■ Wir bauen die Hauptstadt: Das Bundeskanzleramt ist ein Schiff
Bernhard Stein, 23 Jahre. „Ich arbeite seit Anfang dieses Jahres hier und bringe Beton ein. Die Baustelle läuft ganz gut, aber ob wir in der vorgesehenen Zeit fertig sein werden, weiß ich nicht. Ich bin nur ein kleiner Baulude. Das hier ist aber schon etwas anderes, als wenn man ein normales Haus baut. Dies ist eine Großbaustelle, und es herrscht Massenbauweise. Aber trotzdem kennt man sich hier, auch die Ausländer. Viele kommen aus Holland, Spanien und Portugal. Ich selbst bin ein richtiger Berliner. Teilweise springen wir ja bei den Ausländern, also den Subunternehmern, immer wieder ein. Zum Beispiel bei Weißbeton, das betonieren wir Deutschen meistens. Das Material ist ziemlich schwer zu behandeln. Die Gefahr ist: rux fax! wird das hart. Die Subunternehmer gehen ja auch schon mal pleite. Wie ich den Bundeskanzler und die SPD finde? Na, das kann ich noch nicht richtig sagen. Die müssen sich erstmal entfalten. Die SPD hat in der Politik noch keine Erfahrung. Der Schröder weiß ja ganz genau, was er will. Aber die Grünen schießen immer quer. Außerdem muß man beobachten, wie sich die Kosten für die Arbeitnehmer entwickeln. Das Problem ist, daß die Politik insgesamt Geld für Projekte ausgibt, das sie nicht hat, zum Beispiel für den Transrapid. Allerdings gebe ich zu, daß ich beim Transrapid wegen der modernen Technologie auch traurig wäre, wenn sie das Projekt sausen lassen. Das bringt Arbeitsplätze, wie diese Baustelle auch. Ich hoffe, daß das Bundeskanzleramt ein Wahrzeichen Deutschlands wird. Es soll in ganz Deutschland publik werden. Zwar haben wir das Reichstagsgebäude, aber wir brauchen auch ein Zeichen für das neue Deutschland, für ein modernes Land, für die Demokratie. Wenn man das Gebäude von oben ansehen würde, sieht es aus wie ein Schiff. Ganz vorn ist das Kanzlerauge. Er guckt voraus, hat Weitblick. Dann läuft das Gebäude ganz spitz zu. Ganz oben wird so eine Art Kajüte gebaut. Ein Schiff drückt Stärke aus. Wenn einmal eine Flutwelle kommt, schwimmt es trotzdem.
Das neue Bundeskanzleramt wird im Spreebogen am nördlichen Rand des Tiergartens gebaut. Im Juni 1995 entschied sich die alte Bundesregierung nach einem Architektenwettbewerb für den Entwurf der Berliner Architekten Exel Schultes und Charlotte Frank. Altbundeskanzler Helmut Kohl sagte damals: „Der Entwurf strahlt gelassenes Selbstbewußtsein aus. Er vereint Bescheidenheit mit Würde.“ Die Verwendung von Glas als Baustoff sorgt für Helligkeit und soll Offenheit signalisieren. Das Zeremoniell für Staatsgäste wird künftig auf dem Ehrenhof an der Ostseite des Gebäudes stattfinden. Den Bürgern soll es den ursprünglichen Planungen zufolge möglich sein, vom öffentlichen Forum aus dem protokollarischen Geschehen zu folgen. Die Projektkosten des neuen Kanzleramtes betragen rund 440 Millionen Mark. Annette Rollmann
wird fortgesetzt
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