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Wirtschaftskrise in VenezuelaDer ratlose Präsident

Die Wirtschaft schrumpft und die Opposition hält die Mehrheit im Parlament. Präsident Maduro scheint kaum einen Plan gegen die Misere zu haben.

Hat den Notstand verhängt, aber was soll das? Präsident Nicólas Maduro Foto: reuters

Caracas taz | Venezuelas Präsident Nicólas Maduro hat den wirtschaftlichen Notstand ausgerufen. Am Freitag unterzeichnete er ein entsprechendes Dekret. Danach fuhr er zur Nationalversammlung, um den Rechenschaftsbericht für das vergangene Jahr zu vorzustellen. Eigentlich ein von der Verfassung vorgesehener Routinevorgang. Doch bei der im ganzen Land mit großer Spannung erwarteten Sitzung traf mit Maduro erstmals nach 17 Jahren wieder ein Präsident auf eine oppositionelle Mehrheit im Parlament. Amtsvorgänger Hugo Chávez hatte stets die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich. Seit dem 5. Januar verfügt die konservativ-mitte-links-Opposition über eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Um das Gebäude der Nationalversammlung waren riesige Bildschirme aufgebaut, alle 20 Meter stand ein Lautsprecher. Schon früh standen hier die Anhängerschar von Präsident Maduro und skandierte „Se va caer, la asamblea va caer – die Nationalversammlung wird fallen.“ Auch im Antennenfernsehen war die Liveübertragung gesichert, und damit auch der Empfang in die Millionen von Haushalten, die an kein Kabelnetz angeschlossen sind.

Das Gebäudeinnere der Nationalversammlung glich einer von der Präsidentengarde eingenommen Festung. Den Ton gaben Grünuniformierte und Männer mit schwarzen Anzügen an, die den Journalisten den Zutritt zum Sitzungssaal verweigerten. Daran änderten alle Vermittlungsversuche von Parlamentspräsidenten Henry Ramus Allup nichts, der den JournalistInnen noch persönlich erklärte, dass das Militär das Sagen habe. Die nationale und internationale Presse ausgesperrt.

Die Verhängung des wirtschaftlichen Notstands ist zunächst nur ein formaler Akt. Der Präsident hat 60 Tage Zeit, um Maßnahmen zu Verbesserung der Wirtschaftslage zu erlassen. Seit Tagen schon hatte Maduro den Schritt angekündigt ohne jedoch konkrete Angaben zu machen. Auch in seiner gut drei-stündigen Rede vor den Parlamentariern ließ er nichts Konkretes durchblicken.

Vage Umschreibungen, Aufrufe an die revolutionäre Haltung seiner Landleute, und wiederum die Ankündigung, dass in den kommenden Tagen Pläne zur Verbesserung der Lage vorgestellt werde. Immerhin räumte er die schwere Krise ein, machte dafür aber den sinkenden Ölpreis und den Wirtschaftskrieg gegen seine Regierung verantwortlich. Seine langen Redepausen vermittelten vor allem eines: Ratlosigkeit.

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Offen sichtbare Wirtschaftsmisere

Tatsächlich ist Venezuelas Wirtschafts- und Versorgungslage verheerend. Seit der Preis für Venezuelas wichtigstes Exportprodukt Öl eingebrochen ist, hat sich die Situation in dem von Importen abhängigen Land dramatisch verschlimmert. Der Abwärtstrend hatte im September 2014 begonnen, als der Preis für das Fass bei knapp über 90 Dollar lag. 2015 lag der Durchschnittspreis noch bei 46,07 Dollar pro Fass, jetzt ist er auf etwa 25 Dollar gefallen.

Die schier endlosen Schlangen vor den Supermärkten und Geschäften sind der sichtbare Ausdruck der Misere. Sie zeigen die Knappheit von Waren, die die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abdecken sollen, wie Maismehl, Milch, Fleisch, Geflügel, Reis, Speiseöl oder Zucker. Der Import von Ersatzteilen für Fahrzeuge oder Maschinen ist zum Erliegen gekommen, Autoreifen oder –batterien sind kaum zu bekommen.

Am Freitag hatte die Zentralbank erstmals seit langer Zeit wieder Zahlen vorgelegt. Denen zufolge schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal 2015 um 7,1 Prozent. Die Inflationsrate kletterte auf 141,5 Prozent. Private Analyseunternehmen schätzen die Lage jedoch weitaus schlimmer ein. Nach den Angaben von Ecoanalítica ging die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent zurück, während die Inflationsrate auf rund 220 Prozent kletterte. Die Kaufkraft der Reallöhne sei um 35 Prozent eingebrochen. „Das ist der größte Kaufkraftverlust in den letzten 20 Jahren,“ so Ecoanalítica-Direktor Asdrúbal Oliveros.

In seiner Erwiderung ermahnte Parlamentspräsident Henry Allup Ramos den neben ihm sitzenden Präsidenten, aktiv zu werden, statt Ankündigungen zu machen. Für viele VenezolanerInnen bot sich damit ein ungewohntes Bild. Erstmals seit Jahren erlebten sie, wie ihrem Präsidenten von einem Oppositionspolitiker öffentlich die Leviten gelesen wurden. „Die Menschen sind es leid, immerzu von Plan A, B, C oder D zu hören, sie wollen konkrete Maßnahmen,“ sagte Henry Ramos Allup. Der so Gescholtene gab sich gelassen und verabschiedete sich Richtung Präsidentenpalast. Draußen skandierte nur noch der harte Kern, dass die Nationalversammlung fallen werde.

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12 Kommentare

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  • Was wäre die "verfehlte Klientel Politik eines Kapitalismus des 21 Jahrhunderts"? Eine, die das Klientel der Kapitalisten bedient, wohl kaum. Dies wäre eine gelungene Klientel Politik. Was ist also die oft zitierte "verfehlte Klientelpolitik" des Sozialismus des 21 Jahrhunderts und was wäre eine "gelungene Klientelpolitk" des Sozialismus des 21.Jahrhunderts? Wenn die Partei ihr Klientel bedient und dieses ist zufrieden, so ist dies eine gelungene Klientelpoltik. Ist dieses Klientel unzufrieden, so ist dies eine nicht gelungene Klientelpolitik. Politik ist insofern immer auch Klientelarbeit. Dabei kann das Klientel ein Bruchteil der Bevölkerung ( z.B. Unternehmer, Agrargrossbetriebe) oder grössere Teile der Bevölkerung (z.B. Industriearbeiter, Büroangestellte) umfassen. Die TAZ schreibt schwerpunktmässig für ein der Grünenpartei nahestehendes Klientel. Ist dies journalistische Klientelpolitik - wahrscheinlich ja. Politik als eine Massnahme die alle Bevölkerungsteile betrifft, muss sich sicher fragen lassen, ob sie mit der Begrenzung auf die Bedienung von Klientelinteressen die Komplexität einer gesellschaftlichen Struktur erfasst und so beantwortet, dass sowohl gesellschaftlicher Wohlstand für alle , gesellschaftliche Gerechtigkeit und damit gesellschaftlicher Friede erreicht wird. Wir haben Klientelverbände, die sich eindeutig als Interessensverbände ( z.B. DGB oder IHK) positionieren und als solche in öffentlichen und politischen Institutionen "Lobbyarbeit" machen - dies ist nichts anderes als Klientelpolitik gemacht von "Klienten" der Politik. Fahren diese die Politik gegen die Wand, da sie nur ihre Interessen im Auge haben? Viele Akteure auf der Welt agieren keinesfalls im Sinne "der Wirtschaft" , sondern oft nur! im Sinne "des eigenen Bankkontos". Menschlich? auch korrupt? verbesserungsfähig? - wohl ja.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Auch andere Länder leiden unter dem Ölpreisverfall. Die haben jedoch keine Probleme mit der Versorgung der Bevölkerung. Der staatlich verordnete Umtauschkurs Bolivar-Dollar ist das Hauptproblem.

     

    Zudem hat Venezuela seine eigene Warenproduktion zugunsten des Ölexports vernachlässigt. Populistische Versprechen unter Ignorierung der Realität sind die wahren Gründe für die spezielle Krise in Venezuela.

  • Das Hauptproblem für Venezuelas produzierende Wirtschaft im allgemeinen ist der staatlich festgelegte Wechselkurs. Seit 2003 werden Devisen vom Staat zugeteilt und er hat so das Verteilungsmonopol der Petrodollar. Der Bolivar, die Landeswährung, ist somit stark überbewertet. Importeure und Händler bekommen günstig Dollars und können zu Preisen verkaufen, bei denen einheimische Produzenten nicht mithalten können. Die heimische produzierende Wirtschaft und Landwirtschaft wurde so weiter zurückgedrängt. Die Antragsverfahren für Devisen sind äußerst bürokratisch und begünstigen somit die Korruption. Von 2003 bis 2012 sind 1 Billionen Dollar der staatlichen Erdöleinnahmen veruntreut worden, wie das linke venezolanische Nachrichtenportal Aporrea kürzlich vorrechnete. Außerdem kann die staatliche Devisenkontrolle die hohe Nachfrage nach Dollars nicht bedienen. Dies befeuert wiederum den Devisenschwarzmarkt. Denn durch die hohe Inflation verliert jeder der Geld spart sehr viel Geld, wenn er es nicht in Devisen umtauscht. Alle Maßnahmen der Regierung verschlimmern auf lange Sicht nur weiter das Problem und die Knappheit wird immer schlimmer.

     

    Benzin wird immer noch billiger verkauft als es hergestellt wird, für ca. 2-7 Cent der Liter! Auch dies befeuert den Schwarzhandel und Schmuggel mit den Nachbarstaaten, vorallem Kolumbien. Der Benzinpreis ist allerdings nicht erst seit Chavez ein Tabu, das nicht angerührt wird.

     

    Bei dem niedrigen Ölpreis kommen alle Fehlentwicklungen besonders schwer zum tragen.

     

    Der sog. "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" fährt mit einer verfehlten Klientelpolitik die Wirtschaft gegen die Wand. In Sachen Korruption stehen die Chavisten den Sozial- und Christdemokraten, die 40 Jahre abwechselnd regierten leider in nichts nach!

    • @hmm?:

      Vom nicht kostendeckenden Ölpreis profitieren diese Bevökerungsgruppen am meisten, die dieses Produkt privat oder geschäftlich am meisten Nutzen. Also diejenigen die zu den Wohlhabenderen im Land gehören. Wer 7 Autos im Haushalt hat profitiert natürlich mehr als der, der keins hat und mit dem Bus fahren muss. Wer in seiner Fabrik die Produktion mit einem subventionierten Energieträger fährt, erhält damit unerwähnt staatliche Subventionen um seine Gewinne zu vergrössern. Eine Anpassung des Preises an die Produktionskosten ist unvermeidlich zur Gesundung der Wirtschaft, müsste aber für die Bevölkerungsgruppen , deren Existenzminimum dadurch gefährdet würde (z.B. höhere Transportkosten) einen finanziellen Ausgleich schaffen. Ansonsten ergäbe sich eine Situation wie beim Caracazo, die die damalige Adeco Regierung (heute Teil der MUD und mit ihrem Parlamentspräsidenten) nur durch militärische Gewalt mit ca. 2000 Toten "in den Griff" bekommen hat.

      • @Henning Lilge:

        Stimmt genau! Das selbe Problem gilt für die Devisen die Reisenden zugeteilt werden. Sie begünstigen Inhaber von Kreditkarten, die in Venezuela nur ab bestimmten Kontobewegungen vergeben werden. Auch hier profitieren privilegierte Schichten von staatlich subventionierten Devisen (also eigentlich dem Eigentum der gesamten Bevölkerung). Denn nur 10% der Reisedevisen (max. 3000 Dollar Jährlich) werden Bar ausgezahlt. Diese Devisen wurden für Reisen mit Scheinkäufen genutzt dem sog. "Raspao".

        Seit die Flüge ins Ausland fast nur noch in Dollars erworben werden können, da Venezuela Ausstände von 4 Mrd. Dollars an die Fluggesellschaften noch nicht beglichen hat, hat dieses Phänomen der mittelständischen Korruption (Raspao) wieder stark abgenommen.

    • @hmm?:

      Es wäre auch zu fragen was "Unpopulismus" wäre. Massnahmen. die zu Ungunsten des Grossteile der Bevölkerung durchgeführt werden? Sind "unpopuläre" Politiker die ehrlicheren und besseren? Oder sind nur "unpopuläre" Massnahmen wie in Griechenland, die besseren , weil sie Fraport die besseren Gewinne durch Privatisierung/Aufkauf der Inselflughäfen und deren Aneignung anderen Bevölkerungen - z.B. den deutschen - "populärer" erscheinen? War das eine "populistische" Massnahmne von Herrn Schäuble, Griechenland eine gute Einnahmequelle abzuluchsen? Bitte entsorgen wir das Wort aus der politischen Diskussion. Es verklebt die Wahrnehmung.

    • @hmm?:

      Schade dass man das Wort "Populismus" noch nicht zum Unwort des Jahres erklärt hat. Ist "we can" die Worthülse Obamas , die viele europäische Intellektuelle begeistert hat "demokratischer Populismus"? Sind Helmut Kohls "Blühende Lanschaften im Osten" "rechter Populismus". Oder ist Populismus ( von Populus lateinisch das Volk) nur eine Sache der Linken, da nus diese das Volkim fokus haben? Die "Volksparteien" SPD und CDU würden protestieren.

      • @Henning Lilge:

        Ich verstehe nur nicht warum Sie Ihren Populismusdiskurs an mich richten, ich verwende den Begriff nicht!

  • Es gab unter Chavez auch Enteignungen von Großgrundbesitzern, wenn das Land brach lag, die zu Gunsten von von landlosen Kleinbauern und Kooperativen ging. Diesen fehlte aber häufig das Know-How in der Landwirtschaft, um das Land produktiv zu nutzen. Auch einige private Unternehmen im Bereich Lebensmittelproduktion wurden verstaatlicht oder Staatsbetriebe gegründet, doch diese werden dann immer unproduktiver, da Posten in diesen Betrieben nach Parteibuch und nicht nach Kompetenz vergeben werden.

  • Nach der Entdeckung der Ölvorkommen hat sich Venezuela komplett auf diesen Wirtschaftszweig konzentriert. Es entstand eine enorme Abhängigkeit im Agrar- und Konsumgüterbereich vom Ausland . Als im Ölstreik keine Waren aus Kolumbien mangels Transport über die Grenzen kamen, konnte im Agrarbereich bestimmte Produkte nicht verarbeitet werden, da wichtige Bestandteile aus Kolumbien eingeführt wurden. Die Abhängigkeit im Lebensmittelgrosshandel von Oligopolen ist erdrückend, darunter europäische und amerikanische Grosskonzerne. Hatte Chavez in einem Gesetz von den Ölmulties die "Royalties" für die Ausbeutung von Ölvorkommen auf 35 % heraufgesetzt , verlor Venezuela diese Einnahmen im Konsum- und Betriebsgütersektor sofort wieder. Es gab Ernst zu nehmende Initiativen der Regierung Chavez den Agrarsektor anzukurbeln. Ich sehe allerdings 2 Probleme : erstens bräuchte es eine Bevölkerung, die noch bereit ist, im Agrarsektor zu arbeiten. Fruchtbares Land hat Venezuela genug. Zweitens sind die Strukturen im Agrarsektor noch post-kolonial. Der Agrarsektor hat nur deshalb seine angestammte Macht in Venezuela verloren, da der Ölsektor ihn historisch an die Wand gespielt hat. Die Landflucht als Folge einer ungerechten Landverteilung und Machtlosigkeit der armen Bevölkerung ist die Abwanderung in die Slums der Grossstädte. Wollte man also die Slums und die Gewalt in ihnen auflösen, müsste man das "Agrarland" demokratischer und gerechter machen. Dann würde man sich allerdings wirklich mit den "traditionellen" Familienclans konfrontieren müssen, die diesen Landbesitz seit Generationen innehaben. Interessanterweise hat die Opposition zu der kritischen Lage bisher noch keine eigene Programmatik veröffentlicht, soweit mit bekannt ist. Es wäre interessant zu wissen, was denn nun die neuen Konzepte der Opposition sind, die ja die Korruption im Land historisch mit zu verantworten hat.

  • "Der Abwärtstrend hatte im September 2014 begonnen, als der Preis für das Fass bei knapp über 90 Dollar lag."

     

    Der wirschaftliche Niedergang in Venezuela geht schon viel länger vor sich. Allerdings konnte Hugo Chávez das durch Rhetorik erheblich besser kaschieren als Nicolás Maduro.

     

    Der Ölpreisverfall hat das Ganze jetzt beschleunigt, aber selbst wenn der Ölpreis auf ein alters Niveau zurückommen würde, blieben die Probleme Hass, Klientelwirtschaft, Korruption und weitgehend zerstörtes Wirtschaftssystem.

    • @Martin74:

      Lange Zeit haben die Erlöse aus der Ölförderung abzgl. Korruption und Misswirtschaft halt noch ausgereicht, um das Land über Wasser zu halten.

       

      Dass es früher oder später den Bach runter geht, war schon von langem abzusehen. Zum "Glück" geschah es nur nicht mehr zu Chavez Lebzeiten, weswegen dieser Schwätzer immernoch verehrt wird.