Wintersport und Corona in Österreich: Wien will bisserl auf die Piste
Die österreichische Regierung will Skigebiete, Hotels und Lifte möglichst bald wieder aufsperren. Die Infektionszahlen bleiben derweil hoch.
Ein Verurteilen des Wintertourismus wird es in Österreich nicht geben.“ Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) will den weihnachtlichen Skiurlaub nicht aufgeben. In einem Interview im Nachrichtenjournal „Zeit im Bild 2“ am Donnerstag bleibt sie zwar Antworten schuldig, auf welchen Wert die Infektionszahlen gedrückt werden müssen, dass Hotels und Lifte noch vor den Feiertagen aufsperren können. Gleichwohl konnte sie nicht oft genug betonen, wie sicher Skifahren in Österreich sei.
Derzeit verhandeln die EU-Staaten über eine gemeinsame Linie der Alpenländer. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dringt darauf, bis 10. Januar alle europäischen Skigebiete geschlossen zu halten, um neue Corona-Ausbrüche wie in Ischgl zu verhindern. Auch Italien befürwortet dies.
Österreich stellt sich dagegen. Köstinger sagte, sie könne versichern, dass „man sich auf der Skipiste beim Skifahren das Coronavirus nicht holt“. Höchstens beim Feiern danach. „Aber das schließen wir heuer aus.“ Après-Ski und Hüttengaudi im Stil des Tiroler Super-Spreader-Dorfes Ischgl werden in Coronazeiten nicht mehr angeboten.
Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer hat sogar eine Garantie abgegeben, dass Skifahren in seinem Bundesland sicher sei. Die Zuversicht der Politik erstaunt Beobachter, die sich die Infektionszahlen ansehen. Zwar haben im November erst ein weicher und dann ein strenger Lockdown die Anzahl der täglichen Neuinfektionen von fast 10.000 auf knapp unter 5.000 gedrückt, doch liegen die Werte proportional mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Und täglich sterben um die hundert Menschen an Covid-19.
In Tirol kommt jeder zweite Wintergast aus Deutschland
Gregor Hoch, der in Lech am Arlberg das Hotel Sonnenburg betreibt, wird wahrscheinlich vor dem Jahreswechsel gar nicht mehr aufsperren. 88 Prozent seiner Gäste kommen aus dem Ausland. Sämtliche Buchungen für die Weihnachtsfeiertage wurden storniert. Selbst wenn doppelt so viele Österreicher kämen wie sonst, würde ihn das nicht umstimmen. Denn derzeit gebe es keine Hinweise, dass Deutschland seine Reisewarnung für Österreich aufheben werde. Um kostendeckend zu arbeiten, brauche man 40 bis 45 Prozent Auslastung, rechnete er am Donnerstag im Ö1-„Mittagsjournal“ vor.
In Tirol kommt jeder zweite Wintergast aus Deutschland, in Vorarlberg sind es gar 60 Prozent. Oliver Fritz, Tourismusexperte am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, kennt eine Umfrage, wonach sich auch die Übernachtungen der Einheimischen in den Wintersportgebieten gegenüber normalen Jahren halbieren würden. Wenn denn überhaupt die Lifte angeworfen und die Hotels aufgesperrt werden. Das hält Fritz angesichts der hohen Fixkosten für fraglich. Gleichzeitig würde man mit einer zu frühen Eröffnung der Urlaubssaison den Februar gefährden, erfahrungsgemäß ein ganz starker Monat für den Wintersport.
In den sozialen Medien erntet die Tourismusministerin Köstinger für ihren Kurs aber vorwiegend Unverständnis. „Skifahren zu Weihnachten bei Infektionszahlen über 3.000?“, fragt sich eine Userin. Auf den Boden der Coronawirklichkeit holt auch der Kommunikationsberater Rudi Fußi, ein besonders fleißiger Twitterant: „Frau Köstinger freut sich also aufs Skivergnügen. Zeitgleich werden in Tirol Beerdigungen verschoben, weil Krematorien mit dem Verbrennen der Leichen nicht mehr nachkommen.“
Dezember- und Januar-Entschädigung wäre teurer
Die Journalistin Leila Al-Serori hält Köstinger in den sozialen Medien Scheinheiligkeit vor: „Die gleiche Ministerin hat im Frühjahr übrigens die Parks in Wien sperren lassen mit der Begründung, es sei zu gefährlich – auch an der frischen Luft“. Der PR-Berater Stefan Albin Sengl will auf Twitter Emotion aus der Debatte nehmen: „Natürlich ist Skifahren in Sölden riskanter als Spazierengehen in Schönbrunn. Ob man deshalb die Wintersaison abdreht, ist Frage einer Gesamtabwägung. Wo wirtschaftliche Interessen priorisiert werden, sollte man das aber offen darlegen – sonst werden die Argumente immer absurder“.
Dass es um Wirtschaft geht, ist kein Geheimnis. Hoteliers würden eine Entschädigung in Höhe von 80 Prozent des Vorjahresumsatzes vorziehen. Für die Zeit des Lockdowns im November wird das sehr unbürokratisch ausgezahlt. Aber der November ist der umsatzschwächste Monat des Jahres, Dezember und Januar würden erheblich mehr kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands