Wiedereröffnung der Kunsthalle Bremen: Der Mann im Maler
Edvard Munchs Frauen sind verführerisch, keusch oder tot: Aus dieser etwas eingeschränkten Perspektive hat die Bremer Kunsthalle eine packende Ausstellung gemacht.
BREMEN taz | Kronprinzessin Mette-Marit von Norwegen als Schirmherrin einer Ausstellung in der Bremer Kunsthalle? Edvard Munch machts möglich: Schon 1905 veranstalteten die Bremer die erste größere museale Munch-Präsentation in Deutschland. Sie fungierten also als Vorreiter des späteren norwegischen Vorzeigemalers im weniger Polarkreis-nahen Teil Europas - holten ihn sozusagen aus der kontinentalen Randlage heraus. Dafür ist das norwegische Königshaus offenbar bis heute dankbar. Und 1918, als hierzulande die Fürstenhäuser gerade abgeschafft wurden, tätigte Kunsthallen-Direktor Emil Waldmann den ersten Munch-Kauf eines deutschen Museums. Es handelte sich um das Bild "Das Kind und der Tod".
Dass Waldmann damit sogar gleich zwei Munchs erworben hatte, wurde der Kunsthalle erst 87 Jahre später bewusst: 2005 bemerkte eine Restauratorin eine zweite Leinwand unter der ersten - und schickte das Bild zunächst mal zur Röntgenaufnahme. Was die Kunsthistoriker dort zu sehen bekamen, ist jetzt als geschickt inszeniertes Lichtbild im ersten Raum der Munch-Ausstellung "Rätsel hinter der Leinwand" zu sehen: schemenhafte Umrisse, gespenstergleich, erst durch eine Drehung um 90 Grad als riesige Köpfe und Umriss eines sitzenden Mädchens zu erahnen. Munch hatte die neue Leinwand quer gespannt.
Zentrale Themen en bloc
Das Glück der Bremer besteht darin, dass sich in diesen beiden "en bloc" erworbenen Bildern zentrale Themen aus Munchs Werk konzentrieren. Das Bremer Erfolgs-Konzept, aus emblematischen Bildern des eigenen Bestands heraus eine intelligente Themenausstellung mit zahlreichen Leihgaben zu entwickeln, gelingt hier also besonders einleuchtend.
Das erste Thema könnte man nennen: Männerhände greifen nach Mädchenkörpern. Auf dem Bremer "Prototyp" von der unteren Leinwand ist es zwar nur eine einzelne Hand, die sich nach der Profilfigur eines offensichtlich eben pubertierenden Mädchens streckt. Dazu kommen allerdings drei Männerköpfe, darunter Munchs eigener, mit denen sich das Mädchen konfrontiert sieht. Oder sähe - hielte es den Kopf nicht verschüchtert gesenkt.
Kuratorin Dorothee Hansen konnte aus einer bemerkenswerten Fülle von ähnlichen Motiven wählen, um das Begierde-Thema quer durch Munchs Schaffen zu demonstrieren. Dabei wechselt die Zuschreibung von Bedrohung: Das Bild "Liebe und Schmerz", auf dem sich eine Frau mit flammendem Haar über einen Mann beugt, widmete Munch erst auf Anregung von Künstlerkumpeln aus der Berliner Szene-Kneipe "Schwarzes Ferkel" zum "Vampir" um. Zuvor ließ sich die weibliche Figur auch als beschützend interpretieren.
So rückständig Munchs Mann/Frau-Fixiertheit aus heutiger Perspektive wirkt - damals ging es kaum moderner: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Psychologie ihren Siegeszug in allen Sparten - man denke nur Munchs Landsmann, den Autor Henrik Ibsen -, beherrschte der "Geschlechterkampf" Köpfe und Körper. Bei Munch fand er auch ganz praktisch statt: Als sich der Maler 1902 in heftigem Streit von Tulla Larsen trennte, verlor er per Pistolenschuss ein Fingerglied der linken Hand.
Nun kann man sagen: Wer sich wie Munch zwischen einem streng-pietistischen Papa und dem Leben in einer Bilderbuch-Boheme bewegt, ist zu befangen in seinen Selbst-Erforschungen, als dass er aktuellen Moral- und Menschenbildern entsprechen könnte. Oder man stellt aus gegenwärtiger Perspektive schlicht fest: Der sexuell interessierte Blick des älteren Mannes auf pubertäre Mädchen ist in dieser öffentlichen Zelebration inaktzeptabel. Eine Problematik, die man etwa aus den Mädchen-Akten der "Brücke"-Maler kennt.
Munchs Rollenwechsel machen das Thema vielschichtiger. In "Die Frau. Sphinx" setzt er sich selbst an die Stelle des Mädchens, malt sich mit langem Haar und geneigtem Kopf als zart wirkende Figur, die mit drei Frauengestalten konfrontiert ist. Die freilich frönen in ihrer stereotypen Dreiteilung als die Sehnsüchtige, die Aufreizende und die Trauernde der seinerzeitigen Lehre vom gespaltenen Charakter der Frau - an und für sich, versteht sich. Ein anderer Dreier-Zyklus zeugt hingegen von geschlechtsübergreifender Empathie: Er zeigt zunächst ein Mädchen, dem die Nähe der Männerköpfe angenehm ist. Dann eine erstarrte Figur, die die Aufdringlichkeit eben noch erträgt - und schließlich die liegende Gestalt, lechzenden Fratzen ausgesetzt.
Der Tod mit allen Sinnen
Das Thema Tod, abgeleitet von Munchs oberer Leinwand, wirkt in seiner Eindringlichkeit deutlich zeitloser. In "Das Kind und der Tod" wird dem berühmten schreienden Munch-Mund die absolute Stille gegenübergestellt - in Gestalt eines Mädchens, das vor dem Sterbebett der Mutter steht und sich die Ohren zuhält.
Das direkt daneben hängende Bild macht deutlich, wie sehr Munchs Auseinandersetzung mit dem Tod tatsächlich alle Sinne umfasste: Es ist der 1895 gemalte "Leichengeruch", eine von mehreren Arbeiten dieses Namens. Zu sehen ist ein leeres Bett, die Tote muss eben herausgetragen worden sein.
Wer dann noch, in einer dunklen Ecke desselben Raums, die kleinformatige Papierarbeit entdeckt, die dort aus konservatorischen Gründen bei 25 Lux dämmert, ist bei einer der intensivsten Todesdarstellungen Munchs angekommen: Auch hier ist das Bett bereits leer, die Bedeutung von Tod als unwiederbringlicher Abwesenheit also sinnfällig gemacht. Langsam rutschen die Arme eines Angehörigen von der Bettdecke. Biografisch war der Tod für Munch selbst früh ein Thema: Als er fünf war, starb seine Mutter an Tuberkulose, neun Jahre später eine Schwester.
Eine Begleitausstellung im Kupferstichkabinett dient als "Hintergrundfolie und Echo", wie deren Kuratorin Anne Buschhoff formuliert. Es ist tatsächlich spannend zu sehen, wie etwa Max Klingers Radierung "Träume" das Motiv der bedrängenden Männerhäupter vorwegnimmt, gut zehn Jahre vor Munchs Männerköpfe/Mädchen-Bild.
"Munch" ist die erste Ausstellung der Kunsthalle nach ihrer umbaubedingten Schließung. Es ist bemerkenswert, wie gut die in dieser Zeit erfolgte Ausstellungs-Konzeption für noch nicht gebaute Wände in der Realität funktioniert.
bis 26. Februar, Kunsthalle Bremen. Die Kunstsammlungen Böttcherstraße zeigen parallel eine Ausstellung über die Malerin und Munch-Muse Oda Krohg.
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