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Vom Bauernaufstand zum DemokratieverfallWimmelbild des Scheiterns

Kommentar von Mathias Greffrath

In Thüringen, wo die Bauernaufstände 1525 endeten, merkt unser Autor: Fünf Jahrhunderte später sind weiterhin die Falschen an der Macht.

500 Jahre nach dem Bauernkrieg sieht's in Thüringen nicht wirklich besser aus Foto: H.Tschanz-Hofmann/imago

Z u viele Gespräche endeten depressiv in den letzten Monaten. Zu viele News von Trump, aus Gaza und vom Donbass. Dazu, im Parlament der übergroßen Mitte, die zu kleinen Räder für die viel zu großen Probleme. Das ist Fatalismus ohne Gegenmittel. Es rutscht etwas weg – nicht nur der Sozialstaat.

Angegriffen ist die kostbarste Errungenschaft der Neuzeit: dass Recht über Macht steht. In Amerika und Ungarn sind sie schon weit damit, bei uns fängt das Abgleiten erst langsam an. Die Neigung, auszusteigen, sickert in die Köpfe.

Also, Zeit für die Sommerpause und einen Blick auf die Erkenntnisse der Vergangenheit. Der Weg führt durch Bad Frankenhausen im Nordosten Thüringens. Über dem Städtchen mit imponierend schiefem Kirchturm liegt der Schlachtberg.

Auf dessen Gipfel ein monströser Betonbau, wo am 15. Mai 1525 der Thüringer Bauernaufstand endete. Sie forderten weniger feudale Lasten und mehr Freiheiten – und scheiterten. Als der charismatische Theologe und Sozialrevolutionär Thomas Müntzer sie zum letzten Gefecht aufrief, hatte das Söldnerheer der Fürsten sie umzingelt. 6.000 von ihnen wurden hingemetzelt.

Der 15. Mai war das blutige Ende des Thüringer Bauernaufstands und besiegelte das Scheitern einer sozialen Umwälzung in der frühen Neuzeit. Danach war ein paar revolutionslose Jahrhunderte Ruhe. Die Fürsten siegten. An die Stelle von Müntzers Messianismus trat das Märchen vom guten Kaiser Barbarossa.

Die Sixtinische Kapelle des Nordens

Wie erinnert man sich heute an diese frühbürgerliche Revolution? Über vierhundert Jahre später, 1975, gab die SED dem Leipziger Maler Werner Tübke den Auftrag für ein Panoramabild auf dem Berg, zur Erinnerung an den frühen Vorläufer des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“.

In zwölf Jahren schuf er mehr als ein Schlachtbild: Es wurde ein Welttheater im Stil von Tübkes magischem Historismus, reichte von der Schöpfung bis zum letzten Gericht, 14 Meter hoch und 143 Meter im Umfang.

Das Leben der Herrscher und des Volkes, der babylonische Größenwahn, die Aufbrüche der Wissenschaft und das viele Blutvergießen, gebettet in Bilderwelten aus Religion und Mythen, versetzt mit Hunderten Bildern von kosmischen Katastrophen. Pokerrunden von Fürsten, die um Weltreiche würfeln, daneben Milliardäre, die sie kaufen. Die Menschheit als Masse und in Individuen, gemalt im Stil der alten Meister. In der dunklen Rotunde leuchtet es wie Hinterglasmalerei.

Ein postmodernes Wimmelbild über den ewigen Wechsel von Höhen der Humanität und blutigen Niederungen? Schlimmer. Mir kam es bei dieser Rundreise in der Rotunde wie eine Apotheose, also Verherrlichung des Scheiterns vor.

Gefallener Held Thomas Müntzer

Wenn man den Raum betritt, steht auf hellem Grund, vor einem verbrannten Feld, Thomas Müntzer. Er hat den Kopf gesenkt. Die Regenbogenfahne des Aufstands fällt ihm aus der Hand, Tübke hat ihr alle Farbe genommen.

Der Trommler neben Müntzer: ein verzweifelter Harlekin, der immer weitertrommelt. Aber die Niederlage ist besiegelt, jetzt ist nur noch Gemetzel. Eine Epoche ging zu Ende. Und, Ironie der Geschichte: Im August 1989 wurde das Panorama eingeweiht, zwei Monate vor der Implosion des Kommunismus.

Als „Sixtina des Nordens“ bewirbt ein bunter Prospekt nun das Museum. Als „zeitloses Welt­thea­ter von Liebe und Hass, Geburt und Tod“. Das ist natürlich ein PR-Gag. Denn dies ist eine Sixtinische Kapelle – nicht des Heils, sondern des Scheiterns.

Es ist eine Apotheose des Weitermachens ohne einen Endsieg des Himmels über die Hölle, eine ernüchternde Bildflut, die uns die Lektion nahelegt, dass der Ausnahmezustand die Regel ist, und die goldenen Jahre allenfalls mal dreißig Frühlinge dauern.

Von Feudalismus zu Turbofeudalismus

Und das passt nun ganz gut zum anbrechenden Turbofeudalismus: Wir leben in einer Zeit, in der die geldgierigen Schurken, die Psychopathen in höheren Ämtern und die durchgeknallten Technikgenies sich anschicken, den Planeten endgültig zu ruinieren, Herrschaft wieder an Herkunft zu binden, das Eigentum zu heiligen und Macht über Recht zu setzen.

Dieser Rundgang ist ein starkes Mittel gegen unsere Neigung, uns immer wieder, gegen alles besseres Wissen, über Dinge zu wundern, die man „eigentlich“ in diesem Jahrhundert „nicht mehr für möglich“ gehalten hatte.

„Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten’s besser aus“? Die flotte Hoffnung im Wandervogellied über den linken Ritter Florian Geyer – auf diesem Bild ist keine Spur von ihr zu finden.

Was bringt Menschen dazu, zornig zu werden und Opfer zu bringen für einen Kampf ohne Garantie auf einen Sieg? Laut Walter Benjamin speist sich die Kraft nicht aus dem Ideal der „befreiten Enkel“, sondern aus dem „Bild der geknechteten Vorfahren“, der Gescheiterten und Geschändeten in Zeiten des vollendeten Faschismus.

Die Vorfahren hätten, so Benjamin, mit profaner Theologie, einen Anspruch an uns, auch wenn uns wenig mehr mit ihnen verbinde als ein Echo der Stimmen von Verstummten, ein schwacher „Hauch der Luft“, der um sie gewesen ist.

Barbarossa, Höcke und Sommerbrise

In diesem Fall ist es die Atmosphäre auf dem Schlachtberg von Frankenhausen, wo die AfD zehn Prozent mehr hat als im Thüringer Durchschnitt. Wo nebenan, am Kyffhäuser, Björn Höcke von Barbarossa träumt, der erwachen und aufräumen wird, wenn die Not am größten ist:

„Innere Kraft aus Mythen zu schöpfen, ist in Wendezeiten immer hilfreich“, so lautet Höckes Instrumentalisierung der Vergangenheit.

Aber wir halten an diesem Sommertag nicht am Kyffhäuser, über dem kein Adler kreist. Im Radio diskutiert ein ideologischer Abrissunternehmer aus dem Hause Springer mit einem Sozialdemokraten, und wir rufen bei heruntergelassenem Fenster in den Wind nach Politikerinnen und Politikern, die neue Energie aus historischen Niederlagen destillieren können.

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