Wirtschaftskrise: Berlin stürzt in die Krise
Die Rezession erreicht die Stadt: Die Industrie erlebt einen herben Einbruch bei den Auslandsaufträgen. 2009 bestenfalls Stillstand, sagt der Senat. Zehntausende Jobs bedroht.
Die weltweite Finanzkrise hat Berlin endgültig erreicht - nicht mehr nur gefühlt oder in Einzelfällen, sondern in klaren Zahlen: Nach dem jüngsten Konjunkturbericht von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) ist bei der Berliner Industrie von Juli bis September das Auslandsgeschäft eingebrochen: 12 Prozent weniger Aufträge als im Vorjahreszeitraum. 2009 soll zudem das seit vier Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum vorbei sein: Wolf erwartet "allenfalls eine schwarze Null". Im Klartext: Berlin rutscht in die Rezession.
Die Negativnachricht aus Wolfs Wirtschaftsverwaltung fügte sich am Mittwoch passgenau in ein immer trüberes Bild der Wirtschaftslage. Denn am selben Tag warnte erst Arbeits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) vor immer mehr schlecht bezahlten Jobs. Dann folgte die Meldung, dass Berlins Autohändler wegen der Absatzkrise bereits jede zehnte Stelle streichen mussten.
Wirtschaftssenator Wolf warnte zwar vor "Hysterie und Panikmache", musste aber dennoch einräumen, dass sich Berlin 2009 "nur noch im Bereich der Stagnation" bewegen wird. 2007 war das als Maßstab dienende Bruttoinlandsprodukt noch um 2,0 Prozent gestiegen, dieses Jahr soll es noch 1,3 Prozent betragen. Generell seien die Erwartungen der Wirtschaft gedämpfter als im Vorjahr, auch wenn Baugewerbe und Tourismus noch zulegen konnten.
Besonders betroffen ist die Industrie, die in Berlin rund 85.000 Menschen beschäftigt. Hier konnte auch ein Plus im Inlandsgeschäft den Einbruch des Auslandsgeschäfts nicht wettmachen - die Auftragslage ist insgesamt um 2,3 Prozent schlechter als im Vorjahreszeitraum. In der chemischen Industrie und im Maschinenbau nahmen die Aufträge aus dem von der Finanzkrise bereits stärker betroffenen Ausland sogar um fast 30 Prozent ab. Dabei profitierte Berlin sogar noch davon, dass seine Industriebetriebe weitaus weniger exportieren als im Bundesdurchschnitt üblich.
Mit Blick auf zu erwartende Jobverluste drückt sich Wolf um klare Worte: Laut Konjunkturbericht wird sich der Beschäftigungsstand im Jahresschnitt 2009 gegenüber 2008 "nicht wesentlich ändern". Das hört sich beruhigend an, hieße aber entklausuliert, dass zehntausende Berliner ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Denn um auf den Durchschnitt des aktuellen Jahres zu kommen, in dem die Arbeitslosenzahl von über 250.000 im Januar auf rund 215.000 im November sank, müsste die Quote wieder deutlich ansteigen.
Als Konsequenz aus dem Einbruch verstärkte Wolf seinen Ruf nach einem Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Der Industrie- und Handelskammer (IHK) reicht das nicht aus. "Der Senat muss schon selbst Impulse setzen und darf sich nicht nur auf den Bund verlassen", sagte IHK-Sprecher Holger Lunau der taz. Er kritisierte, dass Fördermittel ungenutzt blieben.
Das Land könnte nach IHK-Vorstellungen etwa ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung vorlegen und so die Auftragslage ankurbeln. Die von Wolf für 2009 angestrebte "schwarze Null" erscheint der IHK als zu positiv: In den vergangenen Jahren lag Berlin in der Wirtschaftsentwicklung fast immer hinter dem Bundesschnitt - und selbst der Bund gehe für 2009 nicht von Wachstum aus.
Auch Wirtschaftspolitiker der Opposition verlangen von Wolf mehr als den Ruf nach Bundeshilfe. Die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus sieht in Klimaschutzinvestitionen ein zentrales Mittel und will dafür vom Senat konkrete Unterstützung. FDP-Fraktionschef Martin Lindner fordert "eine Offensive zur Entlastung der Berliner Wirtschaft" und verlangt dazu wie die IHK, Grund-, Grunderwerbs- und Gewerbesteuer deutlich zu senken.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!