Wintersemester an Unis fängt an: Es muss nicht immer Hamburg sein
Tausende Studienänfänger:innen wollen an die beliebten Unis in Großstädten. Dabei ist der Numerus Clausus in vielen Bundesländern niedrig.
Der Grund für die Überarbeitung: Lara will Psychologie studieren und die Studienplätze sind hart umkämpft. Lange sah es so aus, als würde sie gar keinen Platz ergattern, trotz der großen Anstrengung während der Schulzeit. Lara kassierte eine Absage nach der anderen. Nur wegen einer Härtefallregelung darf sie nun doch an der Universität Hamburg anfangen.
So wie Lara ergeht es vielen Schüler:innen kurz vor dem Abitur. Sie rechnen für jede Klausur die Mindestnote für den perfekten Schnitt aus, lernen bis zum Umkippen – und kriegen dann trotzdem keinen Platz in ihrem Wunschstudium.
In Deutschland gilt eigentlich das Recht auf freie Berufswahl. Eigentlich. Doch die Anzahl der Bewerber:innen steigt an vielen Unis schneller als die Zahl neuer Plätze. Aktuell haben 53 Prozent aller 20 bis 24-Jährigen die Hochschulreife, das sind doppelt so viele wie bei den 60-Jährigen. In den vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der Studierenden laut Statistischem Bundesamt um fast eine Million zugenommen. Im vergangenen Wintersemester waren fast drei Millionen Studierende eingeschrieben – Rekord.
Berlin ist Spitzenreiter beim NC
Den Ansturm auf die Unis spüren besonders beliebte Studienorte wie Berlin, Hamburg oder Bremen. Das Problem: Die Anzahl der Studienplätze wächst nicht in gleichem Maße. Mit der Folge, dass beliebte Studienstandorte den Hochschulzugang wesentlich stärker beschränken als unattraktive. Wie unterschiedlich die Voraussetzungen mittlerweile aussehen, zeigt eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung CHE. Für das Wintersemester 2020/21 sind in Berlin 66 Prozent der Studiengänge zulassungsbeschränkt, damit ist die Hauptstadt Spitzenreiter. In Thüringen hingegen sind es nur 19 Prozent aller Studiengänge.
Lange Zeit reichte das Abitur als Eintrittsticket zu allen Studiengängen. Das änderte sich erst 1968, als die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) dazu aufrief, die Studienplätze zu begrenzen, damit die Qualität der Lehre weiterhin gewährleistet sei und die Unis nicht überlastet würden. Das sollte damals eine zeitlich begrenzte Maßnahme sein. Der NC war geboren.
Es blieb nicht bei einer Übergangslösung. Bis heute haben Unis die Möglichkeit, die Anzahl der Studienplätze zu beschränken, wenn sie zu wenig Kapazitäten haben, um alle Bewerber:innen aufzunehmen. Ab wann das der Fall ist, regelt die so genannte Kapazitätsverordnung, mithilfe der die Unis jedes Semester die verfügbaren Plätze berechnen.
Jährlich gehen viele Bewerber:innen leer aus. Im Schnitt weist etwa die Humboldt Universität (HU) jedes Jahr ungefähr 40.000 Beweber:innen ab, sagt der Leiter der Studienabteilung Steffan Baron der taz. Wie darüber entschieden wird, wer einen Platz bekommt – und wer nicht –, ist ein kontroverses Thema.
Zuletzt musste sich nach einer Klage eines Medizinstudenten das Bundesverfassungsgericht damit befassen. Vor drei Jahren urteilte das Gericht, dass es unzulässig ist, für die bundesweite Vergabe der Studienplätze in Humanmedizin einzig die Abiturnote heranzuziehen. Die Richter:innen begründeten dies unter anderem mit den so unterschiedlichen Abiturstandards in den jeweiligen Bundesländern. Das Berliner Hochschulgesetz etwa schreibt bei der Studienplatzvergabe mindestens zwei unterschiedliche Kriterien vor.
In einigen Fächern ist der Andrang hoch
Die Vergabe funktioniert jetzt bei vielen Studiengängen nach der so genannten 20-60-20-Regel. 20 Prozent aller verfügbaren Plätze werden alleinig nach der Durchschnittsnote im Abiturzeugnis vergeben. Weitere 20 Prozent werden nach Wartezeit vergeben. Das heißt, je länger eine Person bereits auf einen Studienplatz wartet, desto höher rutscht sie auf der Liste.
Die verbleibenden 60 Prozent werden nach einer Auswahlquote vergeben, die von Uni zu Uni und von Fakultät zu Fakultät unterschiedlich ist. Für die Kriterien dieser Quote können die Fakultäten aus einem Katalog auswählen: Der Abiturschnitt muss am stärksten gewichtet werden, weitere Anforderungen wie etwa eine Eignungsprüfung, Berufserfahrung oder Praktika fließen in unterschiedlicher Gewichtung mit ein – das unterscheidet sich je nach Fach stark.
In einigen Studienfächern ist der Andrang besonders hoch, an der Humboldt-Universität zum Beispiel in BWL und in den Kulturwissenschaften, weshalb auch der NC höher ist. Etwas leichter ist es, im Fach Philosophie einen Studienplatz zu ergattern. Und einen sicheren Platz hat man immer in Chemie oder Physik, wo die Bewerber:innenzahlen verlässlich gering sind.
Nicht alle können ins Ausland
Einige Bewerber:innen ziehen auch gleich ins Ausland, wo sie weniger Hürden nehmen müssen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Anzahl deutscher Studierender im Ausland fast verdreifacht. Die meisten zieht es nach Österreich und in die Niederlande, wo es genügend Studienplätze gibt und der Abischnitt weniger entscheidend ist. Für viele ist das aber keine Lösung.
Für Lara N. beispielsweise. Nach ihrem Abitur wollte sie noch nicht mal aus Berlin wegziehen: „Wegen meines psychischen Zustands war es mir nicht möglich, in eine Stadt zu ziehen, wo ich niemanden kenne. In Berlin habe ich mein ganzes stabiles Umfeld, bestehend aus Familie, Therapeutinnen und Freund:innen.“ Lediglich Hamburg konnte sich Lara noch vorstellen, weil dort ihre Schwester wohnt.
An beiden Unis wurde sie zunächst abgelehnt, auch nach einem Härtefallantrag. Übergangsweise hat sie in Berlin mit einem freiwilligen sozialen Jahr begonnen. Dass sie jetzt, ein Jahr später, an der Universität Hamburg Psychologie studieren kann, ist ein Glücksfall: ihr Härtefallantrag wurde angenommen. Ein anderer Studiengang würde für sie nämlich nicht in Frage kommen.
Für den Freien Zusammenschluss der Student*innenschaft (zfs) gibt es nur eine Lösung: Es müssen mehr Studienplätze her. Denn egal wie sie ausgestaltet sei, die Zulassungsbeschränkung verschärfe Ungerechtigkeiten und erschwere den Zugang zu höherer Bildung. Dass dabei einige Unis immer überfüllt, andere hingegen wenig Andrang haben, sei ein tieferliegendes Problem, sagt Amanda Steinmaus vom zfs: „Nur die Leute, die es sich leisten können, gehen nach Berlin oder Hamburg. Die Mieten dort sind für viele zu hoch, das Bafög reicht oft nicht.“
Das wiederum wirke sich auf den Ruf der Unis aus: So liegen die Unis, die einen Status als Exzellenzuni haben, oft in Städten mit hohen Mieten. Dieser Status zieht wiederum viele neue Bewerber:innen an und erhöht den NC – ein Teufelskreis.
Es geht auch mit schlechtem Schnitt
Wohin diejenigen gehen können, die in die hippen Unis nicht reinkommen, Deutschland aber nicht verlassen wollen, zeigt die CHE-Studie, die die NC-Quote je Bundesland berechnet. Ein Blick auf die Karte zeigt: Es gibt Alternativen zum Ausland. Nicht nur in Thüringen, auch in Rheinland-Pfalz, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt liegt die NC-Quote unter 30 Prozent.
Selbst in Bayern und Nordrhein-Westfalen ist im Schnitt nur jeder dritte Studiengang zulassungsbeschränkt. „Wir wollen zeigen, dass man woanders in Deutschland auch mit schlechtem Schnitt reinkommen könnte“, sagt Cort-Denis Hachmeister mit Blick auf die Publikation.
An der Uni Erfurt in Thüringen etwa bewarben sich vergangenes Wintersemester 229 Personen für Psychologie – alle bekamen die Zusage für einen Studienplatz. Eingeschrieben haben sich dann nur 103 Menschen. Gleichzeitig haben sich in Berlin im vergangenen Wintersemester für das Fach Psychologie rund 4.000 Interessierte auf 120 Plätze beworben. An der Uni Duisburg-Essen haben sich im aktuellen Bewerbungsverfahren rund 2.400 Abiturient:innen auf 70 Plätze beworben. Immerhin hat die Hochschule die Studienplätze im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren