piwik no script img

Wirtschaftsrat zerlegt sich weiterVorstandsmitglieder auf der Flucht

Seit die Rechtsanwältin Inez Jürgens die Macht im CDU-Wirtschaftsrat übernahm, tobt ein Machtkampf: Acht von zwölf Vorständlern sind schon weg.

Ein Bild des Friedens: Ludwig Erhard wirft im Januar 1957 einen ersten Blick in sein Buch "Wohlstand für Alle". Bild: Doris Adrian/Bundesarchiv/Wikimedia Commons

Chaos im CDU-Wirtschaftsrat. Seit am 13. November die Hamburger Rechtsanwältin Inez Jürgens überraschend zur Landesvorsitzenden gewählt wurde, hat sich die Führungsspitze des Unternehmensverbandes aufgelöst. Acht der zwölf Vorstandsmitglieder, darunter der Kaffeeproduzent Albert Darboven, Vattenfalls Norddeutschland-Chef Pieter Wasmuth und Eurogate-Geschäftsführer Gunther Bonz, haben ihr Ämter zurückgegeben.

Zudem kündigte Ex-Vorständler Ottmar Gast von der Reederei Hamburg Süd, einer der größten finanziellen Förderer des Wirtschaftsrates, seine Mitgliedschaft. Am heutigen Donnerstag will sich nun das Bundespräsidium auf einer Krisensitzung mit der Zukunft des Hamburger Landesverbandes beschäftigen.

Der Hintergrund: Als Nachfolger des bisherigen Landesvorsitzenden Jörg Debatin war eigentlich der frühere Bankvorständler Tjark Woydt (71), bis vorige Woche noch einer der Vizepräsidenten des FC St. Pauli, auserkoren. Woydt war im September von dem zwölfköpfigen Landesvorstand als einziger Kandidat aufgestellt worden – eine Nominierung, die auch die Vorständlerin Inez Jürgens aktiv unterstützte.

Doch auf der Mitgliederversammlung des 1.000 Mitglieder zählenden Rates kam es anders. Jürgens ließ sich als Gegenkandidatin vorschlagen und schlug mit ihrer Spontanbewerbung den designierten Debatin-Nachfolger Woydt mit knapper Mehrheit aus dem Rennen. Kaum war die Wahl ausgezählt, sprach man im Wirtschaftsrat hinter vorgehaltener Hand von einem „Putsch“ der Fünfzigjährigen.

Der CDU-Wirtschaftsrat...

vertritt die Interessen der unternehmerischen Wirtschaft gegenüber der CDU und will deren Wirtschaftspolitik mitgestalten,

wurde Ende 1963 in Bonn gegründet und hat heute seinen Hauptsitz in Berlin,

hat rund 11.000 Mitglieder, darunter 1.000 in Hamburg,

tritt für eine Wirtschaftspolitik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft ein und wirbt bei seinen angeschlossenen Unternehmen für christdemokratische Grundsätze.

Tjark Woydt selbst betont, er habe erst eine Viertelstunde vor Versammlungsbeginn erfahren, dass hinter den Kulissen die Wahl von Inez Jürgens vorbereitet wurde. Mitglieder vertrauten ihm an, sie seien bereits im Vorfeld angesprochen worden, für die Juristin zu stimmen. „Seit zwanzig Jahren bin ich im Wirtschaftsrat, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, klagt Woydt, der von seinem Vorstandsposten ebenfalls einen Tag nach der Wahl zurücktrat: „Einen Kandidaten zu unterstützen und sich parallel selbst Mehrheiten zu verschaffen, ist unanständig.“

Der Wahlverlierer und die zurückgetretenen Landesvorständler fordern nun „offene und faire Neuwahlen.“ Auch Ex-Chef Debatin sieht vor dem Hintergrund, dass sich Jürgens erst der Nominierung Woydts anschloss, um später gegen ihn anzutreten, „keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der gewählten Landesvorsitzenden“.

Doch auf die Neuwahlrufe hat die Neu-Chefin bislang noch nicht reagiert. Stattdessen will sie in die Zukunft blicken. „Wollen wir nach hinten schauen (...)? Wem nützt derart verbrannte Erde? Niemandem!“, schreibt sie in einer Pressemitteilung, in der sie schließlich ankündigt, „allen – im Sinne unserer gemeinsamen Sache – die Hand zu reichen“.

Gegenüber einem zurückgetretenen Vorstandsmitglied ließ Jürgens Anfang dieser Woche durchblicken, dass sie ihren Kurs durchziehen werde. Gespräche zwischen ihr und Woydt hat es bislang nicht gegeben. Neuwahlen will Jürgens nicht zulassen: Sie wären satzungsgemäß nur erforderlich, wenn der Landesvorstand auf zwei Mitglieder schrumpft.

Der Bundesvorstand könnte am heutigen Donnerstag eine Neuwahlempfehlung geben, doch in Hamburg wird von beiden Seiten damit gerechnet, dass er sich aus der Hamburger Schlammschlacht so weit wie möglich herauszuhalten versucht, um nicht selber beschädigt zu werden.

Sollte aus Berlin aber keine klare Ansage kommen, haben bereits mehrere Mitglieder intern Rücktritte von ihren Funktionen und Austritte aus dem Verband angekündigt. Die Selbstzerlegung des einflussreichen Unternehmergremiums, sie scheint noch lange nicht abgeschlossen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • Der Artikel zeigt leider, dass nicht mit Frau Rechtsanwältin Jürgens von dem Autor geredet worden ist sondern nur etwas von anderen Zeitungen abgeschrieben wurde.Schade, aber seit dem Florian Marten von der TAZ-Redaktion als Pressesprecher zur HHlA wechselte ist der maritime Cluster sankrosankt bei TAZ-Hamburg.Und der ist schlicht abgewaehlt worden durch die Wahl von Frau Inez Jürgens im CDU-Wirtschaftsrat.Geblieben im Vorstand sind die Vertreter der Privatbanken, darunter der Präsident Ihrer bundesweiten Vereinigung.Wird im Artikel verschwiegen.Wäre auch zu systemkritisch, schließlich glänzt TAZ-Hamburg bei der Aufklärung des HSH-Debakels nicht.Kein Wort davon, daß die Mitgliederzahl von 1600 auf 1000 schmolz unter dem avisierten Vorsitzenden als Vorstand, kein Wort davon, daß Wunderdoktor Debatin in 2 Jahren 5 Geschäftsfüherin/er verschliß, kein Wort davon, daß der Bundesverband jetzt durchgriff.Eben keine Recherche sondern nur seichte Kommentierung.Die erste Frau an der Spitze - egal.

  • Vielleicht können sich die Damen und Herren vom Wirtschaftsrat ja auch mal zu einer sinnvolleren Beschäftigung durchringen, sich etwa zur Erforschung der Mineralien auf den Mars fliegen lassen oder bei der Verteidigung von Kobanê die PYD-Milizen unterstützen.