Wirtschaft: Schwabengelder für Klimakiller
Die Stuttgarter Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) finanziert klima- und umweltschädlichen Braunkohleabbau in der Südwesttürkei. Hiesige Klimaaktivist:innen fordern einen sofortigen „Kohleausstieg“ von der Bank und ihren Besitzern.

Von Jürgen Lessat
Wenn es nach Reiseportalen geht, dann gleicht die Halbinsel im Südwesten der Türkei dem vielbeschworenen Paradies auf Erden. „Schon in der Antike wussten die Menschen die wunderschöne Landschaft und das warme Klima von Bodrum, das damals Halikarnassos hieß, zu schätzen“, schwärmen sie über die Region an der Ägäisküste. Die Küstenlinie sei geprägt von feinsandigen Stränden, vorspringenden Felsen und verborgenen Buchten. „Das hügelige Landesinnere, das aus Ausläufern des Taurusgebirges besteht, lädt zu Wanderungen mit herrlichen Ausblicken“, heißt es.
Das Hinterland in der Provinz Mugla bietet ein anderes Bild. Wenige Kilometer von den Touristenhochburgen am Mittelmeer entfernt wühlen sich Schaufelbagger durch die uralte Kulturlandschaft. Zurück bleiben riesige hässliche Narben in Kiefernwäldern und Olivenhainen, wie aktuelle Satellitenbilder in Kartendiensten zeigen. In gigantischen Tagebauen wird hier Braunkohle aus Berg und Boden geholt, um sie in zwei nahegelegenen Wärmekraftwerken zu verfeuern. Der Brennstoffhunger der in den Achtzigerjahren errichteten Kohleblöcke Yenikoy und Kemerkoy lässt die Minen immer weiter wachsen. Was im Weg steht, wird – wie jüngst im deutschen Braunkohlerevier Garzweiler II das Dorf Lützerath – kurzerhand weggebaggert. In über vierzig Jahren Kohleverstromung wurden in dieser Region bereits fünfeinhalbtausend Hektar Land umgewühlt. Acht Dörfer verschwanden vollständig, vier weitere teilweise von der Landkarte. Tausende Menschen wurden enteignet und vertrieben.
Unternehmen mit gutem Draht zur Erdoğan-Regierung
Derzeit kratzt der Tagebau am Dorf İkizköy. Im Osten des Weilers rücken die Kohlebagger weiter in den Akbelen-Wald vor. Seit dem Jahr 2019 wehren sich Einheimische und Umweltschützer gegen die Abholzung des 740 Hektar großen Kiefernforstes – mit Protestcamps vor Ort und Klagen vor Gerichten. Mehrfach ordneten Richter Abbaumoratorien an, die der Kohlekonzern YK Energy nach Medienberichten ignorierte. Das Unternehmen gehört zu gleichen Teilen der IC Holding und der Limak Holding, zwei türkischen Familienimperien, denen enge Beziehungen zur Regierung von Staatpräsident Recep Tayyip Erdoğan nachgesagt werden. Im vergangenen Sommer scheiterte das lokale İkizköy Environmental Committee in letzter Instanz, das weitere Vordringen des Tagebaus zu verhindern. In den Morgenstunden des 24. Juli begannen Holzfäller mit Rodungen im Akbelen-Wald. Sicherheitskräfte hielten Protestierende mit Gewalt auf Distanz, die Präsident Erdoğan nach Medienberichten als „nach Umweltschützern aussehende Randgruppen“ verhöhnte. Innerhalb weniger Tagen fielen Tausende Bäume den Sägen zum Opfer.
Dass die Geschehnisse im Hinterland der Tourismusregion außerhalb der Türkei wahrgenommen werden, ist auch den sozialen Medien zu verdanken. So bittet ein Bewohner von İkizköy auf X, ehemals Twitter, um internationale Unterstützung angesichts des drohenden Verlusts seiner Heimat. Und er nennt in dem Video ein deutsches Geldinstitut, das die Zerstörung mitfinanzieren soll: die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Ein schwerwiegender Vorwurf, bekennt sich doch die LBBW , mit einer Bilanzsumme von 324 Milliarden Euro und rund 10.000 Mitarbeitenden unter den Top Ten der hiesigen Banken, ausdrücklich zu nachhaltigem Handeln – allen voran zu den Pariser Klimazielen, die das Fördern und Verfeuern von fossilen klimaschädlichen Energien eigentlich verbieten. Gleiche Bekenntnisse geben auch ihre Besitzer: das Land Baden-Württemberg, der Sparkassenverband Baden-Württemberg (jeweils 40,534 Prozent Anteile, beim Land über direkte und indirekte Beteiligung) sowie die Landeshauptstadt Stuttgart (18,932 Prozent).
LBBW sagt nichts
Auf Kontext-Nachfrage verweigert die LBBW Auskünfte, ob sie in der türkischen Provinz Mugla Kohleprojekte finanziert. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aufgrund des Bankgeheimnisses zu einzelnen Geschäftsbeziehungen keine Auskunft erteilen können“, so ein Sprecher. Recherchen ergeben, dass die Bank im Januar 2018 einen Kredit über 180,33 Millionen US-Dollar an ein Gemeinschaftsunternehmen von IC-Holding und Limak-Holding vergeben hat: an die „IC-LİMAK ADİ ORTAKLIĞI“. Verantwortlich für das Kreditgeschäft auf Seiten der LBBW war Volker Baucke von der „Export Finance Origination“, der Bank am Stuttgarter Hauptsitz. Juristisch begleitet wurde der Deal von der Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie, abgesichert von dem zum Allianz-Konzern gehörenden Kreditversicherer Euler Hermes. Die Internet-Suche mit dem Namen des Kreditnehmers führt auf die Projektseite eines Anreicherungs- und Beizwerks für Braunkohle für die Kraftwerke Yeniköy und Kemerköy. Die jährliche Produktionskapazität der Anlagen wird mit 12 Millionen Tonnen Förderkohle, zehn Millionen Tonnen Feinkohle sowie 4,5 Millionen Kubikmeter Abraum beziffert. Bilder zeigen einen neu begonnen Tagebau.
Stattdessen betont die LBBW gegenüber Kontext, dass man einen „klaren Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohlefinanzierung verfolgt und sich eine der strengsten Kohlerichtlinien in der deutschen Bankenbranche gegeben hat“. Man sei sich aber auch bewusst, dass Kohlestrom als Brückentechnologie übergangsweise noch eine Rolle spielen wird, um die Energieversorgung sicherzustellen. „Deshalb sind Finanzierungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich – beispielsweise, wenn dadurch der Wirkungsgrad eines Kraftwerks verbessert wird oder Emissionen reduziert werden“, teilt der Pressesprecher mit.
Das genügt der Stuttgarter Gruppe von Fridays for Future (FfF) nicht, die der Hilferuf aus der Türkei erreicht hat. Zusammen mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, dem BUND Baden-Württemberg und Youth for Climate Turkey verlangen ihre Aktivisten einen „Kohleausstieg“ von der Bank. In einem offenen Brief an Vorstände und Aufsichtsräte drängt sie auf den sofortigen Rückzug aus der Finanzierung fossiler Energieprojekte. „Wir fordern den Aufsichtsrat der LBBW auf, seine Rechte zu nutzen und die Richtlinien der LBBW so zu ändern, dass auch Investitionen, wie in den Tagebau im Akbelen-Wald, nicht möglich sind“, zitiert Ajla Salatovic von FfF aus dem Brief.
Mit Landesfinanzminister Daniel Bayaz (Grüne) hatten sich die Aktivist:innen bereits zuvor informell über das Türkei-Engagement der Bank ausgetauscht. Dabei soll der Minister die Kreditvergabe der LBBW an den Kohlekonzern bestätigt, aber weder Möglichkeit noch Notwendigkeit gesehen haben, dagegen vorzugehen. Ein Sprecher des Ministers teilt gegenüber Kontext mit, dass Finanzierungen das operative Geschäft der Bank beträfen und somit in der Zuständigkeit des Bankvorstands lägen. „Die Eigentümer der LBBW haben hierauf keinen Einfluss. Zu einem einzelnen Engagement können wir daher auch nichts sagen.“ Gleichwohl bringe Minister Bayaz als Aufsichtsratsmitglied die Belange des Umweltschutzes in die Strategie der LBBW ein.
Enorme Geldsummen fürfossile Energien
Doch wie nachhaltig agiert die LBBW tatsächlich? Hinweise darauf finden sich in den Nachhaltigkeitsberichten, in deren Rahmen die Bank seit 2019 auch Zahlen zu den Treibhausgas-Emissionen im Zusammenhang mit den von ihr vergebenen Krediten nennt (THG-Fußabdruck). Demnach sank die „mittlere Emissionsintensität“ von 48 Tonnen Kohlendioxid pro einer Million Euro (t CO2/Mio. EUR) im Jahr 2021 auf 44 t CO2/Mio. EUR im Jahr 2022. Demnach betrug der THG-Fußabdruck der LBBW zum Stichtag 31. Dezember 2022 in Summe 11,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2e). „Somit sind die finanzierten Emissionen im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Mio. t CO2e zurückgegangen“, so der Sprecher.
Und er betont, dass die LBBW mit der Unterzeichnung der Klimaschutz-Selbstverpflichtung des deutschen Finanzsektors für sich verbindlich festgelegt habe, ihre Kredit- und Investmentportfolios an den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu orientieren. Um das Portfolio nachhaltig auszurichten, arbeite man in den relevanten Wirtschaftssektoren bereits intensiv mit entsprechenden Kreditrichtlinien. „Diese definieren transparent und nachvollziehbar, ob die Bank sich an bestimmten Geschäften beteiligt oder nicht“, so der Sprecher. Die erwähnte Kohlerichtlinie sei Teil dieser Regelungen, weitere Regelungen würden etwa Öl und Gas betreffen.
Umweltorganisationen wie „Urgewald“ beleuchten seit Jahren das klimaschädliche Finanzgebaren von Banken. Tatsächlich taucht die LBBW nicht in der Top-60-Hitliste der Banken auf, die Kohle-, Öl- und Gasunternehmen finanzieren, neue fossile Quellen erschließen oder die dazugehörende Infrastruktur ausbauen. Dabei fließen noch immer gewaltige Summen in den Sektor. Nach dem 14. „Banking on Climate Chaos“-Bericht, der im vergangenen April erschien, haben in den sieben Jahren seit der Verabschiedung des Pariser Abkommens die 60 größten Privatbanken der Welt fossile Brennstoffe mit insgesamt 5,5 Billionen (in Zahlen: 5.500.000.000.000) US-Dollar finanziert. Allein 2022 waren es 673 Milliarden Dollar, die im Rahmen von Konsortialkrediten und Underwriting-Mandaten an Unternehmen der fossilen Energiebranche flossen. Hiervon gingen 150 Milliarden Dollar an die 100 Unternehmen, die am meisten zur fossilen Expansion beitragen: unter anderem TC Energy aus Kanada, die französische TotalEnergies, den US-Flüssigasproduzent Venture Global, den US-Ölkonzern ConocoPhillips und den Staatskonzern Saudi Aramco.
Bei der Finanzierung klimaschädlicher Energieprojekte verlassen sich Konzerne nicht mehr nur auf Bankkredite. Immer häufiger sammeln sie über festverzinste Anleihen Geld von Investoren ein, wie eine neue Studie zeigt. Derzeit haben die 30 schmutzigsten Fossilkonzerne Anleihe-“Bonds“ im Wert von nahezu einer halben Billion US-Dollar ausgegeben. Einsamer Spitzenreiter ist mit 68 Bonds und einer Anleihesumme von zusammen knapp 168 Milliarden Dollar der mexikanische Ölkonzern Pemex. Doch auch bei diesem Geschäft verdienen die Banken noch über üppige Ausgabeprovisionen mit. Es sind in der Regel die gleichen Geldhäuser, die auch bei der Kreditvergabe an klimaschädliche Projekte bislang kaum Skrupel zeigen.
In der Türkei rechnen Experten derweil damit, dass die Tagebauerweiterung in der Provinz Mugla um 62 Hektar des Akbelen-Waldes in nur vier Jahren erschöpft sein wird. Lizenzen erlauben dem Kohlekonzern YK Energy, noch bis 2045 Braunkohle in der Region auf einer Fläche von über 230 Quadratkilometern abzubauen.
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