: „Winnetou zertritt keine Schnecken“
Gojko Mitic, 66, Winnetou der Wiedervereinigung und Held ungezählter Ost-Kindheiten, reitet morgen letztmals durch die Prärie des alten Segeberger Kalkbergwerks. Der taz erklärt er, wieso nach vierzig Jahren edler Wildheit für ihn Schluss ist mit Indianerspielen
INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER
Sie haben einmal gesagt, die Wiedervereinigung wird in Bad Segeberg Wirklichkeit …
Gojko Mitic: Das ist auch so.
Es sind tatsächlich viele alte Defa-Akteure am Start …
Ja, warum auch nicht: Die verstehen ihr Handwerk, die haben eine gute Ausbildung, sind gute Schauspieler. Osten oder Westen, das spielt keine Rolle mehr. Das ist doch die Wiedervereinigung.
Liegt das vor allem an Ihnen?
Nein, das hat sich allmählich ergeben. Mein Anteil war, dass ich zunächst einmal eine ganze Menge Publikum mitgebracht habe von drüben, das ist richtig. Die kannten mich ja seit ihrer Kindheit. Das war auch für mich wichtig, vor allem am Anfang: Da kam jemand im Westen völlig Unbekanntes nach Pierre Brice, dem „echten“ Winnetou, und wollte den Winnetou spielen. Da wurde sehr skeptisch geschaut, ich habe das auch erst mal auf Probe gemacht – und anfangs war die Rolle auch viel kleiner, nur wenige Auftritte: Das Stück war „Old Surehand“. Aber ich bin hier immer gut angenommen worden – und die Zuschauerzahlen sind immer weiter nach oben gegangen.
Sie waren in der DDR ein Publikumsliebling – ein echter Star …
Es gab in der DDR keine Stars. Ein Kollektiv konnte ein Star sein, aber ein Einzelner nicht.
Das war doch bloß Doktrin!
Ja, es scheint, das ist ihnen dann ein wenig entglitten.
Lag das an der Rolle, mit der man Sie identifiziert hat? In der Berliner Zeitung hieß es 1972, Gojko Mitic – der Rollenname taucht gar nicht auf – sei mutig und tapfer, ein echter Freund …
Heute schreiben die leider nicht mehr so über mich bei der Berliner Zeitung. Da muss sich was geändert haben. Aber diese Sympathie, die man durch die Rolle bekommt, das stimmt, das merkt man auch hier: Für die Kinder ist es wichtig, dass ich nach Winnetous Tod aufstehe und mich verbeuge. Dann sind sie erleichtert, weil sie sehen, der ist nicht wirklich gestorben.
Sie haben in den 1960er-Jahren auch in Horst Wendlandts westdeutschen Indianer-Filmen mitgespielt, in „Unter Geiern“, in „Winnetou II“. Als Ost-Winnetou …
Winnetou habe ich im Osten nicht gespielt. Wir haben gar keinen Karl May gemacht: Das waren Filme nach einer Romanreihe von Liselotte Welskopf-Heinrich, „Die Söhne der Großen Bärin“. Die war, anders als Karl May, auch in den Staaten gewesen, bei den Indianern.
Wollte die DDR einen anderen edlen Wilden?
Nein, die wollten schon den Erfolg dieser Filme im Westen kopieren. Da war ja auch nichts gegen zu sagen: Technisch und handwerklich war das nicht schlechter als im Westen. Ursprünglich wollten sie auch Karl May machen. Aber die Rechte waren eben schon verkauft.
Aber die Rolle ist schon sehr anders angelegt: härter, maskuliner. Pierre Brice’ Indianerhäuptling ist viel weicher …
Mehr ein Salonindianer? Nein, so etwas sollte ich nicht sagen. Jeder bringt halt das mit, was er kann. Das verändert die Rolle, macht sie mal sanfter, mal athletischer.
Sie sind übers Sportstudium in Belgrad zum Film gekommen …
Ja, das ist richtig. Damit haben wir uns ein Taschengeld verdient. Das braucht man ja.
… da sind Titel dabei wie „Römische Mädchen“. Was waren das für Filme?
„Römische Mädchen“ war ein italienischer Sandalenfilm mit vielen Komparsen und kurzen Röcken. Das waren alles hauptsächlich Westproduktionen, aus Italien, England, ganz Europa: Viele haben in Jugoslawien gedreht, weil es dort billig war und relativ frei. Für den Westen war es zwar noch kommunistisch, aber für den Ostblock war Jugoslawien fast schon kapitalistisch.
Und Ihre erste Rolle?
Lancelot. Da habe ich den Hauptdarsteller gedoubelt, bei Reitszenen …
Sie waren Stuntman?
Nein, obwohl: In einer Szene musste ich auf einem Pferd vorneweg vor 200 anderen Pferden galoppieren. Da habe ich schon verstanden, wieso er da ein Double wollte. Wenn man da vom Pferd abgerutscht wäre, das hätte schon ganz ordentlich geklappert. So hat es angefangen, mein Verhängnis.
Ihr Verhängnis?
Na ja, oder mein Glück, wie man’s nimmt.
Die Wiedervereinigung 1990 wird nicht ganz leicht gewesen sein für Sie: Gefragter DDR-Schauspieler mit ziemlich festgelegtem Profil – hieß das nicht: Keine Rollen mehr?
Nein, das hat mich gar nicht gestört. Ich fand es vor allem gut, dass die blöde Mauer weg war. Es war ja nicht so, dass ich vorher nicht hätte reisen können – ich hatte ja meinen jugoslawischen Pass, mit dem konnte man ohne Visum überallhin reisen. Aber die Teilung hat uns schon gestört. Alle. Ich habe mir damals gedacht: Du hast zwei Hände, einen gesunden Körper – du kannst alles machen. Ich hätte auch Lasterfahrer werden können. Ich habe alle Lkw-Führerscheine: Dann hätte ich eben Tomaten von Bulgarien nach Deutschland gebracht. Außerdem kamen dann schnell die ersten Angebote, „Der Kinoerzähler“, mit Armin Müller-Stahl. Sicher, das waren kleinere Rollen als vorher …
Aber als das Angebot für die Winnetou-Rolle in Bad Segeberg kam, haben Sie gleich Ja gesagt?
Nein. Ich habe erst mit Pierre Brice gesprochen, den kannte ich von früher, wir haben ja zusammen gedreht. Und der hat mir zugeraten. Also bin ich dann hierher gefahren und habe mir das angeguckt. Oben auf dem Felsen habe ich gestanden und runter in die Arena geschaut – da habe ich mich entschieden.
Auf dem Felsen wurde gespielt?
Ja: Von dort musste ich mich abseilen. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Wir dürfen den Felsen nicht mehr betreten. Der steht jetzt unter Naturschutz – da lebt irgendeine seltene Schneckenart.
Die wäre bedroht?
Ja, vielleicht, es könnte passieren, dass man eine versehentlich zertritt.
Das darf Winnetou nicht.
Nein, das darf Winnetou nicht.
Ist es nicht anstrengend, seit vierzig Jahren immer der Gute sein zu müssen?
Das bringt die Rolle mit sich. Dafür wird man am Abend nach der Vorstellung mehr gefeiert als alle anderen. Das ist der Lohn für die Zuneigung und Begeisterung, den die Rolle beim Publikum auslöst.
Trotzdem machen Sie jetzt Schluss, am 10. September ist, nach 15 Jahren, Ihr letzter Auftritt bei den Karl May-Spielen Bad Segeberg. Hatten Sie keine Lust mehr?
Es ist auch einmal Zeit für etwas anderes. Was mich stört, ist, wenn geschrieben wird: „Winnetou geht in Rente.“ Ich gehe nicht in Rente. Ich mache andere Sachen. Ich höre nicht auf, weil ich nicht mehr kann. Sondern weil ich noch kann.
Und deshalb muss Winnetou in diesem Jahr sterben?
Winnetou III zu spielen, das war mein persönlicher Wunsch: Wir gehen ja in Freundschaft auseinander. Es sollte ein Schlussstrich sein.
Aber Sie kommen ohne Karl Mays religiösen Schmu zum Schluss aus, oder?
Ja. Na ja, ein bisschen kommt davon auch vor: Wir haben ein „Ave Maria“, das Karl May selbst komponiert hat, das kommt vom Band. Und Old Shatterhand und Winnetou reiten vorbei, und Winnetou fragt: Was ist das für ein Lied, das die Bleichgesichter singen? Und Old Shatterhand erklärt es ihm, und Winnetou fragt: Wie, eine Königin, die im Himmel wohnt? Wie ist das möglich? Das schon. Das gibt es.
Aber keine Nottaufe.
Nein. Aber was wir hier schon immer machen, was uns wichtig ist, ist, eine Botschaft zu vermitteln. Das merkt man auch beim Publikum, wie das ankommt, Werte wie Freundschaft. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Figur Winnetou hier weiterlebt, in dieser Arena.
Hugg, würde er jetzt sagen.
Nein: Hugh! würde er sagen, Winnetou hat gesprochen.