Wir fordern: Nachhaltige Digitalprodukte
… weil wir unseren immateriellen Konsum bewusst gestalten sollten. Digitale Services und Produkte tragen einen großen Teil zu unserer Klimabilanz bei.
Für den Großteil der Bevölkerung gehört das Handy zu einem der Produkte, die wir haptisch noch greifen können. Damit wir dieses kleine, technische Gerät in den Händen halten können, fallen bei der Herstellung eines gewöhnlichen Smartphones laut einer Studie des schwedischen Abfallwirtschafts- und Recyclingverbandes Avfall Sverige 86 Kilogramm Abfall an.
Doch kann dieses Gerät eigentlich als einzelner Gegenstand betrachtet werden? Sobald wir unsere schwarzen Displays entsperren, springen uns ad hoc verschiedene Apps und Services ins Auge, die wir unmittelbar besitzen. Diese Dienste wie Netflix, Youtube oder Twitch konsumieren wir täglich, ohne dass uns die konkreten Auswirkungen auf die Umwelt bewusst sind.
2019 wurde eine Studie des französischen Thinktanks „Shift Project“ veröffentlicht, nach der beim globalen Videokonsum im Internet mehr als 300 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verursacht werden. Da konkrete Zahlen schwer zu erheben sind und meist auf Schätzungen beruhen, beauftragte das Umweltbundesamt Forscher:innen mit einer Untersuchung zu dieser Thematik. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass vor allem die Transfertechnologie, wie Daten von Rechenzentren zu Nutzer:innen übertragen werden, eine entscheidende Rolle für die Klimaverträglichkeit von Cloud-Diensten spielt.
Dieser Text ist im Rahmen des Sommercamps der taz Panter Stiftung entstanden und spiegelt nicht die Meinung der taz-Redaktion wieder.
So bedeutet die Verschiebung unserer Konsumwelt von analog nach digital vor allem eins: Es werden weiterhin Ressourcen benötigt. So sollte nicht allein die Berechnung von Gesamt-CO2-Verbräuchen darüber entscheiden, ob ein Service sinnvoll ist oder nicht.
Bei der Erstellung von digitalen Produkten und Services ist Voraussetzung, dass mindestens eine klar benennbare Nutzergruppe direkt von einer durchdachten Lösung profitiert. Zum Beispiel wird die Regenradar-App von Seglern, der Bergrettung oder auch Touristen gleichermaßen genutzt, um eine stabile Wetterprognose zu erhalten. Die digitale Patientenakte wiederum unterstützt Behandelnde wie Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen, Physiotherapeut:innen sowie auch Patient:innen.
Das heißt: Konkrete, langfristige Anwendungsfälle sowie die Anzahl der Nutzer:innen sind ein erstes Indiz, ob eine digitale Produktentwicklung nachhaltig ist. Aufschluss darüber gibt dem Produzenten eine möglichst frühe Befragung und Vertestung von Software-Ideen mit den adressierten Nutzer:innen. Größter Anreiz sollte dabei sein, dass Software anders als Hardware ständig angepasst werden kann. Kurze, schnelle Entwicklungszyklen stehen langen, teuren Herstellungsprozessen gegenüber. Unternehmen könnten bewusst früh Fehler in Kauf nehmen und Entwicklungen stoppen, bei denen kein Mehrwert bei der Nutzung nachgewiesen werden kann. Klimaneutrales Datenhosting, Möglichkeiten für Wartung und Reparatur von Zugangsgeräten und Datenschutz bleiben weiterhin Kernthemen.
Es gelten andere Parameter für die digitale Produktentwicklung als für die analoge. So scheint, dass zu viel Datenproduktion uns in der realen Welt zum Verhängnis werden könnte.
Leider entscheidet in der Realität noch oft die Technologie-Verliebtheit über Neues. Die Methode „Technologie sucht Nutzer“ lässt digitale Umgebungen wie das Metaverse entstehen und führt unsere Gesellschaft zu neuen postmaterialistischen Fragen. Auf einmal ist die Autonomie der Nutzer:innen und die haptische Erfahrbarkeit von Dingen komplett ausgehebelt. Die Welt wird zu einem puren Abbild, erlebbar durch Hilfsmittel wie VR-Brillen und Handschuhe. Bleibt die Frage: Können wir die Dinge noch fühlen, die wir besitzen?
ULRIKE MASCHEREK UND SALIH KUSINI
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