Wieviel Schlechtes verträgt das Gute: Gut sein fürs eigene Karma
Ist es legitim, Gutes zu tun, nur um sich selbst besser zu fühlen? Der Ethikrat sieht das pragmatisch.
K ürzlich saß ich am Schreibtisch, als der Ethikrat an der Tür klingelte. Der Rat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben. Wegen der Ferien waren die Kinder zu Hause und ich im Homeoffice, wo es mir nicht gelang, den Text zu beginnen, den ich in zwei Stunden abgeben musste. „Guten Tag“, sagte ich und versuchte, freudige Überraschung in meine Stimme zu legen, aber es gelang mir nicht.
„Guten Tag, Frau Gräff“, sagte der Ratsvorsitzende, „wir möchten den Besuch bei Ihnen als praktische Übung zum Konzept der Absichtslosigkeit gestalten.“ „Tatsächlich“, sagte ich und schaute auf die Uhr. „Natürlich ist es eine sehr vereinfachte Auffassung“, sagte der Ratsvorsitzende und schlüpfte an mir vorbei in die Küche, wohin ihm die beiden anderen Ratsmitglieder folgten. „Was bedeutet das für den Besuch?“, fragte ich, während der Rat die Kühlschranktür öffnete.
„Es bedeutet, dass es kein pädagogisches Element in unserem Besuch gibt“, sagte der Ratsvorsitzende und öffnete den Deckel des Puddings, den ich für mich nach Beendigung des Textes vorgesehen hatte. „Gut“, sagte ich schmallippig, denn das pädagogische Element war in den letzten Begegnungen mit dem Ethikrat ohnehin schwer zu entdecken gewesen. So ging ich in mein Zimmer und sah an meinem Computer vorbei an die Wand, während die Kinder nebenan lärmten und aus der Küche Geschirrgeklapper zu hören war.
„Absichtslos, sehr lustig“, dachte ich, und dann fiel mir ein, wie ich beiläufig gegenüber einer Freundin erwähnt hatte, auf wie vielen Ukraine-Demos wir gewesen waren und kurz danach ohne tiefere Notwendigkeit, dass wir auf einer Aufnahmeliste für Geflüchtete standen. „Wird soziales Engagement entwertet, wenn es vor allem Teil des Selbstkonzepts ist, wenn man letztendlich nicht die anderen, sondern nur die eigene Richtigkeit im Blick hat?“
Die Wand sagte nichts und ich dachte, dass die Frage möglicherweise Teil des Problems war. Aber alles, was mir an Lösung zur Verfügung stand, saß absichtslos in der Küche und aß meine Vorräte auf.
Soziales Engagement zur Steigerung des eigenen Marktwertes
Ich erinnerte mich, dass ich vor langer Zeit überlegt hatte, ehrenamtlich im Ausland alte Leute zu betreuen. Schon damals erschien mir meine Motivation zweifelhaft, aber ein wohlmeinender Mensch hatte angemerkt, dass es den Leuten möglicherweise gleichgültig sei, warum ich kam, solange ich meine Arbeit gut machte.
Aber hatten die KritikerInnen des verpflichtenden Sozialen Jahres nicht zu Recht gesagt, dass sie es alten Menschen nicht zumuten wollten, von Unwilligen versorgt zu werden? Und dass die Bedürftigen nicht taugten als Dummys im Sozialengagementstrophäenkampf von young professionals. „Was ist denn, wenn das soziale Engagement den eigenen Marktwert steigern soll?“ Ich bemerkte, dass ich laut mit mir selbst sprach, und verstummte.
Nebenan stritten sich die Kinder, aber in der Küche war das Geklapper verstummt. Es klingelte erneut an der Tür: draußen stand der Ethikrat. „Wir haben unsere praktische Übung beendet, um bei einem neuen Besuch direkt Stellung nehmen zu können“, sagte der Ratsvorsitzende, und ich schämte mich, weil ich dem pädagogischen Ernst des Rats Unrecht getan hatte. „Wir möchten Sie auf die Ideen des Utilitarismus verweisen“, fuhr er fort.
Ich sah ihn fragend an. „Es geht darum, vor allem die Folgen einer Handlung in den Blick zu nehmen“, sagte der Vorsitzende. „Können Sie das näher erklären?“, fragte ich. „Natürlich“, sagte er heiter. „Aber es ist nicht unsere Absicht“.
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