Wirtschaftsskandal in Indien: Manipulationen der IT-Branche
In Indien stürzt ein milliardenschwerer Bilanzfälschungsskandal die Vorzeigebranche der IT-Dienstleister in die Krise. Börsenaufsicht und Buchprüfer wollen nichts gewusst haben.
BERLIN taz Indien durchlebt zur Zeit einen der größten Wirtschaftsskandale seiner Geschichte. Im Mittelpunkt steht dabei der Datendienstleister Satyam Computer Services, die Nummer vier der Vorzeigebranche des indischen Aufstiegs der letzten Jahre. Im Rahmen des Outsourcing verwaltete und bearbeitete Satyam bisher Daten von 185 der Top-500-Weltkonzerne, darunter General Electric, General Motors, Sony, Nestlé und Nissan.
Am 7. Januar offenbarte Satyams Gründer und Chef Ramalinga Raju in einem Brief an den Aufsichtsrat und die Börsenaufsicht, dass er die letzten Jahre die Umsatz- und Gewinnzahlen seines Konzerns massiv gefälscht hatte. Auch betrage dessen Barvermögen rund eine Milliarde US-Dollar weniger als angegeben. Pikanterweise hatte die Buchprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) die Bilanzen des Konzerns aus Hyderabad mit bis dato angeblich 53.000 Mitarbeitern anstandslos abgenickt. Auch den Börsenwächtern in Bombay und New York, wo Satyam gelistet ist, war nichts aufgefallen.
Der 54-jährige Raju, der in Indien auch als Stifter und Wohltäter bekannt ist, war erst kurz zuvor in London vom Weltrat für gute Unternehmensführung ausgezeichnet worden. 2007 hatten ihn bereits die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young zum Unternehmer des Jahres gekürt.
Inzwischen kam heraus, dass neun Satyam-Manager in den letzten Monaten große Aktienpakete abgestoßen hatten. Nach Rajus Geständnis brach der Kurs um mehr als 80 Prozent ein. Mittlerweile steht auch fest, dass der Konzern nie 53.000 Mitarbeiter hatte, sondern eher 40.000. Raju, sein als Geschäftsführer fungierender Bruder und der Finanzvorstand sind inzwischen Haft. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Der Fall Satyam wird inzwischen als "Indiens Enron" bezeichnet. Der US-Energiekonzern Enron war 2001 nach einer groß angelegten Bilanzfälschung in Konkurs gegangenen. Doch Indiens Regierung will den Zusammenbruch von Satyam, was auf Sanskrit ausgerechnet Wahrheit heißt, unbedingt verhindern. Handelsminister Kamal Nath kündigte an, den IT-Konzern notfalls finanziell zu stützen. Zur Zeit sucht die Regierung für Satyam neue Chefs. Der IT-Konzern soll bereits wichtige Kunden verloren haben.
Raju schrieb, er habe nach den ersten geringen Manipulationen gehofft, danach mit positiven Ergebnissen wieder wahre Zahlen präsentieren zu können: "Doch es war wie der Ritt auf einem Tiger, man weiß nicht, wie man absteigen soll, ohne gefressen zu werden." Laut Raju habe nur er von der Manipulation gewusst, doch das nimmt ihm niemand ab. Vergangenen Samstag wurden auch zwei PwC-Mitarbeiter festgenommen.
Raju sah sich zur Wahrheit genötigt, weil zuvor ein Deal platzte, mit dem er den Betrug womöglich weiter vertuschen wollte. Zwei Bau- und Immobilienfirmen aus Hyderabad, die seinen Söhnen gehören, sollten von Satyam für 1,6 Milliarden Dollar übernommen werden. Doch die Aktionäre verweigerten die Zustimmung, was womöglich ein gigantisches Leergeschäft verhinderte.
Der Satyam-Skandal ist für Indiens Wirtschaftselite und IT-Branche ein schwerer Schlag. Etwa die Hälfte der indischen Konzerne wird von den Familien der Gründer kontrolliert. Eine wirklich unabhängige Aufsicht gibt es da nicht, obwohl die meisten Firmen inzwischen börsennotiert sind. Und wenn Satyams bisherige Erfolge auf Luftbuchungen basierten, wirft dies die Frage auf, ob nicht auch die anderen, durch die Finanzkrise ohnehin geschwächten indischen IT-Konzerne bisher wirklich so erfolgreich waren wie von ihnen behauptet.
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