wenn der Störer es richtig anstellte, konnte dieses sich auch nicht wehren, weil es bereits den Zustand der Kopulations-Bereitschaft erreicht hatte. Mit mehr Freiwilligkeit als die Finkinnen lassen sich die Weibchen anderer Vogelarten auf Seitensprünge ein. Bei einer Schwalbenart, die als monogam gilt, springen sie auf besonders lange Schwänze besonders gut an. Der schwedische Biologe Anders Moller konnte ihr Interesse steuern, indem er männlichen Tieren die Schwanzfedern kappte oder ihnen zusätzliche anklebte. Für eine polygame Spezies bedeutet solche männliche Zierde offensichtlich einen klaren evolutionären Vorteil. Was aber nützt der Prunk einem treuen Ehemann? Moller glaubt, die Entwicklung überdimensionierter Schwalbenschwänze ziele darauf ab, Weibchen zu Außer-Paar -Kopulationen zu verführen. Bei den Arten, die dazu neigen und das sind allem Anschein nach doch die meisten -, muß das Männchen sich etwas einfallen lassen, um auch einige von ihm selbst gezeugte Nachkommen im eigenen Nest aufzuziehen. Die meistverbreitete Taktik läßt sich auf das Motto „so oft als möglich“ verknappen. Es gibt Vogelarten, die „es“ über hundertmal tun für ein einziges Gelege. Hühnerhabichte koitieren 400 bis 600mal für drei Eier. Als Alternative bleibt nur die dauernde, mißtrauische Überwachung des Weibchens.
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