■ Wieder stirbt ein abgelehnter Asylbewerber, weil er beim Abschiebeflug „ruhiggestellt“ wird. BGS-Beamte setzen Aamir Ageeb Helm auf – und drücken seinen Kopf nach unten: Tod im Linienflug LH 558
Frankfurt (taz) – „Das sind die tödlichen Folgen einer menschenunwürdigen Asylpolitik.“ Heiko Kaufmann, Sprecher der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, kommentierte den Tod eines Sudanesen am Sonnabend bitter. Der abgelehnte Asylbewerber Aamir Ageeb sollte in einer Maschine der Lufthansa von Frankfurt über Kairo nach Khartum abgeschoben werden.
Beim Start der LH 558 am vergangenen Freitag haben Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) den Kopf des 30 Jahre alten Aamir Omar Mohamed Ahmad Ageeb „zur Fixierung nach unten gedrückt“. Danach hat der Mann kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben.
Reanimationsversuche durch Ärzte, die Passagiere des Linienfluges waren, blieben vergeblich. Weil der Mann schon vor dem Start und auch noch danach „erheblichen Widerstand geleistet“ habe, war ihm „zu seinem eigenen Schutz“ ein Motorradhelm aufgesetzt worden. Außerdem sei Ageeb an Händen und Füßen gefesselt worden. Das teilte die Staatsanwaltschaft in Landshut nach einer ersten Befragung der BGS-Beamten durch die Kriminalpolizei Erding mit.
Die Landshuter Staatsanwaltschaft war bis zum Sonntag für den Fall zuständig, weil der Pilot der LH-Maschine nach dem Tod des Afrikaners den Flug abbrach und auf dem Franz-Josef-Strauß Flughafen München im Erdinger Moos landete. Inzwischen soll das Verfahren der Staatsanwaltschaft in Frankfurt übergeben worden sein.
Die genaue Ursache für den plötzlichen Tod von Aamir Ageeb ist offiziell noch nicht bekannt – obwohl die Münchener Rechtsmedizin schon am Freitag obduzierte. „Eine anatomisch eindeutig nachweisbare Todesursache ist nicht festzustellen“, lautete die Erklärung der Staatsanwaltschaft in Landshut vom Sonnabend.
Der BGS könne aufgrund der andauernden Ermittlungen keine Stellungnahme zum Geschehen abgeben, hieß es auf Nachfrage. Ermittelt wird zur Zeit aber nicht nur von der Staatsanwaltschaft. Eine Sprecherin im Bundesministerium des Inneren teilte gestern mit, daß Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) umgehend eine „sorgfältige Untersuchung der Vorgänge“ durch Beamte seiner Behörde veranlaßt habe, die parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stattfinden soll. Sollten die BGS-Beamten tatsächlich fahrlässig gehandelt haben, würden „Konsequenzen gezogen“.
Innenminister Schily hat außerdem angeordnet, daß alle Abschiebungen mit dem Flugzeug dann auszusetzen sind, wenn sich massiver Widerstand von Betroffenen abzeichnet. Das allerdings, so berichtete ein Mitarbeiter des kirchlichen Sozialdienstes am Flughafen, sei häufig der Fall. Viele abgelehnte Asylbewerber hätten panische Angst davor, in das Land abgeschoben zu werden, aus dem sie gerade geflohen seien – verständlicherweise . Denn dort droht ihnen oft die umgehende Verhaftung „mit allen schrecklichen Folgen“.
Im Innenministerium hieß es weiter, daß sich die Praxis bewährt habe, Abzuschiebende mit einem Helm vor sich selbst zu schützen. Auf die Knebelung werde dagegen „seit Jahren verzichtet“. 1994 war es bei einer Abschiebung mit dem Flugzeug von Frankfurt aus schon einmal zu einem Todesfall gekommen. Damals starb der geknebelte Nigerianer Kola Bankole, dem von einem Arzt im Auftrag des BGS vor dem Start der Maschine ein „Beruhigungsmittel“ injiziert worden war. 25 Minuten später war der Afrikaner nicht mehr am Leben. Der Arzt wurde erst kürzlich vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.
Am 1. Mai starb ein mit Klebeband geknebelter Asylbewerber aus Sierra Leone bei seiner Abschiebung per Flugzeug aus Österreich. Otto Schily sagte gestern in Berlin: „Ich will zu 100 Prozent gewährleisten, daß bei Abschiebungen niemand mehr zu Tode kommt.“ Den Tod des Sudanesen nannte er „bedauernswert“.
Pro Asyl forderte gestern die sofortige Änderung der gängigen Abschiebepraxis in Deutschland, die eine „organisierte Unmenschlichkeit“ sei. Es könne nicht richtig sein, daß Menschen in Flugzeugen gewalttätig behandelt würden, nur um sie ruhig zu stellen. So etwas dürfe in einem Rechtsstaat nicht vorkommen. Die Staatsanwaltschaft in Landshut erklärte weiter, daß Aamir Ageeb „als gewalttätig bekannt“ gewesen sei. Nach Informationen der taz saß der Sudanese in der Justizvollzugsanstalt Mannheim in Abschiebehaft. Er sei im Regierungsbezirk Karlsruhe polizeibekannt gewesen. Der nach der Ablehnung seines Asylantrags untergetauchte Ageeb wurde wegen „gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl“ gesucht. Er war auch wegen sexueller Belästigung aufgefallen. Klaus-Peter Klingelschmitt
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