Winterlicher Verkehrskollaps: Wer zu viel spart, bleibt liegen
Das derzeitige Chaos in Bahnen und auf Straßen müsste es nicht geben. Fahrzeughersteller sagen: Wir können für jedes Wetter Züge bauen. Das Problem sind die Kosten.
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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, sagt der Volksmund. Das trifft im übertragenen Sinne auch auf Flughafenbetreiber, Bahnen oder Kommunen zu, die dem derzeitigen Winterwetter nicht gewachsen sind. Schnee und Minustemperaturen ab Anfang Dezember sind ungewöhnlich, aber nicht extrem. Das derzeitige Verkehrschaos hängt auch damit zusammen, dass sich die neoliberale Maxime nach Rationalisierung und Effektivierung durchgesetzt hat.
Selbst dem EU-Verkehrskommissar Siim Kallas platzte jetzt der Kragen angesichts blockierter Flughäfen in Paris, Frankfurt, London, Brüssel. "Diese Situation ist inakzeptabel und darf nicht wieder vorkommen." Er kritisierte die schlechte Organisation der europäischen Flughäfen, die zu wenig Enteisungsmittel auf Lager hätten.
Jeder Auto- und Radfahrer kennt das: Wer das billigste Modell kauft oder auf Wartung verzichtet, muss damit rechnen, dass er liegen bleibt. So ist es technisch kein Problem, winterfeste Züge zu bauen, wie sie in Skandinavien fahren. Aber sie sind teurer. "Pi mal Daumen kosten unsere Regionalzüge für Schweden 15 Prozent mehr", sagt Heiner Spannuth, Sprecher des Schienenfahrzeugherstellers Bombardier. Die Züge hätten eine andere Isolierung, beheizbare Kupplungen und Fußbodenheizungen. "Wir können für jede Klimazone Züge bauen - auch für den Einsatz am Polarkreis."
Zuverlässigkeit kostet also - nicht nur bei Kälte, auch bei Hitze. So versagten im Sommer die Klimaanlagen in ICE ihren Dienst, weil sie für so hohe Temperaturen, wie sie im Juli in Deutschland auftraten, offensichtlich nicht ausgelegt waren. Hauptproblem der Bahn derzeit ist aber der Mangel an Zügen: Nach dem Bruch einer Radsatzwelle eines ICE im Juli 2008 in Köln muss ein Großteil der Flotte zehnmal häufiger zur Durchsicht. So fehlt schlicht die Reserve - im Winter, wenn Züge häufiger ausfallen, ein Problem. Jetzt soll langsameres Fahren gravierende Schäden durch herabfallende Eisklumpen vermeiden, die Schottersteine aufwirbeln könnten. Das aber bringt den Fahrplan durcheinander. Dieses Problem haben auch die Flughäfen. In den stark nachgefragten Zeiten morgens und abends gibt es kaum Luft in den Flugplänen, weil Fluggesellschaften und Airports am meisten verdienen, wenn die Maschinen lange in der Luft und nur kurz am Boden sind.
Kommt es zu Verzögerungen, stauen sich die Probleme schnell auf. Dabei sind die Ursachen für mögliche Verzögerungen im Winter vielfältig: Die Schneebeseitigung auf der Landebahn und das Enteisen der Flugzeuge dauern ihre Zeit. Auch können weniger Maschinen starten und landen, weil längere Bremswege eingeplant werden müssen.
Problematisch ist auch die Lage auf den Straßen. Bei den Räumdiensten geht langsam das Streusalz zur Neige, obwohl nach den Erfahrungen des vergangenen strengen Winters teilweise größere Bestände angelegt worden waren. Und wenn Lkws auf glatten Straßen zu schnell fahren oder waghalsige Überholmanöver machen, weil sie in Zeitdruck sind, können Unfälle rasch zu kilometerlangen Staus führen.
Letztlich bedeutet das: Mit einer konsequenten Vorbereitung, mehr Luft in den Fahrplänen und größeren Reserven ließen sich die Winterprobleme im Verkehrssektor besser meistern. Das aber kostet Geld - was Unternehmen, Steuerzahler und Verbraucher spüren würden.
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