Wikileaks mangelnde Transparenz: Vom Hacker zum Popstar
Ursprünglich wollte Wikileaks einmal so viele Informationen wie möglich frei zugänglich machen. Nun ist es selbst ein Schleusenwärter geworden. Ein mächtiger.
Sie dürfen jetzt um Einlass bitten. Per Twitter forderte Wikileaks Medien auf, sich um einen Zugang zu neuen Geheimdokumenten zu bewerben. Der Tweet macht die Rolle und das Selbstverständnis der Truppe um Julian Assange deutlich: Einst kritisierte das Netzwerk die etablierten Medien als Gatekeeper - also Schleusenwärter im Informationsfluss -, nun ist es selbst einer geworden. Ein mächtiger.
Gedacht war das einmal anders. Wikileaks ist von Hackern gegründet worden. Und da gibt es eine Ethik, zu der unter anderem gehört, Informationen gratis zu teilen. Die ersten Veröffentlichungen zielten weniger einseitig auf die US-Regierung: 2007 publizierte Wikileaks Dokumente, die belegten, dass der frühere kenianische Präsident Daniel arap Moi viele Millionen Dollar unterschlagen hatte. Später zeigten andere Papiere, dass die Bosse isländischer Banken sich und Bekannte mit hohen Krediten begünstigt hatten.
Wie Wikileaks heute arbeitet und warum es seine Ausrichtung geändert hat, darüber sprechen vor allem Leute, die bei Wikileaks ausgestiegen sind und deren Sichtweise, auch wenn sie sehr glaubwürdig erscheint, natürlich eingefärbt ist.
Nach ihren Aussagen ergibt sich folgendes Bild: Nachdem Wikileaks immer größere Erfolge mit seinen Veröffentlichungen hatte, mussten sich die Macher angesichts einer wachsenden Flut von Dokumenten entscheiden. Manche, darunter die meisten der heutigen Exilanten, wollten große Veröffentlichungen zunächst vermeiden und das Netzwerk ausbauen, es dezentraler und weniger abhängig vom Kern der Gründer organisieren.
Julian Assange hingegen hatte spätestens seit der Veröffentlichung eines Videos über schießwütige US-Soldaten im Irak Gefallen am Spektakulären gefunden. Publiziert wird seither vor allem contra Vereinigte Staaten, Dokumente aus anderen Teilen der Welt bleiben liegen. "Wikileaks hat sich bei seinen Veröffentlichungen sehr eingeschossen auf die USA und auf das Veröffentlichen spektakulärer Fälle", sagt Daniel Domscheit-Berg, früher Sprecher bei Wikileaks. "Das liegt nicht an der Quellenlage, sondern an der Auswahl." Domscheit-Berg und andere haben Julian Assange deshalb den Rücken gekehrt.
Die Kritiker sagen auch, es sei für sie zu oft nicht nachvollziehbar gewesen, wann welches Dokument warum an die Öffentlichkeit gegeben worden sei, Assange habe Deals mit Medien ausgehandelt, von denen man wenig oder erst hinterher erfahren habe. Domscheit-Berg sagt dazu: "Es fehlt die Transparenz, wie eigentlich Entscheidungen getroffen werden, und deshalb traue ich dieser Organisation so wenig, wie ich einer anderen Organisation mit ähnlichen Problemen trauen würde. Gerade weil ich drin war und weiß, was hinter den Kulissen ablief."
Über seine Erlebnisse bei Wikileaks hat Domscheit-Berg ein Buch für den Econ Verlag geschrieben, das noch diese Woche bei Amazon erhältlich sein soll.
Fest steht, dass es eine Verschiebung des ethischen Rahmens bei Wikileaks gegeben hat: Weg vom vorbehaltlosen Daten-Sharing hin zum Setzen auf Knalleffekte, dafür fallen als weniger relevant angesehene Informationen unter den Tisch. Das erinnert an die Praxis klassischer Medien ebenso wie an die des Popbusiness: Per Salamitaktik wird die Öffentlichkeit mit einer Hitauskopplung nach der anderen versorgt. Nicht einmal 300 von etwa 250.000 Dokumenten sind derzeit draußen - weitere Chartstürmer werden folgen. Nicht umsonst wird Julian Assange im Internet mit der Popfigur Neo, dem Helden der "Matrix"-Filme, verglichen.
Die Frage ist: Ist das so schlimm?
Viele Wikileaks-Aussteiger meinen: ja. Daher werden sie Mitte Dezember mit einem eigenen Projekt an die Öffentlichkeit gehen, welches sie ausdrücklich nicht als Konkurrenz zum Assange-Netzwerk sehen wollen, sondern als anderen Ansatz.
Ziel dieses neuen Projekts: weniger Macht, weniger Spektakel. "Möglichst viele Menschen sollen möglichst viele Dokumente entgegennehmen können", sagt Daniel Domscheit-Berg. Man wolle sich ausdrücklich als Dienstleister verstehen, der es Whistleblowern ermögliche, unentdeckt Informationen weiterzugeben. An welche Adresse, das soll dabei die Quelle entscheiden, nicht mehr das Netzwerk.
Assange wird mit der Popfigur Neo, dem Helden der "Matrix"-Filme, verglichen. Ist das so schlimm?
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