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stockholm-syndrom 5 Wiener Flummis

Journalisten haben hier beim Grand Prix Eurovision schwer zu leiden. Chronisch stehen sie unter Entscheidungsdruck: Geht man jetzt zur schwedischen Party nach Skansen, einem Vergnügungspark am Stadtrand? Oder zum Empfang der Gruppe Brainstorm in die lettische Botschaft? Am Ende der Woche gibt es heimliche Hitlisten der besten Häppchen, schönsten Promo-CDs – und ergo liebsten Teilnehmer.

Vor sechs Jahren in Dublin war das die Russin Youddiph, die in der früheren KGB-Zentrale Irlands eisgekühlten Krimsekt mit Kaviar servieren ließ. Der finnische Empfang vorgestern wartete hingegen nur mit Piroggen und Käsepfannkuchen auf. Englands Fete in der Disko TipTop wiederum war ein echter Knüller: Sängerin Nikki French sang ihren Song „Don’t play that song again“ achtmal (davon dreimal a capella), und es wurden nur Eurovision-Lieder gespielt. Die Österreicher haben für ihre drei Roundergirls eine PR-Firma mit Werbeaktionen beauftragt. Im Pressezentrum, aber auch in Stockholms größter Einkaufsstraße werden unschuldigen Menschen Flummibälle zugeworfen mit dem Spruch: „Vote for the Roundergirls.“ Wenn der Flummi auf dem Boden aufkommt, macht er ein ohrenzersägendes Geräusch. Eine Art Roundergirl-Roboter wird ebenfalls durch die Stadt gejagt. Er gibt astronautische Töne von sich, etwa: „I am from Austria and love the Rounderr-Girls.“ Kurzum: Wien nervt. Stefan Raab hingegen gilt in der Grand-Prix-Szene als geizig. Seine Party richtete er auf einem Wikingerschiff aus. Doch dort gab es weder CDs noch ein Buffet, sondern nur Getränkebons in Form von fingerkleinen Flaggen, für die man Softdrinks einlösen konnte oder ein muffig riechendes Getränk, das als milchiges Met ausgegeben wurde. Raab spielte auf der Ukulele.

Die Schweiz, nur nebenbei, kam uns praktisch: mit einer Promo-CD, eingehüllt in eine orange Schreibunterlage aus Plastik: Der Deko-Wert ist nicht zu unterschätzen – Orange, so ein Kollege, sei schließlich die Farbe der Saison. JAF

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