Wie sich Innovationen verkaufen: Revolutionäres schreckt ab

Innovationen setzen sich auf dem Markt durch? Stimmt nicht. Je revolutionärer ein Produkt, desto mehr Marketing ist notwendig.

Ein kleines Kind sitzt staunend vor einer Waschmaschine

Skepsis vor Neuem haben vor allem die Großen, die an bestimmte Produkte schon gewöhnt sind Foto: Imago/Westend61

Wie es geht, das zeigt zum Beispiel die Waschmaschine. Ein Gerät, das einem den langwierigen Prozess von Weichen, Waschen, Wringen abnimmt und damit vermutlich einen größeren Beitrag zur Entlastung des Alltags im Allgemeinen und zur Emanzipation im Speziellen geleistet hat, als es auf den ersten Blick aussieht. Klarer Fall: Die Waschmaschine, Innovation, Haken dran.

Wie es eher nicht geht, zeigt DVB-T2. Ein neues Format fürs digitale Antennenfernsehen, das die Empfangsqualität verbessert, das aber anscheinend nicht so Waschmaschine ist, dass die Nutzer von selbst auf die Idee kämen, die Elektronikläden zu stürmen und flächendeckend neue Empfangsboxen zu besorgen und damit das Waschen per Zuber und Brett obsolet zu machen. Also wird das alte Format abgeschaltet, damit die alten Frequenzen frei werden für neue Anwendungen. Zack. Innovation, verordnet.

Und dann sind da natürlich noch die zahlreichen Fälle, die irgendwo zwischen DVB-T2 und Waschmaschine liegen. Der Stracciatella-Zitrone-Ingwer-Joghurt, der auch nichts anderes ist als weiße Pampe mit zu viel künstlichen Aromen in überdesignter Verpackung und dessen Erfolg maßgeblich davon abhängt, wie viel Geld in den Marketingetat fließt und ob die Werber dieses Geld zielgruppengerecht einsetzen. Innovation zur Konsumsteigerung.

Alles eine Frage des Nutzens

Die Frage, ob etwas innovativ ist, sagt Carsten Schultz, Professor für Technologiemanegement an der Universität Kiel, bemesse sich immer am Markt. Das kann der Verbraucher sein, wenn es um den neuen Joghurt geht. Oder die Industrie, wenn es sich um eine neue Benzineinspritzpumpe handelt. Denn klar, kein Verbraucher kauft ein Auto, weil er die neue Benzineinspritzpumpe so praktisch findet, dennoch hat sie die Möglichkeit, sich am Markt durchsetzen.

„Man kann nicht sagen: Innovation ja oder nein“, sagt Schultz, „sondern nur, wie hoch ist der Grad an Innovation?“ Und da gelte: hoher Nutzen für den Anwender, hoher Grad an Innovation. Niedriger Nutzen, eher nicht so innovativ. Der neue Joghurt müsste also laut Schultz schon mindestens etwas in der Kategorie blutdrucksenkende Wirkung als Zusatznutzen haben, um über eine eher übersichtliche Innovation hinauszukommen.

Innovationen haben ihre Wurzeln meist in einem von zwei Bereichen: Entweder sie entstammen der Forschung. In Unternehmen oder Universitäten basteln Wissenschaftler an, sagen wir, neuen Oberflächenstrukturen. Es gibt irgendwann einen Durchbruch und man überlegt sich: Welches Produkt lässt sich daraus kreieren? Antibakterielle Waschbecken für Kliniken? Warum nicht?

Die zweite Wurzel ist der Kunde oder der Markt. Oder, und hier liegt häufig der Haken, das, was der Innovationsentwickler für den Kunden oder den Markt hält. Dass geäußerter Kundenwunsch und tatsächlicher Kundenwunsch und die daraus resultierende Kaufentscheidung mitunter drei unterschiedliche Dinge sind, das erleben nicht nur Joghurthersteller.

Dreck statt Dreck

Doch nehmen wir mal den innovativsten Fall an. Ein Produkt oder eine Dienstleistung, die – auch wenn es die zukünftigen Nutzer noch nicht zu träumen wagen – quasi revolutionär ist. Den Alltag radikal vereinfacht, einen nennenswerten Vorteil für die Umwelt hat oder eine deutliche Senkung der Kosten bedeutet. Und dann? Will es keiner haben.

„Je höher der Innovationsgrad, desto mehr Marketing ist nötig, weil das Produkt oder die Dienstleistung deutlich erklärungsbedürftiger ist“, sagt Schultz. Das gelte besonders dann, wenn die Neuigkeit disruptiv ist, also den Markt völlig neu ordnet. Waschmaschine. Smartphone. Vielleicht eines Tages das selbstfahrende Auto.

Denn auch, wenn das Smartphone heute gerne als Selbstläufer gilt, als Gerät, bei dem die Kunden quasi ferngesteuert zugriffen: Das war es nicht. „Apple hat schon im Vorfeld eine ganze Menge Marketing gemacht damals“, sagt Ralph Hintemann vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Und der Konzern habe einen entscheidenden Vorteil: eine treue Gemeinde an Fans, die auf iPod und Mac schwören und ganz selbstverständlich zu einem neuen Produkt aus dem Hause Apple greifen.

Doch das Smartphone ist nicht nur ein Beispiel für eine radikale Innovation. Sondern auch für den Nachteil neuer Entwicklungen. „Wir lösen mit Innovationen häufig Probleme und verschärfen sie an anderer Stelle“, sagt Hintemann und nennt als Beispiel den Verkehr in New York. Der Stadt sei im 19. Jahrhundert prognostiziert worden, binnen weniger Jahrzehnte in Pferdemist zu versinken. Die wachsende Zahl der Fahrzeuge, die absehbar nötig wurden, weil immer mehr Menschen immer schneller von A nach B wollten, und die dazu benötigten lebendigen Pferdestärken einiges an Dreck in den Straßen hinterließen. Aber dann: Verbrennungsmotor erfunden, in Fahrzeug eingebaut, Problem gelöst. Und ein paar Dutzend andere geschaffen.

Radikal ist gut – bis wir die Konsequenzen spüren

Auch die Waschmaschine ist nicht ganz unkritisch. Die Tonnen an ­Tensiden etwa, die in den Gewässern landen, weil wir gerne saubere ­T-Shirts anziehen. Vielleicht wird dieses Problem aber auch in Zukunft gelöst. Zum Beispiel durch Geräte, in die wir die schmutzige Kleidung hineinhängen und die dann ohne Wasser einfach per Ultraschall gereinigt wird. Radikal? Eindeutig. Die ­Nebenwirkungen? Wir werden sehen.

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