: „Wir wollen durch, nur durch“
■ Der vom Senat gewünschte autofreie Sonntag war ein einziger Flop / Der Verkehr lief wie immer, die meisten Autofahrer hatten vom autofreien Tag noch nicht mal was gehört / BVG-Billigtarif viel genutzt
„Autofreier Sonntag? Das ist an mir vorübergegangen.“ So oder ähnlich antwortete gestern nachmittag die Hälfte der von der taz befragten AutofahrerInnen. Der Aufruf des Berliner Senats, an diesem Sonntag freiwillig auf das Auto zu verzichten, verpuffte ungehört oder folgenlos. „Der Verkehr läuft“, stellte der Große Lagedienst der Polizei fest. Die Einschätzung, daß das Verkehrsaufkommen nicht geringer war als sonst, deckte sich mit der Wahrnehmung mehrerer Taxifahrer, die ebenfalls keinen Unterschied feststellen konnten.
Auch wenn sie von dem autofreien Sonntag erfahren hätten – die wenigsten wären bereit gewesen, ihr Auto stehenzulassen. „Wenn ich unbedingt hätte fahren müssen, dann wäre ich gefahren“, erklärte ein muffeliger Typ in labbrigen blauen Jogginghosen, während er sein Auto saubermachte. Hoch konzentriert fegte er mit einem Handfeger Krümel vom Hintersitz und pickte Fusseln auf.
Eine 39jährige Krankenschwester, die von der Frühschicht kam, erklärte: „Das ist 'ne Zeitfrage. Mit der BVG brauche ich eine Stunde länger.“ Auch das adrett gekleidete junge Paar im frisch geputzten Wagen dahinter, hätte in jedem Fall das Auto genommen. „Unser Sohn ist krank, und wir fahren zu Omas Geburtstag. Ich bin schon froh, daß er kein Fieber hat“, sagte sie leicht genervt. „Aber das Anliegen finden wir schon gut“, versicherte ihr Partner freundlich. Die beste Ausrede hatte ein türkischer Berliner. Er versuchte sich damit aus der Affäre zu ziehen, daß der autofreie Sonntag auf Neukölln begrenzt sei.
„Ich bin sonst Radfahrerin“, rechtfertigte sich eine junge Frau, an der der Senatsaufruf vorübergegangen war. Klar, hätte sie das Auto stehenlassen, wenn sie es gewußt hätte.
Nicht einmal die Spur von Einsicht zeigte dagegen ein mittelaltes Prolopaar im dunkelroten Mercedes. Schon die Frage nach dem autofreien Sonntag löste bei ihnen Trotzreaktionen aus. Ja, das hätten sie gewußt, na und? Sie steckten schon über eine Viertelstunde in der Friedrichstraße fest, weil der Boulevard Unter den Linden wegen Tausender radelnder Demonstranten abgesperrt war. Für das Ehepaar kein Grund, den Motor abzustellen. „Wir wollen durch, nur durch“, sagte er mit bildzeitungsreifer Prägnanz. „Privat wäre ich nicht gefahren“, erklärte dagegen ein junger Mann im Firmenwagen. „Aber meine Firma beliefert die Klimakonferenz“, sagt er grinsend ob dieses kleinen Widerspruchs.
Die Straße Unter den Linden war gestern nachmittag bei Frühlingstemperaturen fest in den Händen der Radfahrer und Fußgänger. Etliche Passanten trugen die BVG-Plakette „Das Rad der Zukunft“ am Revers und outeten sich damit als Nutzer des Wochenendbilligtarifs von vier Mark. „So billig sollte es öfter sein“, wünschte sich eine Dame, „dann würde ich mehr fahren.“ Auch ein Kreuzberger Ehepaar hatte das Auto stehenlassen. „Wir waren gestern in der City einkaufen, da hat uns der Busfahrer auf das Sonderticket hingewiesen“, sagte die 53jährige Chefsekretärin. „Aber wir sind sowieso nicht die typischen Autofahrer. Wir laufen viel zu Fuß.“ Früher sei sie mit der BVG zur Arbeit gefahren, aber das sei mittlerweile „so ein Horrortrip“. Die U-Bahn sei so „verkommen“. Deshalb habe sie mit 48 noch den Führerschein gemacht. Dorothee Winden
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