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Wir Wunderkinder

Und dabei waren die Anfänge doch so viel versprechend: Wes Anderson zeigt auch in seiner Ballade von Aufstieg und Fall der „The Royal Tenenbaums“ weiterhin Interesse an der Mittelklasse-Kindheit

Seit „Rushmore“ gilt er als Kultregisseur, an dem sich die Geister scheiden

von BARBARA SCHWEITZERHOF

Vielleicht waren ja wir alle mal Wunderkinder – nur dass niemand davon je erfahren hat, weil unsere ganzen großartigen Leistungen und frühen Erfolge „ausgelöscht wurden von den 20 Jahren des Scheiterns, der Mutlosigkeit und der Katastrophen, die danach kamen“. Wie eben bei Richie, Chas und Margot, den drei Tenenbaum-Kindern, deren Kindheitsende die Stimme aus dem Off mit diesem traurigen Resümee kommentiert. Dabei waren die Anfänge so viel versprechend: Richie schon in jungen Jahren ein Tennischampion und außerdem noch musisch begabt – wir sehen sein Kinderzimmer voll selbst gemalter Bilder –; Chas, das frühreife Finanzgenie mit ausgefallenen Geschäftsideen – hektisch am Computer und an mehreren Telefonen zu Gange; Margot, die begabte Dramatikerin, die schon mit sieben Jahren ihr erstes Stück zur Aufführung bringt – schon ihre kajalgeschwärzten Augen weisen sie als frühreife „Bohèmienne“ aus. Und trotzdem ist aus allen schlussendlich nichts geworden!

Den beeindruckenden Reigen der Begabungen präsentiert Regisseur Wes Anderson in einem fast nicht enden wollenden Vorspann, und erst wenn man es, eingelullt von der samtenen Erzählstimme, schon gar nicht mehr wahrhaben will, setzt die eigentliche Filmhandlung ein: zwei Jahrzehnte später, zu einer Zeit, als bei allen dreien das einstige Talent nur noch in der Exzentrik ihrer Depressionen erkennbar ist. Margot – eine auf wunderbare Weise kaum wiederzuerkennende Gwyneth Paltrow – schreibt keine Stücke mehr, sondern schließt sich tageweise im Badezimmer ein, um heimlich zu rauchen; Chas, den Ben Stiller im roten Adidas-Trainingsanzug bemerkenswert unsympathisch gibt, leidet in Folge des Unfalltods seiner Frau unter einer Art Katastrophenschutz-Manie; und Richie schließlich, gespielt von Anderson-Clan-Mitglied Luke Wilson, vertreibt seine Zeit sinnlos auf einem abgetakelten Ozeandampfer mit dem klingenden Namen „Côte d’ivoire“. Da kündigt Vater Royal, seit Jahrzehnten von der Familie getrennt lebend, an, Darmkrebs im letzten Stadium zu haben, und bietet damit seinen Kindern einen willkommenen Vorwand, aus der Unbill des Erwachsenenlebens noch einmal zurückzukriechen in die Obhut des Elternhauses. Wundersamerweise sind dort unter der milden Ägide von Mutter Etheline (Anjelica Huston) alle drei Kinderzimmer museal erhalten worden.

Wie die großen Erwartungen, die wir als Kinder in uns selbst setzten – reich und berühmt zu werden –, ist auch die Sehnsucht, nach dem Scheitern dieser Ambitionen lieber ins Paradies der Kindheit als in die schnöde Wirklichkeit zurückzukehren, ein weit verbreitetes Phänomen. Und obwohl Anderson uns die Tenenbaums als etwas ganz Besonderes vorstellt, ist es leicht, in ihnen gleichzeitig jene ganz normale Skurrilität zu erkennen, die dem eigenen Selbstwertgefühl entspricht. Befördert wird diese Nähe durch den eklektischen Mix von Darstellungselementen, die Anderson zum Einsatz bringt: Das Familienhaus mit der erfundenen New Yorker Adresse scheint einer amerikanischen TV-Serie der Sixties entsprungen, die eingeblendeten Buchpublikationen der zahlreichen Nebenfiguren erinnern an John Irving, die ironische Verdichtung jugendlicher Verzweiflung an Salinger. Durch Unterteilung in Kapitel, eingeblendet als Buchseiten, maskiert sich der ganze Film als Literaturverfilmung, während die stereotype Auszeichnung der Charaktere durch immer gleiche Accessoires – Chas und sein Trainingsanzug, Richie und sein Stirnband, Margot und ihr Pelzmantel – eher an das Verfahren von Comics erinnert. Der sorgfältig ausgewählte Soundtrack schließlich liefert ein Paradebeispiel für jene vertrackte Strategie von Ab- und Ausgrenzung durch Geschmackshierarchie, die Jugendliche und die, die es geblieben sind, bei der Identitätssuche anwenden.

In dieser kruden Mischung von Bezugnahmen liegt Wes Andersons eigentliche Originalität. Seit seinem zweiten Film „Rushmore“ gilt er als Kultregisseur, an dem sich die Geister scheiden. Während die einen den Kopf darüber schütteln, was andere an seinen kruden Filmchen finden, fühlen sich die dadurch ausgezeichnet, einen so speziellen Humor wie den Andersons zu verstehen – und wundern sich dann, in welch großer Gemeinde sie sich befinden. Das besonders „Kultige“ an Anderson und seinen Filmen ist dabei das durchgehende Interesse für so etwas Unhippes wie behütete Mittelklasse-Kindheiten. Genauer gesagt für deren melancholische Untiefen. Ob im Erstlingswerk „Bottle Rocket“, in „Rushmore“ oder nun den „Tenenbaums“, stets fällt es den Hauptfiguren ungeheuer schwer, aus dem Schatten ihrer Kindheit auszutreten. Sie geben dabei dem sehr berechtigten Gefühl nach, dass es dort immer noch etwas zu erledigen gibt.

Dem Interesse an familiären Strukturen vor der Kamera entsprechen Andersons Produktionsstrukturen: In allen seinen Filmen sind in Haupt- und Nebenrollen die drei Wilson-Brüder, Owen, Luke und Andrew, vertreten, die er seit den Studientagen in Texas kennt, wobei Owen außerdem an allen drei Drehbüchern mitgeschrieben hat. Auch der Darsteller des indischen Bediensteten der Tenenbaums, Pagoda, ist als Faktotum stets dabei. Diese Art Arbeiten hat dazu beigetragen, dass Anderson Insider-Joking vorgeworfen wird. Und doch ist es genau dieser Charme des Unter-sich-Seins, der die Filme anrührend und komisch zugleich macht.

Owen Wilson spielt im Übrigen die Rolle des Nachbarjungen Eli Cash, der sein Leben lang davon träumt, ein Tenenbaum zu sein. Was der empfängliche Zuschauer gut versteht, denn obwohl die Tenenbaums eine zutiefst unglückliche Familie sind, ist es immer noch besser, zu einem Verbund von Depressiven zu gehören, als alleine daneben zu stehen. Und außerdem ist Gene Hackman als Royal zwar ein unsensibler und rücksichtsloser Vater, aber die Lektionen, die er erteilen kann, haben wahrhaft heilende Funktion.

„The Royal Tenenbaums“. Regie: Wes Anderson. Mit Gene Hackman, Anjelica Huston, Ben Stiller, Gwyneth Paltrow u. a., USA 2001, 109 Min.

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