: „Wir setzen auf allmählichen Wandel“
Ein Treffen mit AktivistInnen der chinesischen Demokratiebewegung von 1989/ Kontakte und gegenseitige Hilfe unter kritischen Intellektuellen, aber keine festen Organisationsstrukturen der Opposition ■ Aus Peking Klaus Pan
Vom 14. Parteitag der chinesischen KommunistInnen, der am Montag in Peking beginnt, werden wichtige Entscheidungen erwartet. „Sozialistische Marktwirtschaft“ soll sich in China entwickeln. Und dazu braucht es, sagen die Reformer um Deng Xiaoping, ein unverkrampfteres Verhältnis zur Ideologie. Wirtschaftsreformen ja, politische Liberalisierung nein — nach diesem Rezept will die Pekinger Führung China in die Zukunft lenken. Schließlich war ein autoritärer Kapitalismus ja auch in den Ländern erfolgreich, die als naheliegende Vorbilder gehandelt werden: die vier „kleinen Tiger Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur“. Auch dort ging und geht man nicht zimperlich mit DissidentInnen um (die Red.)
„Hier im Haus haben wir so gut wie alle ein Problem.“ Das Gebäude, in dem ich mich mit einigen AktivistInnen der Demokratiebewegung von 1989 treffe, ist eines der baufälligen Wohnheime für jüngere Lehrkräfte an der Peking- Universität (Beida). Die Dozenten und Dozentinnen wohnen dort jeweils zu zweit in acht Quadratmeter kleinen Zimmern, die bis zur Decke mit Büchern und Hausrat vollgestopft sind.
Vorrangiges Disziplinierungsobjekt
Ein „Problem“ haben: das ist an der Beida — wo die demokratischen Proteste 1989 ihren Anfang nahmen — die Umschreibung der vielfältigen Schwierigkeiten, denen die AktivistInnen von damals nach dem Tiananmen-Massaker ausgesetzt waren und wohl noch längere Zeit sein werden. In der kleinen Gesprächsrunde treffen sich viele bekannte Gesichter wieder: Dozenten und ehemalige Doktoranden, die die taz im Frühsommer 1989 interviewt hatte. Die Ereignisse des Jahres 1989 haben ihr Leben total verändert.
Da ist der Politologe, der bis Juni 1989 an der Universität unterrichtet hatte. Er hatte sich damals auf einem Flugblatt als „Berufsrevolutionär“ bezeichnet.
Als einer der Organisatoren der Protestaktionen an der Beida wurde er nach der Niederschlagung der Bewegung ein vorrangiges „Disziplinierungsobjekt“. Er verlor seine Anstellung, erhielt Lehrverbot, wurde auf Versammlungen kritisiert. Die Polizei führte Razzien in seiner Wohnung durch, einer Einladung zu einem Forschungsaufenthalt im Ausland durfte er nicht folgen. Er wurde ein Jahr lang observiert. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden.
Dann sitzt da der „Versöhnliche“, der diesen Spitznamen erhielt, weil er bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Studentengruppen stets auf einen Ausgleich bedacht war und im Pekinger Vorlesungsstreik eine wichtige Vermittlerrolle gespielt hatte. Er durfte seine Promotion nicht mehr beenden, flog von der Uni und wurde Wochen später für ein Jahr als „Rädelsführer“ ins Gefängnis gesteckt. Nach seiner Entlassung wohnte er ein halbes Jahr bei Nachbarn des Politologen, die ihn mit Essen versorgten.
Eine damals 22jährige Studentin hatte eng mit einem der meistgesuchten Pekinger Studentenführer zusammengearbeitet, der inzwischen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Nach dem Massaker brachte sie Spendengelder vor der Polizei in Sicherheit. Sie wurde von Zivilpolizisten verschleppt und in einem Keller 18 Stunden lang verhört, um dann außerhalb von Peking ohne Geld auf die Straße gesetzt zu werden.
Weitere Verhöre folgten. Da ihr nichts nachgewiesen werden konnte, durfte sie ihren Uni-Abschluß machen und soll in Kürze zu einem Schreibjob in ein Nest der Provinz Jiangxi verbannt werden.
Etwas schlimmer erging es jenem Teilnehmer der kleinen Gesprächsrunde, der wegen Verdachts auf Vertrieb illegaler Flugblätter und Beteiligung an Untergrundgruppen innerhalb von drei Jahren insgesamt viermal ins Gefängnis wanderte, aber jedesmal nach wenigen Wochen mangels Beweisen wieder freikam.
„This is a refugee camp“
„Meine Telefonate werden abgehört, von meiner Wohnung aus kann ich manchmal im Haus gegenüber ein Fernglas sehen, das auf mein Fenster gerichtet ist.“ Von allen Anwesenden kam lediglich jener Dozent glücklich davon, der 1989 nur demonstriert und offene Briefe unterzeichnet hatte. Sein Gehalt wurde ein Jahr lang eingefroren, er erhielt Ausreiseverbot. Er wohnt mit seiner Frau ein paar Zimmer weiter — immer noch in der gleichen engen Bruchbude mit derselben ärmlichen Ausstattung wie vor drei Jahren.
Es sind persönliche Schicksale, wie sie Tausende in anderen Variationen ähnlich erlebt haben. Doch die Muster der Verfolgung bleiben immer gleich: Kritik, Berufsverbot, Schikanen, Überwachung, Knast...
„This is a refugee camp“, grinst der Politologe, nachdem jeder kurz seine persönliche Geschichte erzählt hat. Viele bekannte Studentenführer kamen nach der Entlassung aus der Haft hier vorbei und haben ein paar Tage oder auch Wochen hier gewohnt.
Am 25. August tauchte hier auch Shen Tong auf, der 1989 auf der Liste der 21 meistgesuchten Studentenführer stand und ins Ausland entkam. Nun wollte er in Peking ausprobieren, ob die Regierung ihr kürzlich gegebenes Versprechen, Rückkehrer nicht zu verfolgen, ernst nimmt. Shen wurde eine Woche später festgenommen, als er den Versuch machte, auf einer improvisierten Pressekonferenz die Pekinger Sektion der „Stiftung für ein demokratisches China“ zu gründen.
Der Politologe kramt inzwischen unter seinem Bett noch ein paar revolutionäre Reliquien der Bewegung 1989 hervor: ein Megaphon, Teile einer Lautsprecheranlage, einen Strohhut mit der Aufschrift „Studentischer Ordnerdienst der Beida“. Viele der Aktivisten von damals sind nicht mehr in Beijing, einige haben sich im Süden in der Privatwirtschaft engagiert. Ein paar sind sogar Manager florierender Unternehmen geworden und unterstützen durch Spenden oppositionelle Projekte wie das Reform-Symposium, das über 100 kritische Intellektuelle im Pekinger Olympia-Hotel zur Kritik an den Ultra-Orthodoxen in der Partei durchgeführt haben. Andere wurde zwangsweise in abgelegene ländliche Gebiete versetzt.
Nur ganz wenige haben sich Untergrundorganisationen angeschlossen. Der „Versöhnliche“ erklärt: „Im Mai und Juni ist der Polizei durch eingeschleuste Spitzel ein großer Coup gegen Untergrundgruppen gelungen. 30 bis 40 Personen wurden landesweit festgenommen. Es hat unter den gegenwärtigen Umständen keinen Sinn, es ist zu gefährlich. Natürlich bestehen landesweit Informationskanäle und Kontakte unter den kritischen Intellektuellen, aber wir etablieren keine Organisationsstrukturen. Es gibt zu viele Spitzel, die sich als Aktivisten ausgeben.“
Seitdem der Altpolitiker Deng Xiaoping Anfang des Jahres auf seiner Inspektionsreise in die Südprovinzen „mutige Reformschritte“ gefordert hat, ist der Spielraum für kritische Meinungsäußerungen spürbar gewachsen. Manchmal gelingt sogar der Druck politischer Bücher gegen die Orthodoxen wie die „Strömung einer neuen Ära“, das noch vor seinem Verbot ausverkauft war und nun auf dem Schwarzmarkt zu Preisen eines Wochenlohnes gehandelt wird.
Chinas Orthodoxe sind noch sehr stark
„Sind Chinas Intellektuelle auf eine neue Bewegung vorbereitet?“ Auf diese Frage folgt anstelle einer Antwort nur Aufstöhnen und Kopfschütteln. „Diese Dinge“, seufzt der Politologe mit einem Blick auf das alte Megaphon, „wird unsere Generation wahrscheinlich nicht so bald wieder benutzen können. Wir setzen auf einen allmählichen Wandel und wollen ein großes Chaos oder gar einen Bürgerkrieg als Folge eines Systemwandels unbedingt vermeiden. Trotz der Offensive Dengs zugunsten weiterer Wirtschaftsreformen sind die Orthodoxen noch sehr stark. Welchen Kurs China gehen wird, hängt im Moment weniger von uns ab als davon, wer von den alten Führern zuerst stirbt: Deng oder Chen Yun, der Führer der Orthodoxen.“
Es wird Zeit, das Treffen zu beenden, denn Kontakt-Kader Wang wird bald seinen abendlichen Rundgang machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen