Wir lassen hören: Laß uns tun, als sei 77!
■ Der Punkrockadel der Republik feiert den FC St. Pauli mit echt Selbstkomponiertem
Musik und Fußball, das war hierzulande traditionell noch nie eine sonderlich glückliche Verbindung. Abgesehen natürlich vom FC St. Pauli. Am Millerntor wurde erfolgreich der Beweis angetreten, daß, wenn die Fans nur halbwegs musikalisch sind, die Stimmung auf den Rängen unabhängig wird vom Fußball, der unten gespielt wird. Nun droht St. Pauli sportlich selbst in der zweiten Liga im Mittelmaß zu versinken, also könnte der Zeitpunkt kaum besser gewählt sein, Kick und Popkultur eine Fußballrestdeutschland schreckende Allianz eingehen zu lassen. Dazu hat das Fanzine Übersteiger von 18 Bands Songs zum Thema St. Pauli einspielen lassen, Fangesänge gesammelt und als CD, „Der FC St.Pauli ist schuld daran, daß ich so bin“, herausgebracht.
Allerdings: Mal abgesehen von den musikalischen Grüßen aus dem fernen Glasgow, wo die Celtic-Kumpels wohnen, bewegt sich die stilistische Bandbreite gerade mal zwischen dem Oi! von Smegma und dem Melodycore der Bates. Also: Punkrock rules. Laß uns einfach noch mal so tun, als sei 1977, als in London Malcolm McLaren in seinem Klamottenladen die Sex Pistols rekrutiert und hierzulande der FC St. Pauli in die Bundesliga auf- und ein Jahr später gleich wieder absteigt.
„Anders als wie ihr“: Geteiltes Leid Abb: Cover
Punkrock als Grundvoraussetzung ist zwar jederzeit besser als der DFB-Rest (Ich sage nur: Puhdys für Hansa Rostock), für die Champions League aber reicht es nicht, solange in England spontan aktuelle Hits von den Stehtribünen adaptiert werden, Britpopper beim Freizeitkick die Hosen runterlassen und Del Amitri veritable Hymnen dichten. Schließlich ist deutscher Punkrock wie deutsche Wertarbeit: verläßlich und ziemlich langweilig.
So dichtet direkt nach Anpfiff die Gurkentruppe (die Berliner Terrorgruppe in leicht veränderter Aufstellung) übel klischeehaft: „Keiner feiert und leidet so wie wir.“ Kurz vor den Linie retten sie mit schön schlechtem Deutsch den Reim dann doch noch halbwegs: „Denn wir sind anders als wie ihr.“ Dafür folgen sofort anschließend die musikalischen Höhepunkte: Ärzte-Schlagzeuger Bela B., der bei Heimspielen angeblich regelmäßig zum Bierholen geschickt wird, knödelt sich als Mr. Felsenheimer in „Dusty Crown“ zum Westentaschenelvis, während ihm die Perry Spinoza Gang einen flotten Cowpunk-Hit darunterlegt. Um von der Tribüne in die Praxis umgesetzt zu werden, müßte der Refrain „Take a little bit of brown/ Take a little bit of white/ St. Pauli's gonna hit and change your world tonight“ allerdings wohl leicht verlangsamt werden. Dann dichten die Bates den Eric-Burdon-Klassiker „When I was Young“ um und erinnern sich fast schon verzweifelt an die ersten Besuche am Millerntor. Fazit: Papa ist schuld, er hat mich mitgenommen.
Und zum Abschluß der besten neun Minuten, die diese Platte zu bieten hat, gehen Prollhead hintergründiger mit ihrem Verein ins Gericht, als es der Großteil der Presseveröffentlichungen zum Thema schafft. „Die Hütte ist voll, aber die Kasse ist leer“, beginnt die Analyse, die im Refrain gipfelt: „Mißwirtschaft, Mißwirtschaft/ Beim FC St. Pauli herrscht Mißwirtschaft.“ Doch das Mißtrauensvotum ist konstruktiv: Schalck-Golodkowski oder Ion Tiriac werden als Manager empfohlen, die könnten wenigstens „mit Geld umgeh'n“. Die Marketingabteilung des FC hat die CD trotzdem abgesegnet, das Vereinslogo konnte verwendet werden, und auch der Trikot- Sponsor unterstützt die Veröffentlichung.
Aber es geht auch anders: Kick Joneses' Jubelhymne ist nicht nur langweilig, sondern auch so austauschbar, daß sie selbst als offizielle Fan-Hymne des HSV durchgehen könnte. „Dieser Club ist mein Zuhause, dieser Club ist einfach gut“ heißt es da, und in der „dritten Halbzeit“ wird solange gesoffen, bis man „unterm Tresen liegt“. So unironisch gehts immerhin selten zu. So bieten No Respect mit ihrer Ska-Version von Rudi Carrells „Wann wird's mal wieder richtig Sommer“ nicht nur bitter nötige musikalische Abwechslung, sondern widmen sich textlich dem Mediendiktat, fordern Fan-Mitbestimmung und die Abschaffung von Montagsspielen. Am anrührendsten allerdings die dauerhaft enttäuschte Liebe von OL, aus der er zusammen mit ...But Alive eine herzerweichende Ballade gezimmert hat.
Der Rest ist die Sorte Punkrock, wie wir ihn kannten und nicht unbedingt wiederhören wollten. Die norwegischen Freunde von Turbonegro sorgen nicht nur dafür, daß der Oberlippenbärtchenfaktor unterm Millerntor-Publikum sich hin und wieder halbwegs dem in anderen Stadien angleicht und die kackbraunen Pauli-Trikots schon zu Bühnenehren kamen, sie liefern auch wieder ihren gemeinen Schweinerock ab, den mancher lustig, aber viele nur unerträglich finden. Die Bazookas beweisen, daß der Refrain „Auswärts-, Auswärts-, Auswärtsspiel“ nicht so recht elegant zu singen ist. Kickernamen eignen sich offensichtlich auch wenig, wie Phantastix in „Ballfänger“, ihrer Lobhudelei auf Klaus Thomforde, vorführen.
Der deutsche Fußball steckt in einer Krise. Der FC St. Pauli steckt in einer Krise. Warum sollte es dem deutschen Punkrock da anders gehen? Thomas Winkler
Heute abend Record-Release-Party mit Gurken/Terrorgruppe, No Respect, Phantastix und Éire Óg in den Docks in Hamburg
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