Analyse: Wiedervereinigung
■ Europäischer Gewerkschaftsbund nimmt französische CGT auf
Sechsundzwanzig Jahre lang stand die größte französische Gewerkschaft vor verschlossenen Türen. Gestern gingen sie auf. Der sozialdemokratisch beherrschte Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) nahm die einstmals kommunistische und immer noch radikale „Conféderation Générale du Travail“ (CGT), als Vollmitglied auf. Der in Brüssel angesiedelte Dachverband zählt nunmehr 66 europäische Gewerkschaften als Mitglieder – darunter allein aus Frankreich vier. Europaweit ist er eine Lobby von 58 Millionen gewerkschaftlich Organisierten in 28 Ländern.
Der erste Beitrittswunsch der CGT liegt so lange zurück wie die Gründung des EGB. Seit 1973 verhinderten die anderen französischen Gewerkschaften – CFDT, FO und CFTC – die Aufnahme der Konkurrenz, die Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft praktizierte. Erschwerend kam hinzu, daß die CGT damals noch der internationalen kommunistischen Gewerkschaftsbewegung FSM angehörte.
Die Annäherung zwischen reformistischen und radikalen Gewerkschaften in Europa wurde erst mit dem Ende des Kalten Krieges möglich. Anfang Februar verschwand das letzte Hindernis. Da wählte die CGT den erst 40jährigen Eisenbahner Bernard Thibault an ihre Spitze und beschloß, von der Radikalopposition zur „Vorschlagsgewerkschaft“ zu mutieren. Bloß die französische FO, die 1948 aus einer antikommunistischen Spaltung der CGT entstand, votierte auch jetzt wieder gegen die europäische Wiedervereinigung.
Zu Hause ist die CGT – wenngleich geschrumpft und gealtert – immer noch die größte. Sowohl nach Mitgliederzahlen (640.000 Personen) als auch nach ihrem Ergebnissen bei Wahlen zu Arbeitsgerichten und Betriebsräten. Doch die allgemeine Schwäche der Gewerkschaften in Frankreich hat längst Zusammenarbeit erzwungen. Im Winter 1995 streikten FO und CGT gemeinsam – und gegen den Widerstand der CFDT-Führung – drei Wochen lang gegen den Sozialabbau und bei den jüngsten europäischen Versuchen einer gemeinsamen Beschäftigungspolitik brachten sie gar ein paar gemeinsame internationale Aktionen zustanden – darunter den ersten Euro-Streik der Geschichte gegen die Stilllegung des Renault-Werkes im belgischen Vilvoorde und den Streik der EisenbahnerInnen gegen die Privatisierungen.
Auf europäischer Ebene wird die CGT linke Gewerkschaften wie die spanischen Arbeiterkommissionen (CCOO) und die IG Metall verstärken. Aber innerhalb der CGT gibt es auch skeptische Stimmen gegen die europäische Zusammenarbeit. Sie befürchten, daß Klassenkampf und Kapitalismusüberwindung, die sie heute für so berechtigt halten wie eh und je, in dem großen sozialdemokratischen Einheitsbrei untergerührt werden. Dorothea Hahn
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