: Wird der Regenbogen einfarbig?
■ 5.Kongreß der europäischen Grünen in Paris zeigt deutsch-französische Unterschiede
Wenige Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament am 18.Juni dieses Jahres versammelten sich Europas Grüne in Paris. Ihre blockübergreifende Haltung zeigt sich an dem begeisterten Empfang für drei grüne Vertreter aus den baltischen Staaten und einen aus Polen. Aber auch Differenzen wurden deutlich. Nach ihrem Wahlerfolg bei den Kommunalwahlen und entsprechend positiven Prognosen melden die französischen Grünen die Meinungsführerschaft gegenüber den Westdeutschen an.
Verpönt, verlacht, bemitleidet. Das waren sie lange genug, und damit ist es jetzt vorbei. Am Wochenende gaben sich die französischen Grünen in Paris die Ehre. Sie luden ein zum Kongreß der grünen Parteien vor den Europawahlen. Doch was ursprünglich als aufopferungsvolle Solidaritätskundgebung der großen Schwesterparteien aus der Bundesrepublik, aus Belgien oder Schweden für die oftmals geschmähten Kollegen aus Frankreich gedacht war, geriet zum triumphalen Fest der französischen Partei. Ihr Coming-out bei den jüngsten Kommunalwahlen in Frankreich ebenso wie die ersten spektakulären Umfragen zu den Europawahlen, die den Grünen in Frankreich bis zu 17% der Wählerstimmen verheißen, haben „Les Verts“ innerhalb weniger Wochen zum neuen „enfant cheri“ der grünen Bewegung in Westeuropa gemacht.
Eine unerwartete neue Frage schwebte auf dem Pariser Parteienkongreß in der grünen Europaluft: Was würde es bedeuten, wenn bei den Europawahlen am 18.Juni die Grünen in Frankreich mehr Prozentpunkte gewinnen als in der Bundesrepublik? Unversehens kamen am Wochenende aus Paris Zeichen für eine Neuordnung grüner Kräfteverhältnisse in Westeuropa.
Der Ort der Handlung diente als Wegweiser. Keinen Unihörsaal und kein alternatives Kulturzentrum hatten „Les Verts“ zur Kongreßstätte auserwählt, vielmehr luden sie ihre Gäste in die internationalen Konferenzsäle des supermodernen Pariser Wissenschaftsmuseum „Cite des Sciences“, eines der umstrittenen Denkmäler Mitterrandscher Kulturpolitik. Der aus Glas und Beton gegossene Veranstaltungsrahmen paßt zu dem Image, daß sich die Franzosen seit geraumer Zeit von ihrer grünen Partei machen können. „Wir sind heute eine pragmatischere, auf Verantwortungsbewußtsein orientierte Partei, die sich auch gemäßigteren Wählerschichten öffnen will“, präsentiert sich Yves Cochet, Stadtabgeordneter in Rouen (Westfrankreich) und einer der einflußreichsten Politiker von „Les Verts“. Cochet kann nach den Frustrtionen des jahrelangen Ghettodaseins endlich den Kopf heben. „Erst haben die anderen grünen Parteien uns diesen Kongreß nicht zugetraut. In Paris würden die Journalisten und der geeignete Rahmen fehlen. Und jetzt läuft alles gut.“ Yves Cochet und seine Partei tragen ihren Stolz öffentlich zur Schau.
Davon hatten sie lange Zeit geträumt. Annäherend hundert JournalistInnen drängten sich zu den grünen Pressekonferenzen am Wochenende. Eine Zahl von über tausend Teilnehmern konnten die Kongreßveranstalter verkünden. Erstmals in den achtziger Jahren bestimmten die Grünen das politische Tagesgeschehen in Paris mit. Freilich war es nicht der Kongreßverlauf - der die Palette der üblichen grünen Themen in Referaten aufreihte und dabei die kontroverse Diskussion meist aussparte -, der zum Ereignis wurde. Es genügten die guten Wahlaussichten der französischen Grünen und die einfache Präsenz ihrer bisher in Paris unbekannten politischen Verbündeten aus aller Welt, damit die französischen Medien diesmal grün sahen.
Besonders die bundesdeutschen Besucher der grünen Parteikonferenz wollten Ohren und Augen nicht trauen. „Ich hatte Frankreich schon aufgegeben, ich dachte, das Land können die Grünen für sich vergessen. Und nun so etwas!“ staunte Petra Kelly. „Wir mischen uns in Frankreich nicht ein“, stellte Frank Schwalba-Hoth, der Geschäftsführer der grünen Europafraktion, lieber vorsorglich fest und verbarg seine Überraschung. Tatsächlich hatten gerade die bundesdeutschen Grünenvertreter in Paris nicht nur Grund zum Jubeln.
„Die Hegemonie des bundesdeutschen Parteimodells unter den westeuropäischen Grünen geht heute zu Ende“, freut sich Gioconda De Santis, führendes Mitglied der italienischen „Liste Verdi“, mit Blick auf die erfolgreichen Franzosen. „Wir in Italien fühlen uns den französischen Kollegen nämlich näher als den deutschen.“ So etwas hört man in Paris natürlich gerne. Dahinter steckt nun allerdings mehr als das bisher allerorts geäußerte Empören über die Arroganz einiger deutsch-grüner Medienstars auf internationalen Konferenzen. Yves Cochet, der bewährte Vordenker von „Les Verts“, malt die grüne Zukunft neu: „Es könnte sein, daß es in Europa bald zwei Modelle für eine grüne Partei gibt.“ Das bundesdeutsche und das französische Modell, wohlverstanden.
Man kann den politischen Partner nur solange mißachten, wie er schwächer ist. Im Aufwind der Wahlprognosen stecken die französischen Grünen vor dem großen deutschen Bruder nicht mehr ein. Beherbergt Frankreich das neue grüne Zukunftsmodell?
„Die Grünen in Frankreich sind eine Wähler- und Medienpartei. Ich finde es gut, daß es auch das gibt“, stellt Freda Meissner-Blau, Leitfigur der österreichischen Grünen, kurz und knapp fest. „Unsere Partei hat mit der Linken nichts zu tun. Wir sind keine Marxisten“, fügt dem der ehemalige Präsidentschaftskandidat der französischen Grünen, Antoine Waechter hinzu. Waechter, ein Mann mit „biederem, konservativem Image“ (Meissner-Blau), ist heute der unbestrittene Führer seiner Partei. Die durch seine Person verkörperte Strategie, die besagt, alle Kontakte zu links-alternativen Gruppierungen abzubrechen und die Grünen unter dem Motto „weder rechts noch links“ in den Wahlkampf zu schicken, hat sich in Frankreich als Erfolgsrezept entpuppt. Vor dem braven Naturschützer Waechter, der ständig den Anschein gibt, lieber über Vögel als über Atomkraftwerke reden zu wollen, haben Politiker, Konzerne und Medien selber jene Angst verloren, die sie sonst gerne vor den grünen „Umweltpazifisten“ schürten. Noch einmal Yves Cochet: „Mit Waechter haben wir es geschafft, von dem rückwärtsgewandten, ausschließlich auf Anti-AKW-Widerstand beschränkten Image der Grünen in Frankreich wegzukommen.“ So erklärt sich, warum sich die politische Frühjahrsmode in Frankreich allenthalben grün gibt, während die Atomkraft hier immer noch kein Thema ist.
Bereits mit seiner Kampagne für die Präsidentschaftswahlen im letzten Frühjahr hatte Waechter erreicht, den französischen Grünen erstmals ein homogenes Profil auf nationaler Ebene zu geben. Wenn er auch in seinen Reden oft und gerne über die regionalen Besonderheiten seines Landes sprach, so war es doch unverkennbar er, der Kandidat, der der Partei den Ton angab. Damit fügte sich die grüne Partei endlich den Regeln französischer Parteipolitik. Längst sind es nicht mehr die Mitgliederzahlen, die einer Partei in Frankreich, wie einstmals den Kommunisten, Stimmen sichern, vielmehr ist es die nationale Kommunikationstrategie einer Partei, die über ihren Wahlerfolg entscheidet. Die dafür erforderliche Professionalität brachte den Grünen ausgerechnet der Nagetier-Experte aus dem Elsaß, Antoine Waechter.
Was also, wenn Waechter, Spitzenkandidat von „Les Verts“ bei den Europawahlen, am 18.Juni mehr Prozente holt als die bundesdeutschen Grünen? „Wundervoll, das wäre wundervoll!“ jauchzt Sara Parkin von den englischen Grünen. „Die deutschen Grünen haben sich um die anderen europäischen Grünen immer wenig gekümmert. Und jetzt merken sie gar nicht, wie die europäische Grünen-Bewegung in ihrem Rücken wächst.“ Tatsächlich bekundeten die Grünen aus der Bundesrepublik ihr Interesse am europäischen Dialog durch eine sehr bescheidene und geringe Teilnahme am Pariser Kongreß. Eines Tages allerdings kann es für sie ein böses Erwachen geben - dann nämlich, wenn sie, wie schon in Paris an diesem Wochenende, bald auch in Rom, Brüssel oder London niemand mehr vermißt.
Georg Blume
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