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Wirtschaft„Ein Schlag in die Fresse“

Die gern beworbenen Bosch-Werte wie Verantwortung, Vertrauen, Fairness werden derzeit nur von den Beschäftigten beachtet. Während der Konzern trotz guter Gewinne seine beiden Power-Tools-Werke dichtmachen will, fährt ein Dutzend Boschler aus Leinfelden nach Sebnitz. Dort kämpfen die Kolleg:innen um die letzten Industriearbeitsplätze in ihrer Region.

Der Sebnitzer Betriebsratschef Jens Ehrlichmann mit Kerstin Mai, Chefin des Konzern- betriebsrats von Bosch Deutschland vor dem Sebnitzer Werk. Fotos: Robert Gommlich

Von Gesa von Leesen↓

Freitagmorgen, acht Uhr am Power-Tools-Werk in Leinfelden. Ein Dutzend Männer – Betriebsräte, Vertrauensleute, Bosch-Rentner – versammeln sich, um mit ein paar Autos 600 Kilometer gen Osten zu fahren. Im sächsischen Sebnitz ist für den Samstag eine Kundgebung gegen die angekündigte Schließung des dortigen Power-Tools-Werkes angesagt. Die Produktion von Bohrhämmern und Winkelschleifern will Bosch – wie in Leinfelden – bis Ende 2026 nach Ungarn verlagern (Kontext berichtete). Das Unternehmen führt Absatzschwierigkeiten an, der Markt habe sich geändert. Unter dem Motto „Eine Region gerät ins Beben, Bosch Sebnitz muss leben!“ machen IG Metall und Betriebsrat Druck gegen die Konzernpläne. Und da wollen die Leinfeldener dabei sein.

Knapp acht Stunden dauert die Fahrt, im Auto geht es viel darum, wie Bosch sich verändert hat. Nur noch kurzfristige Gewinne würden zählen. Verlagerung in Billiglohnländer – das hätte es früher nicht gegeben, heißt es allenthalben. Deutschlandweit will Bosch in den kommenden Jahren 3.800 Arbeitsplätze abbauen. „Jetzt müssen doch alle gemeinsam aufstehen“, findet Bosch-Rentner Michael Faulhaber empört.

Sebnitz liegt in der Sächsischen Schweiz, kurz vor der tschechischen Grenze. Ein Tourismusgebiet mit Ferienwohnungen und Wanderwegen. Rund um den sanierten Marktplatz stehen dreistöckige klassizistische Häuser. Es gibt die Volksbank, einen Gasthof, eine Tourist-Info, zwei Haushaltswarengeschäfte, einen Billigladen für alles mögliche, ein Eiscafé. Die Buchhandlung hat dichtgemacht.

Die Stadt, die sich aufgrund ihrer Tradition als „Seidenblumenstadt“ vermarktet, hatte vor der Wende 14.000 Einwohner:innen, heute sind es mit Eingemeindungen knapp 10.000. Als Große Kreisstadt hat Sebnitz ein Gymnasium, eine Oberschule, zwei Grundschulen, zwei Kitas, das Freibad wurde saniert. In bundesweite Schlagzeilen geriet die Stadt zuletzt, weil ein Handwerker mittels einer rassistischen Anzeige im Amtsblatt einen Azubi gesucht hatte. Der Gemeinderat distanzierte sich und in der Stadt demonstrierten ein paar Hundert Menschen – für den Handwerker.

Bei der Kommunalwahl im vorigen Jahr wurde die AfD stärkste Fraktion mit sechs Sitzen, es folgt die CDU mit vier, das BSW hat zwei Stadträte, ebenso die beiden Wählergemeinschaften, von denen eine bürgerlich, die andere rechtsaußen ist. Dazu kommen noch ein Ex-NPDler und ein Grüner. Es steht also neun zu neun zwischen Bürgerlichen und Rechtsextremen, der parteilose Oberbürgermeister Ronald Kretschmar gibt den Ausschlag. Bei der Wahl des ersten ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeisters gewann ein AfDler. „Da ist was schiefgelaufen“, sagt der Grünen-Stadtrat Paul Löser am Rande der Kundgebung der IG Metall Ostsachsen. Der Mathe- und Gemeinschaftskundelehrer meint, die angekündigte Werkschließung erinnere die Menschen an die Wendezeit, als vor 35 Jahren hier alles weggebrochen ist. Löser: „In den vergangenen Jahren haben sich die Leute etwas aufgebaut und nun kommt wieder ein Bruch.“

Wenig andere gute Jobs in der Gegend

Im Sebnitzer Werk von Power Tools arbeiten 280 Männer und Frauen. „75 Prozent unserer Belegschaft haben wir selbst ausgebildet, das sind Facharbeiter, die zum Teil in der Montage arbeiten“, sagt Jens Ehrlichmann. Der 55-Jährige, ein stämmiger Typ mit goldener Kreole im rechten Ohr, freut sich an diesem Abend auf ein Bier. Die Vorbereitungen für die Kundgebung am Samstag sind abgeschlossen, er ist nervös, wie viele wohl kommen werden. „Das legt man ja nie ab.“

Betriebsrat ist Ehrlichmann, weil er nichts davon hält, sich immer nur zu beschweren. „Wenn ich was verändern will, muss ich mich einsetzen.“ Deswegen sei er auch in der IG Metall, selbst wenn er an der nicht alles gut finde. „Man muss miteinander reden und diskutieren. Anders geht‘s nicht.“

Aktuell geht es um die Existenz des Werkes. „An jedem Arbeitsplatz bei uns hängen zwei weitere“, sagt Ehrlichmann. Zulieferer, Sicherheitsdienst, auch der Handel werde die Folgen spüren. Er macht sich Sorgen um seine Stadt. „Einen tarifgebundenen Betrieb finden Sie hier im Umkreis nicht. Und den nächsten Industriebetrieb erst wieder in Kamenz oder Dresden.“ Beides um die 50 Kilometer entfernt. „Wer hier sein Abi macht, geht studieren und kommt schon jetzt nicht wieder zurück. Wenn wir auch noch zu machen, gibt es hier keine industrielle Ausbildung mehr.“ Dann bleibe nur noch Dienstleistung zum Mindestlohn oder Pflege – oder weggehen.

Die Sebnitzer Mannschaft war schon immer deutlich günstiger als die Leinfeldener. Auch weil der Flächentarifvertrag im Osten bei der 38-Stunden-Woche hängengeblieben ist, drei mehr als im Südwesten. Zudem seien die Leute in der Montage, also in Anlerntätigkeiten, schlechter eingruppiert als im Westen, sagt Ehrlichmann. Nicht ideal also – aber immerhin ein Tarifvertrag! Das gilt in Ostdeutschland Stand 2023 für gerade mal 17 Prozent der Betriebe, in Westdeutschland noch für 25.

Umso mehr Gründe also, sich für den eigenen Arbeitsplatz einzusetzen. Ist die Belegschaft kampfbereit? Ehrlichmann wiegt nachdenklich den Kopf. Es sei mühsam. Oft bekäme er zu hören, das solle doch der Betriebsrat machen oder die Gewerkschaft. Stellvertreterpolitik sei allzu oft beliebter als selbst tätig zu werden.

Das Problem kennt auch Luis. Der 21-Jährige ist Jugendvertreter im Sebnitzer Werk, er beendet im kommenden Frühjahr seine Ausbildung zum Industriemechatroniker. Seine Mit-Azubis zu Engagement in der Freizeit zu motivieren, sei extrem schwierig. Er selbst ist auch einigermaßen ratlos, wie er mit der angekündigten Schließung umgehen soll. „Ich hatte eigentlich gedacht, ich mach‘ hier meine Ausbildung und bleibe dann bis zur Rente.“ Das scheint nun mehr als fraglich. Wie er sich fühle? „Das ist eigentlich ein Schlag in die Fresse.“

Millionen Fördermittel für Bosch

Samstagmorgen, 9.30 Uhr: Langsam füllt sich der Sebnitzer Marktplatz. Die Truppe aus Leinfelden hat ein Lied eingeübt. Nach der Melodie von „Die freie Republik“ von Hannes Wader stimmen die zwölf den eigens vom Bosch-Rentner Charly Greth gedichteten Anti-Schließungs-Song „In der Bosch-Zentrale“ an. „Ja, Sebnitz ist schon billig / doch Orban bietet mehr / die Buden hier zu schließen / das fällt uns gar nicht schwer“, heißt es darin. Das kommt gut an bei den Demonstrant:innen, darunter Soli-Delegationen von Bosch aus Hildesheim und von der Gläsernen VW-Fabrik Dresden, die bis Ende 2025 abgewickelt werden soll. Alle Redner beklagen die Renditegeilheit von Bosch, beschwören die alten Bosch-Werte, appellieren an den Konzern, Verantwortung zu zeigen. Immerhin habe Bosch alleine 2024 für 135 Projekte 996 Millionen Euro Fördermittel vom Bund bekommen, zitiert der Hildesheimer Bosch-Betriebsratschef die „Stuttgarter Zeitung“. Da könne doch wohl eines dieser Zukunftsprodukte nach Sebnitz gehen. Dann versucht Richard Chodzinski, angereist aus Niedersachsen, die etwa 400 Menschen zum Schlachtruf „bundesweit – streikbereit!“ zu animieren. Das Echo ist verhalten. „Das müssen wir noch üben“, meint der Hildesheimer gut gelaunt.

In Sachsen hat sich die Politik eingeschaltet. Der Oberbürgermeister machte mobil und mittlerweile hat das SPD-geführte Wirtschaftsministerium eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen aus OB, Bosch-Vertretern, Ehrlichmann und Staatssekretär Thomas Kralinski (SPD). Letzterer steht am Samstag ebenfalls am Rednerpult – und zwar ziemlich sauer, weil mal wieder ein Standort in Ostdeutschland bluten müsse. „Wir haben das schon mal erlebt.“ Man werde alles tun, um die Industriearbeitsplätze zu erhalten, suche in der Arbeitsgruppe nach Fördermitteln und Investoren, denn Bosch habe sich bereit erklärt, das Werk zu verkaufen.

Der OB betont die Bedeutung eines jeden Arbeitsplatzes auf dem Land. Wenn die letzte Industriefirma schließt, fehle eine Grundlage. „Dann können wir uns hier noch so abstrampeln mit Projekten im ländlichen Raum.“ Ausdrücklich ermuntert er die Boschler:innen, weiterzukämpfen. „Für euren Arbeitsplatz und auch für eure Heimat.“

Die AfD bescheinigt Bosch Weitsicht

Sieht hart aus, macht aber nur Social Media für Gewerkschaftsthemen wie hier in Sebnitz: Benny, BMW-Vertrauensmann aus Berlin.

Der Begriff „Heimat“ fällt öfter, auf Wendeerfahrungen wird ebenfalls ein paar Mal rekuriert. Auch im persönlichen Gespräch sind die Erlebnisse von vor 35 Jahren immer wieder Thema. Ehrlichmann, der schon vor der Einheit im VEB (Volkseigener Betrieb) Elektrowerkzeuge Sebnitz (EWS) gearbeitet hat, erzählt, sie hätten schon immer auch für den Westen gefertigt. „Unsere Werkzeuge konnte man bei Otto kaufen.“ Durch die Devisen wiederum hätten sie in Sebnitz Westmaschinen gehabt für die Fertigung. „Wir waren ein moderner Betrieb.“ Nachdem die Treuhandanstalt das Werk 1990 an Bosch verkauft hatte, war Ehrlichmann mal in Leinfelden als Leiharbeiter im Einsatz. „Und dann seh‘ ich da eine Fertigungslinie, die eigentlich für uns bestimmt gewesen war.“ Das fand er ziemlich übel.

Ähnliche Kränkungen haben sicherlich viele erfahren, dass ausgerechnet die AfD es schafft, daraus Kapital zu schlagen, erzählt viel von der Hilflosigkeit der etablierten Parteien. Bei der Bundestagswahl im Februar holte die rechtsextreme Partei im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge 46 Prozent, auch das Direktmandat ging an einen AfDler.

Zur Schließung des Boschwerks in Sebnitz haben die angeblichen Volksvertreter dem Boschkonzern indirekt „Weitsicht und Nachhaltigkeit“ bescheinigt, weil er nach Ungarn verlagert. Im Grunde könne Bosch nicht anders, weil die Regierungen in Dresden und Berlin so schlechte Wirtschaftspolitik machten, meint der AfD-Landesverband. Kein Wort von den Gewinnen, die Bosch einfährt, kein Wort zu den Forderungen der Beschäftigten. Folgerichtig zeigte sich dann auch keine AfD auf der Kundgebung.

Auf der Rückfahrt sind die Leinfeldener erschöpft und zufrieden. „Die Stimmung war super und wir haben gute Kontakte mit den Sebnitzern geknüpft“, sagt Charly Greth.

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