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Wie leben nach dem großen Sterben?

■ Neu im Kino: „Eureka“ von Aoyama Shinji ist eine ruhige, tiefe Meditation über seelisch Verwundete

Auf den ersten Blick scheint dies genau der passende Film zu den aktuellen Ereignissen zu sein. Nach einem Amoklauf (in diesem Fall in einem Bus) gibt es drei Überlebende: Zwei Schulkinder und den Busfahrer, und der japanische Film erzählt in seinen dreieinhalb Stunden von nichts anderem als davon, wie die Menschen nach solch einem großen Sterben weiterleben können.

Aber das Publikum sei gewarnt: die Sensationsgier, die sich bei solchen Verbrechen immer unter den Schrecken und die Anteilnahme mischt und die die Medien ja zur Zeit wieder hemmungslos bedienen, wird hier überhaupt nicht befriedigt. Statt dessen ist „Eureka“ eine ruhige, tiefe Meditation über drei seelisch Verwundete – eine vorsichtige Annäherung an Menschen, die anders sind als wir alle, weil sie fast über die Schwelle des Todes gestossen worden wären.

Und das isoliert sie fast völlig. Die beiden Kinder, Kozue und ihr älterer Bruder Naoki, sprechen nach der Bluttat kein Wort mehr. Ihr Vater stirbt, die Mutter verlässt sie, und sie leben alleine in einem riesigen Holzhaus am Rande der Stadt.

Der Busfahrer Makoto verlässt den Ort und streift zwei Jahre lang ziellos durch das Land, bis er zurückkehrt, von seinen Verwandten bald aus dem Haus getrieben wird und zu den beiden Kindern zieht, wo die drei zusammen einen Heilungsprozess durchleben. Um ganz neu anzufangen, kauft Makoto einen alten Kleinbus, mit dem sie auf Reisen gehen. Aber der Tod begleitet sie: Frauen werden ermordet, zuerst im Heimatort der drei, aber dann auch dort, wo sie nachts gerastet haben. Makoto hustet im Laufe der Reise immer schlimmer und ist offensichtlich sterbenskrank, das Mädchen Kozue hat Visionen von einer Sintflut, die alles wegspülen wird.

Von all dem erzählt der japanische Regisseur Aoyma Shinji nicht mit den üblichen Bildern, sondern aus seltsamen Kameraperpektiven und in einem in ein sanftes Sepia gehendes Schwarzweiß, was die Distanz zu den Filmfiguren wahrt. Der Film kriecht ihnen nicht auf den Pelz, und der Zuschauer kann nie ganz heimisch in ihrer Welt werden.

Jede Seherwartung wird enttäuscht, aber die Bilder, die Aoyama uns stattdessen bietet, haben soviel Magie und Schönheit, dass man sich gerne auf diese zuerst noch fremde Seeweise einlässt. Denn im Mittelpunkt stehen bei Aoyama immer die Menschen, man hat nie das Gefühl, er wolle uns mit seiner Filmkunst blenden, und deshalb wirkt sie nie artifiziell. Statt dessen ist „Eureka“ zugleich episch und lyrisch.

In den dreieinhalb Stunden läßt der Regisseur sich viel Zeit für das Schweigen, für lange Einstellungen, Impressionen von Straßen, Landschaften und Häusern. Oft scheint die Kamera ziellos herumzuwandern, aber dann zeigt sie uns doch ein prägnantes Detail, das die Geschichte entscheidend weiterbringt.

Bei aller Langsamkeit erzählt uns der Film so erstaunlich viel, zieht uns intensiv in die Geschichte hinein, die einen eigenen Sog bekommt, durch die „Eureka“ nie lang, langatmig oder gar langweilig wirkt. Dabei tritt Aoyama ganz hinter dem Thema seines Filmes zurück. So ist „Eureka“ ein Meisterwerk voller Demut, das mitfühlend, fast scheu und dabei doch wunderschön davon erzählt, wie Menschen nach einem schrecklichen Trauma wieder zu leben lernen. Wilfried Hippen

Bis Dienstag jeweils um 18.30 Uhr als OmU im Kino 46

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