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Gentechnik„Wir müssen viel mehr Menschen an den Tisch holen“

Die Gentechnik macht neue Therapien möglich, aber auch Eingriffe ins menschliche Erbgut. Welche Fragen müssen diskutiert werden?

KJ Muddon wurde als erster Mensch mit einer personalisierten Gentherapie behandelt Foto: Chloe Dawson
Adefunmi Olanigan
Interview von Adefunmi Olanigan

taz: Nachdem 2012 die Genschere Crispr/Cas9 die Welt der Gentechnik aufgewirbelt hatte, schien das Feld der Möglichkeiten riesig. Krankheiten könnten von nun an auf DNA-Ebene bekämpft werden, indem einfach die kaputten Gene repariert werden. Aber auch Designerbabys waren plötzlich greifbar wie nie. Vor zehn Jahren gab es den ersten Global Summit zu Gentechnik, bei dem sich Wis­sen­schaft­le­r*in­nen auch zu ethischen Fragen austauschen. Wo steht unsere Ethik in Bezug auf Gen-Editing heute?

Ben Hurlbut: Wir sind mehr als ein Jahrzehnt in dieser Diskussion und trotzdem sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen die wirklich grundlegenden Fragen zu stellen.

Im Interview: Benjamin Hurlbut

Benjamin Hurlbut ist Teil derLeitung des Global Observatory für Gnom Editing. Als Professor an der Arizon State University forscht er an der Schnittstelle von neuen Technologien, Bioethik und politischer Theorie.

taz: Was für Fragen meinen Sie?

Hurlbut: Auf einem unserer Panels hier saß zum Beispiel Vijay Chan­dru aus Indien, er forscht zur Heilung von Sichelzellanämie. Dabei versucht er einen Weg zu finden, eine Gentherapie-Behandlung möglich zu machen, die 20.000 Dollar statt 2,5 Millionen Dollar kostet.

taz: Gentherapien sind extrem teuer.

Hurlbut: Vijay Chandru sagt, es ist keine Innovation, wenn du zwar die Krankheit behandeln kannst, du sie aber nicht an die Menschen bringen kannst. Eine Innovation muss einer Bevölkerung zur Verfügung stehen können. Das war eine extrem wichtige Perspektive.

taz: Die internationalen Konferenzen zu Gentechnik gibt es seit 2015. Vorher hat man das nicht geschafft so grundlegende Fragen zu stellen?

Hurlbut: Wenn man sich die Entwicklung dieser Gipfeltreffen von 2015 bis 2023 anschaut, hieß es anfangs, dass die Bearbeitung etwa des vererbbaren Genoms nicht ohne breiten gesellschaftlichen Konsens erfolgen sollte. 2018 hat He Jiankui die Crispr-Babys geschaffen. Die Reaktion war, dass dies ein unverantwortliches Experiment sei. Deshalb müssten wir einen verantwortbaren Weg entwickeln für Genom-Editierung, also festlegen, wie man dies tun sollte, um es auf die richtige Weise zu tun. Wie falsch die Diskussion bisher lief, zeigte auch die Konferenz 2023.

taz: Inwiefern?

Hurlbut: Auf der dritten Konferenz in London gab es eine Riesensitzung, die im Wesentlichen eine Reihe wissenschaftlicher Präsentationen über die Entwicklung von Eiern und Spermien aus Stammzellen in vitro gewidmet war. Es war wie jede andere wissenschaftliche Konferenz, nur in einem Bruchteil der Zeit ging es um die Themen, die die Gesellschaft am meisten zu beschäftigen scheinen. Also etwa die Frage, wie sich gentechnische Veränderungen an Menschen vererben und was das bedeutet. Nach 2023 wollten die Organisatoren die Konferenzreihe schon beenden. Als wäre alles Wichtige bereits besprochen worden.

taz: Wie ging es dann weiter?

Hurlbut: Wir vom Global Oberservatory for Genome Editing haben beschlossen weiterzumachen, aber wir wollten es anders machen. Das nächste Treffen sollte inklusiver sein, und wir wollten die Perspektiven in den Vordergrund rücken, die seit Beginn des Gesprächs immer wieder zu Wort kommen wollten, aber ausgeschlossen blieben. Wir müssen viel mehr Menschen an den Tisch zu holen.

taz: Mehr Ethiker*innen, Pa­tien­t*in­nen?

Hurlbut: Ja, die Zivilgesellschaft. Und Perspektiven des Globalen Südens, von Religionen und der Blick von Menschen mit Behinderung und Krankheit. Unter diesen Gruppen braucht es Gespräche. Bei den vorherigen internationalen Zusammenkünften hat sich ein Team meist überlegt, welche Fragen geklärt werden müssten. Es ging darum, Pro­ble­me zu lösen, damit man Regeln aufschreiben und dann nach vorn schreiten kann mit der Forschung. Aber so einfach ist das nicht.

taz: Wieso?

Hurlbut: Wir sprechen von Technologien, die in alle Aspekte menschlichen Lebens eingewoben sind und es grundlegend verändert. Natürlich kann man über die Zeit Schlüsse ziehen, welche Einschränkungen sinnvoll sein könnten, was nützt, was schadet. Aber das Gespräch muss immer weitergehen, auch weil sich die Technik immer weiter verändert. Als wir anfingen mit den Summits 2015, hat niemand im Feld über KI gesprochen, jetzt beherrscht sie alles. Und sie berührt ja auch ganz ähnliche Fragen wie die Biotechnologie, weil auch sie verschiedenste Bereiche des menschlichen Seins einnimmt, die vielleicht bewahrt werden müssten.

taz: Es geht also eigentlich um die Frage, was bedeutet es, Mensch zu sein?

Hurlbut: Genau, um Technologien zu steuern, muss man immer mit dem Menschen beginnen. Ganz wie in Deutschland im Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und alles, was du danach machst, folgt dann diesem Grundsatz. Nur so können wir unsere Menschlichkeit bewahren und sicherstellen, dass die Technologie im Dienste der Menschheit steht und nicht umgekehrt. Das ist selbst zu guten Zeiten eine ziemliche Herausforderung und fordert einen gewissen Internationalismus, einen freien Fluss von Ideen und Begegnungen zwischen Menschen auf der ganzen Welt. Aber allein, Menschen von der ganzen Welt zum Gespräch zusammenzubringen, wurde in den vergangenen Monaten während unserer Planung zunehmend schwerer. Und wir haben es selbst auf unserer Konferenz gemerkt.

taz: Inwieweit?

Hurlbut: Wenige Minuten vor unserem Panel zu kosmopolitischer Ethik, die auf dem Engagement zwischen Menschen und Völkern der Erde beruht, kündigt die Trump-Regierung an, der Harvard-Universität die Möglichkeit zu entziehen, internationale Studierende aufzunehmen. Das widerspricht völlig dem Geist von Wissenschaft als einem international ausgerichteten menschlichen Unterfangen.

taz: Die Trump-Regierung tut viel, um Forschung als internationales Vorhaben einzustampfen.

Hurlbut: Im Moment erleben wir eine Art fundamentalistischen Glauben an Innovation als Quelle des Fortschritte, der ist falsch gesetzt. Es bräuchte ein reflektierenden Glauben. Innovation wird heute so verstanden, dass verschiedene Nationen darum in einem Wettbewerb konkurrieren. Dann heißt es, wir als Land müssen bei der künstlichen Intelligenz an der Spitze stehen, damit China es nicht tut, wir müssten dominieren, Technologien kontrollieren. Da ist kein Gedanken darüber überhaupt möglich, ob wir mit der KI vorpreschen sollten oder was es zur Regulierung bräuchte, weil dann könnten wir ja verlieren. Das ist weit weg von dem Gedanken von Technologien als gemeinsames Gut der Menschheit, und es ist das Ende des Internationalismus.

taz: Welche Wege gibt es aus diesem Dilemma?

Hurlbut: Ein Plan könnte sein, das gesamte Thema größer zu denken. Hin zu Menschlichkeit als Leitprinzip. Wir wollen eine Charta für neue Technologien und Menschenwürde schaffen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurden zu einem Zeitpunkt errungen, als die Technologien noch nicht in den grundlegendsten Dimensionen unseres Lebens eingebettet waren. Wir müssen also die Menschenrechte weiterdenken im Sinne von Rechten, Beziehungen und Würde in Bezug auf die technologische Struktur der Welt. Den Prozess wollen wir international in Gang setzen und auch institutionalisieren.

taz: Das klingt sehr abstrakt. Wie sollte so eine Institution denn aussehen?

Hurlbut: Diejenigen, die unseren Ansatz am euphorischsten unterstützen, sind Kollegen aus zwischenstaatlichen Organisationen wie der WHO, die OECD und der Europarat. Mit ihnen stehen wir im Austausch.

taz: Also sollte man eine Art Welttechnikorganisation gründen?

Hurlbut: Wir sind noch nicht so weit, dass wir da einen klaren Weg vorgeben, wie wir das international angehen. Aber wir starten ein Gespräch.

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