Wiedersehen nach dem Bürgerkrieg: Die Macker von der Adria
Sommer, Sonne, Adria: Auch die schönste Kulisse kann die tragischen Geschichten in den Biografien aller Exjugoslawen Mitte dreißig nicht verbergen.
Die alte, klapprige Schwiegermutter schimpft von der Terrasse: „Das ist die Strafe Gottes. Nur Saufen, huren und nicht arbeiten. Wenn der Vater noch leben würde, hätte er dich Nichtsnutz längst aus dem Haus geprügelt.“ „Halts Maul“, ruft der Schwiegersohn, der in der Mittagshitze Bier trinkend unter der Terrasse des alten Steinhauses sitzt und aufs Meer stiert. Kürzlich wurde sein linkes Bein amputiert.
Neben ihm sitzt der Nachbar. Er ist auf Psychopharmaka und nuschelt: „Halt den Mund!“ Da stürmt der Sohn des Beinamputierten auf die Straße und ruft: „Leck mich!“ Seine Mutter rennt ihm mit einem Stock hinterher und brüllt: „Ich bring dich um.“ Ein braungebrannter Dorffremder rudert mit seinem Gummiboot vor dem Strand entlang. Das silberne Hakenkreuz, das er um den Hals trägt, blitzt in der Sonne.
Luka, der aus dem zweiten Eingang des Steinhauses kommt, trägt an der gleichen Stelle ein goldenes Christuskreuz. Er hat die „Konoba“, den ebenerdigen, traditionell dalmatinischen Weinkeller des kleinen Steinhauses gemietet und daraus ein Fischrestaurant gemacht. Bevor er sich mit einem Glas Wein zwei Meter neben das Holzbank-Duo setzt, dreht er für die Gäste, die vor dem Haus unter schattigen Palmen sitzen, die Musik lauter: Chet Baker „Let’s get lost“.
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der 10.000 Ausgabe der taz. Dienstag, 8 Januar 2012, am Kiosk oder eKiosk. In der Ausgabe schreiben ehemalige und jetzige taz-RedakteurInnen, was sie schon immer einmal schreiben wollten.
In diese Idylle kommt am Nachmittag Sascha. Aus Belgrad. Es ist Frühsommer 2011. Luka hat Sascha 1991 zum letzten Mal gesehen. Da waren sie 16, lebten in der Hafenstadt Split, waren dicke Freunde, kleine Adria-Macker. Doch mitten in ihren besten Teenagerjahren löst sich der Staat Jugoslawien auf. Bevor es blutig wird, ziehen Saschas Eltern, die aus Serbien stammen, mit ihren Kindern nach Belgrad.
Bei Facebook sind sich Luka und Sascha wiederbegegnet. Sascha ist Koch. Luka bietet ihm an, den Sommer als Chefkoch in seinem Restaurant zu arbeiten. Sascha hat für sich und seine Familie eine Aufenthaltsgenehmigung für Australien beantragt. Nach 20 Jahren an die kroatische Adria zurückehren, den letzten Sommer auf dem Balkan mit einem alten Freund verbringen? Sascha sagt zu.
Der letzte Balkan-Sommer
Luka ist Katholik und kroatischer Patriot, nahm 1995 als Reservist an der Operation „Oluja“ teil. Infolge dieser Militäroffensive flohen rund 200.000 Serben aus dem eroberten Gebiet, etwa 1.000 Menschen kamen ums Leben. In Lukas Konoba hängen Plattencover von Charles Mingus, Roland Kirk und dem kroatischen Funkmusiker Dino Dvornik. Lukas Hund heißt Jaco, nach Jaco Pastorius. Lukas Augen leuchten nicht, wenn er über kroatische Krieger spricht, sondern wenn es um schwarze Jazz-, Funk- und Soulmusiker, um den Kroaten Ante Maglica, der die Mag Lite erfunden hat, um die Fischer von der Insel Brac und um den von derselben Insel stammenden, in Chile lebenden Luksic-Clan geht, dem er gerne seinen Lieblingsfußballverein Hajduk Split verkaufen würde.
Sascha ist Atheist und hat die Welt gesehen. Er war Sternekoch auf Luxuskreuzern und in gehobenen New Yorker Restaurants, in Belgrad kennt man seinen Cheesecake-Shop. Sasa hört Pink Floyd, versteht was von schnellen Autos und nichts vom Angeln, er ist leidenschaftlicher Fallschirmspringer und kennt die Regeln des Fußballspiels nicht. Seine Augen leuchten nicht, wenn er über Belgrad spricht, sondern wenn jemand etwas über Hilfsschirmzugleinen weiß. Er ist von Luka und seiner Welt aus dalmatinischen Angelhaken und afroamerikanischen Jazzern völlig hingerissen.
38, ist CvD von taz.de und arbeitet seit vier Jahren bei der taz. Die keifende Schwiegermutter kennt sie seit ihrer Kindhei, letztes Jahr war sie auf ihrer Beerdigung.
Die beiden sitzen tagelang am Strand und putzen Fische, in und vor der Konoba, im Optimist, auf der Mole, egal wo, sie reden stundenlang, vorsichtig, zärtlich, ganz und gar voneinander eingenommen, wie ein Paar, das sich gerade ineinander verliebt. Einige Male kommen die beiden mit verweinten Augen zurück von ihren Gesprächen. Was sie sich erzählen, weiß keiner, es fragt auch keiner. Denn allen ist klar, diese Wiederbegegnung der beiden Schulfreunde ist auch eine tragische Geschichte, eine Geschichte die in allen kroatischen, serbischen und bosnischen Biografien der heute Mitte Dreißigjährigen mindestens einen dunklen Fleck hinterlassen hat.
Normalerweise gesellen sich im Laufe des Abends neben den Beinamputierten und den Psycho auch noch die anderen Dutzend alten und jungen Männer und Frauen des Dorfes vor der Konoba, um den Tag und den Tratsch zu besprechen. Doch in den ersten Wochen nach Saschas Ankunft ist auffällig wenig los. „Unsere Dorfbewohner müssen sich erst vergewissern, dass der Serbe nicht anfängt zu schießen“, witzelt Jelena, die aus Sarajevo stammende Küchenhilfe.
Dann irgendwann erfahren alle, dass Sascha noch nie eine Waffe in der Hand hatte und dass er Serbien unerträglich findet. Doch seinen Durchbruch hat Sascha beim Wasserballmatch Kroatien gegen Serbien, das im Fernsehen läuft. Luka dreht völlig durch, weil der Schiedsrichter nicht merkt, dass eine Minute vor Schluss – die Kroaten liegen zurück – zu viele Serben im Wasser sind.
Sasa kennt die Regeln nicht und fragt, ob was passiert sei. „Nein! Nur dass die Serben immer nur gewinnen, weil sie mogeln.“ „Stimmt“, sagt Sascha. „Und die Kroaten verlieren immer, weil sie sich darüber aufregen“. Die Einzige, die sich davon nicht versöhnen lässt, ist die keifende Schwiegermutter des Beinamputierten. „Wenn der Vater noch leben würde! Der würde diesen Serben schon aus dem Haus prügeln“, brüllt sie immer wieder von der Terrasse.
Im Laufe des Sommers flirtet Sascha mit fast allen Dorfmädchen und sie flirten mit ihm. Er erobert die Herzen der Männer mit Witz und Charme, fährt Lukas Vespa zu Schrott, fängt eine Große Bernsteinmakrele, guckt mehrere Staffeln „Seinfeld“ und erhält das Visum für Australien.
An seinem letzten Abend sitzen alle vor der Konoba und sind froh, dass die Saison vorbei ist. Außer der Beinamputierte und der Psycho. Die müssen sich weiter von der Großmutter beschimpfen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos