: Wir basteln eine neue Welt
Selbst die offenste Erwartungshaltung kann unterlaufen werden. Das zeigt die Performancegruppe Gob Squad, die das Life-Art Minifestival „What You See Is What You Get“ im Podewil eröffnete
von CHRISTIANE KÜHL
Ganz generell gesprochen ist es natürlich gar nicht schön, wenn die Welt untergeht. Andererseits: Wenn zufällig Gob Squad in der Nähe sind, kann die Sache durchaus ihren Reiz haben. Dann gibt es grüne Bowle zur anhaltenden Explosion im schönsten Karminrot, Luftballons und auch den jungen Menschen tröstende Worte: „Let's face it: The old world sucked.“
Gob Squad sind eine Art lächelnder Tranqualizer für alle Lebenslagen. Die deutsch-englische Performancegruppe, die seit ihrem ersten Auftritt 1994 beim Gießener Diskurs-Festival schon ein Dutzend Performances in Wohnungen, Theatern, Möbelgeschäften oder auf Parkplätzen vorstellte, hat es sich zur Hauptaufgabe gemacht, dem postmodernen Menschen in seiner Zerrissenheit zu Momenten schönster Kongruenz mit dem eigenen Verlangen zu verhelfen. Ohne sich zu schämen. Bei ihrer jüngsten Performance „Say It Like You Mean It – The Making Of A Memory“ führt das dazu, dass erwachsene Menschen sich Alufolie um die Hüften schmiegen, Kellog's-Kisten vor den Bauch schnallen oder Pappbecher über die Ohren binden und dabei sehr glücklich aussehen.
Dabei ist die Situation eine ernste. Das Publikum wird in kleinen Gruppen an der Kasse des Podewils abgeholt, mit einer Taschenlampe ausgerüstet und gebeten, der jungen Frau in Gummistiefeln durch das dichte Laubwerk zu folgen. Über den ausgestorbenen Hof, durch den verlassenen Hinterflügel, vorbei an rauschenden Kassettenrekordern führt die Expedition zum Unterschlupf im Theatersaal. Dies ist der schönste Moment der später auf zwei Stunden ausufernden Produktion: das Betreten des Bühnenraums, einem großen, hellen Zelt angefüllt mit Utensilien einer Gartenparty für Groß und Klein. Ballonlampen, Plastikstühle, Sitzkissen, Bastelpapier, Girlanden, Eimer, Schokoküsse, Hollywoodschaukel, Schallplattenspieler, Tesafilmrollen und andere vertraute Überflüssigkeiten machen den Raum zu einer begehbaren Trash-Collage, fast so schön wie Laura Kikaukas „Schmalzwald“.
Dann aber geht erst mal die Welt unter. Die Geschichte des freizeitgesellschaftlichen Fortschritts zieht in einer Diashow vorbei. „The world has reached it's Haltbarkeitsdatum“, erklärt Simon Will, doch hier im Mikrokosmos Zelt seien wir „sicher wie vakuum verpackte Würstchen“. Das muss und will gefeiert werden. Berit Stumpf schenkt Survivor-Bowle aus und macht Mut, die Situation als Chance zu begreifen: „Jetzt können wir die Welt so basteln, wie wir sie wollen.“ Basteln ist das Stichwort. Den Rest des Abends verbringen die zahlenden Gäste damit, sich aus Pappe, Kleber und Bierdosen „Superschutzanzüge“ herzustellen wie zuletzt beim Fasching 1976. And the beat goes on.
Passieren tut dann im Wesentlichen nichts mehr. Als das Publikum sich ausgelassen für das Erinnerungsfoto zurecht macht – das am Ende wirklich jedem Einzelnen mit nach Hause gegeben wird –, werkeln auch die Schauspieler an der Ausstattung. Nur selten zentrieren sie die Aufmerksamkeit, um unaufdringlich Utopien zu verlauten („Die neue Welt stelle ich mir vor wie eine Welt voller geistreicher Witze“) oder die Schöpfung bildhaft voranzutreiben. Das Zelt will verteidigt, ein Ave Maria gesungen und ein Kind geboren werden. Die Zuschauer prozessieren im Gänsemarsch durch ein Tor der Harmonie, lassen sich speisen und scheinen glücklich, dass selbst die offenste Erwartungshaltung noch unterlaufen wird. Das Geschehen bleibt trotz aller christlichen Anspielungen sinnlos, aber immerhin handelt es sich um eine Leere, die aktiv mitgestaltet wird. Insofern ist „Say It Like You Mean It“ eine vulgär-theatrale Buddhismusvariante: Nichts mehr wollen und ein großes Grinsen im Gesicht.
Gob Squads Performance eröffnete Mittwoch das Life-Art Minifestival „What You See Is What You Get“ im Podewil. Ebenfalls zu Gast sein werden die unbedingt sehenswerten Forced Entertainment aus Sheffield mit „Emanuelle Enchanted or The discription of the world as if it was a beautiful place“ (ein Klassiker von 1992) sowie, erstmals in Berlin, PME aus Montreal/Toronto mit der zwischen Tanz und Performance changierenden Produktion „En Français Comme En Anglais, It's Easy To Criticize“. Genießen wird sicher auch nicht schwerfallen.
„Say It Like You Mean It“, bis 3. 10. (außer 1. 10.); „Emanuelle Enchanted“, 6. bis 8. 10.; „En Français Comme En Anglais, It's Easy To Criticize“, 11. bis 14. 10., jeweils 21 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68-70, Mitte
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