: Wie fährt man Ski von innen?
Im Sog innerer Bilder die mystische Einheit von Körper und Hang entdecken. Wie ein Bach um Schneebuckel herumfließen. Eindrücke von einer „ganzheitlichen Ski-Reise im Einklang mit der Natur“ ■ Von Kraft Wetzel
Skilaufen ist in den letzten Jahren zu einem guilty pleasure geworden, zu einem von schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen vergällten Vergnügen. Kritische Fotoreportagen, Greenpeace-Pamphlete, gelegentlich auch Fernsehsendungen führen sie uns immer wieder vor Augen: Bergpanoramen, die vom metallenen Gespinst der Seilbahnen verschandelt werden, planierte Hänge und geschundene Grasnarben, riesige überfüllte Parkplätze an den Talstationen, Menschentrauben an den Liften. Sollte, ja muß man nicht eigentlich ganz aufhören mit der Skilauferei? Oder kann man den eigenen Beitrag zu solchen Schäden so gering halten, daß es politisch-moralisch vertretbar wird, weiter Ski zu laufen?
Uwe Kloss jedenfalls glaubt, daß das möglich ist. Unter dem Motto „Skifahren im Einklang mit der Natur“ organisiert er Reisen, die seit über zehn Jahren ein Geheimtip in der ökologisch und spirituell orientierten Alternativszene Berlins sind. Ich bin letztes Jahr eher zufällig auf ihn gestoßen, weil ich nicht allein, sondern mit einer Gruppe fahren wollte. Daß bei ihm meistens deutlich mehr Frauen als Männer mitfahren, hatte mich weitaus mehr gereizt als das Versprechen eines „ganzheitlichen Urlaubs“, das durch die Verbindung von Skilaufen mit einem „Rahmenprogramm aus Yoga, Energy Dance, Tai-chi, Meditation, Massage ...“ eingelöst werden sollte. Ich fuhr also mit — und war so begeistert, daß ich in diesem Jahr wieder dabei war.
Was ist nun „ganzheitliches Skilaufen“? Zu Anfang fährt unsereins ja vor allem im und mit dem Kopf: auf der Spur von Bildern idealen Skifahrens, wie wir sie aus dem Fernsehen und von Fotos verinnerlicht haben. Unser Körper, meint der Berliner Psychologe Thomas Busch, werde gerade beim Skifahren häufig genug einseitig zur Darstellung normierter Schwungformen und zur Demonstration des eigenen Könnens benutzt. Diese „Außenorientierung“ schränke „das innere Erleben“ ein. Die Fremdbestimmung durch äußere Bilder abzubauen und uns statt dessen die unserem jeweiligen Körper angemessene, „eigene“ Fahrweise entdecken zu lassen ist denn auch ein Ziel der von Uwe Kloss mitentwickelten Lehrmethode.
„Inner Skiing“ hieß ein 1977 von Timothy Gallwey und Bob Kriegel veröffentlichtes Buch; auf was für ein Bewußtsein es hierzulande stieß, läßt sich schon am Titel der deutschen Übersetzung entnehmen: „Besser Skifahren durch ,Inner Training‘“ — als handle es sich nur um eine neue Technik, „sich selbst in Hochform zu bringen“ (Untertitel). 1983 folgte, ebenfalls in den USA, „The Centered Skier“ (deutscher Titel: Der innere Schwung) von Denise McCluggage. Beiden Autoren geht es darum, Skifahren als inneres Erlebnis zu erschließen.
Sie bedienen sich dabei asiatischer Körper- und Meditationspraktiken wie Tai-chi, Yoga und Tao. Denn in ihnen geht es darum, vom Suchen zum Finden (zurück) zu gelangen, in der Anspannung die Entspannung, im Tun das Nichtstun, vor allem das Nichtstunmüssen, das Getragensein zu entdecken (manche sagen dazu: die Harmonie mit dem Kosmos).
Dieses Interesse läßt sich auch im Skifahren verfolgen. Statt einen Hang abzufahren, kann man beispielsweise an ihm herunterlaufen wie ein Bach, der von alleine seinen Weg findet; statt auf dem Berg oder gar gegen den Berg zu fahren, kann man ihn durch den eigenen Körper fließen lassen. Diese „unio mystica“ von Körper und Hang, von innerer und äußerer Natur ist eigentlich das Ziel, auf das im Gefolge dieser Autoren auch Uwe Kloss hinarbeitet in seinen Ski- Kursen. Wie macht er das ganz konkret? Indem er erst einmal nichts macht, sondern uns machen läßt. Zunächst soll der Schüler „Körperbewußtsein“ entwickeln. „Der Skilehrer“, so erklärte Uwe Kloss kürzlich in der Zeitschrift Hochschulsport der TU Berlin seine Methode, „hilft dabei, indem er Fragen stellt, zur Selbstbeobachtung anregt und viel Raum für individuelles Fahren und Ausprobieren läßt.“ So werde die busy mind mit Wahrnehmungsaufgaben beschäftigt, „Anspruch und Wollen treten in den Hintergrund“. Wenn Kloss die Kursteilnehmer so weit hat, bringt er Metaphern ins Spiel, macht sich die mobilisierende Kraft archaischer Bilder zunutze. Anders als die Amerikaner, die gerne mit asiatischem Besteck klappern, schöpft Kloss aus dem Bilderfundus der abendländischen Kulturgeschichte; am liebsten wirtschaftet er mit den vier Elementen der alten Griechen: Erde, Luft, Wasser und Feuer.
Eine Metapher sei, belehrt mich „Meyers Taschenlexikon“, ein sprachliches Bild, „dessen Bedeutungsübertragung auf Bedeutungsvergleich beruht: das eigentlich gemeinte Wort wird durch ein anderes ersetzt, das eine sachliche oder gedankliche Ähnlichkeit oder dieselbe Bildstruktur aufweist (z.B. ,Quelle‘ für ,Ursache‘)“. Setzt man, wie Uwe Kloss dies lehrt, Metaphern in der Arbeit am eigenen Körper ein, dann werden Bedeutungsvergleich und Bedeutungsübertragung zu innerkörperlichen Tätigkeiten mit „handgreiflichen“ Resultaten. Sie werden zu spielerischen Experimenten, in denen wir unseren Körper-in-Bewegung dem Sog bestimmter innerer Bilder anvertrauen. Dabei übertragen wir bestimmte Züge dieser Bilder auf ihn, indem wir sie ihm entlocken oder auch nur ablauschen.
Skifahren von innen: Das ist zum Beispiel einen Hang hinunterlaufen mit dem Bild „Wasser“ vor dem inneren Auge. Als Kleingruppenaufgabe von Uwe Kloss: „Fahrt gemeinsam als Haufen den Hang hinunter (die langsamsten geben das Tempo vor). Die Partner bilden jeweils die Anhöhen im Raum — Du fließt als Bach zwischen den sich bewegenden Erhebungen hindurch.“
Läßt man sich auf dieses Spiel ein, öffnet man sein Körperschema, sein Bild-von-sich den von Kloss beschworenen Wasser-Bildern, dann fährt man tatsächlich — ich kann's bezeugen — anders. Das eigene Wollen verflüchtigt sich, schon weil man seine periphere Wahrnehmung aktivieren muß, die Empfänglichkeit für die Schwingungen der anderen. Man macht sich, so gut es geht, zum Element eines mobilen Körper- Ensembles, wird mitgetragen vom Fluß der gemeinsamen Bewegung — und findet seinen Weg „wie von alleine“. Und wie von alleine löst sich dabei das eigene Ich, das vereinzelte Selbst-Bewußtsein, auf in ein größeres, an dem die anderen Kursteilnehmer genauso teilhaben wie der Hang, der Wind oder dieser eine Schneebuckel, um den ich mich gerade herumtreiben lasse.
Das Gegenbild zu „Wasser“ in Kloss' metaphorischem Szenario ist „Feuer“. „Das Feuer lodert, brennt, reinigt, steigt der Schwerkraft entgegengesetzt zum Himmel auf.“ Und „der Feuerreiter fährt, berstend vor Energie, den Hang hinunter, dynamisch und ausdrucksstark“. Während man als „Wasser“ sein Ich im Strom der vielen auflösen soll, fordert das Bild des Feuerreiters zur Radikalisierung des eigenen Willens auf, zu seiner Betonung und Steigerung bis an die Grenze des Lächerlichen. „Bewege Dich auf Skiern, als würdest Du (weg)laufen. Statt um die Kurve zu schwingen, laufe um Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
die Kurve herum ...“ Wasser und Feuer, Erde und Luft stehen in dieser Lehrmethode also für je extreme Möglichkeiten, sich zum Hang, zum eigenen Körper (und zu denen der anderen) zu verhalten. Dabei geht es nicht darum, sich für eine von ihnen als die „richtige“ zu entscheiden. Der Fülle unserer körperlichen Möglichkeiten sollen wir gewahr werden, damit wir zwischen ihnen hin- und hergleiten können je nach Hang, Wetter, Laune und nach „Lage der Dinge“.
Je deutlicher, genauer und intensiver wir diese Möglichkeiten wahrzunehmen lernen, um so leichter fällt es uns dann auch, uns ihnen anzuvertrauen, rückhaltlos auszuliefern, loszulassen. Wenn das gelingt — dann kommt man dem Nirwana reinen Seins, von dem die Mythiker schwärmen, schon verdammt nahe. Skifahren, das auf solche Erfahrungen zielt, ist letzten Endes eine spirituelle Disziplin, eine präzise Technologie der Bewußtseinserweiterung und Ekstase.
Um das tägliche Skifahren herum gruppiert Kloss in seinem Programm denn auch weitere Praktiken, die vom Körper her Bewußtsein und Geist modulieren, die dem Instrument unserer Körper ungewohnte Töne entlocken. Diese Angebote reichen von einer Stunde Yoga vor dem Frühstück bis zu „Energy Dance“ am Abend, einer von Uwe Kloss entwickelten Mischform aus Gymnastik, Tanz und Yoga.
Aber ist solch eine „andere“ Ski-Reise auch moralisch legitim? Ist sie ökologischer? Kann man überhaupt noch mit gutem Gewissen Skilaufen?
Gewiß, bei Uwe Kloss fährt man bewußter, achtsamer, also auch langsamer und weniger; und wenn die Schneedecke zu dünn ist, soll gar nicht gefahren werden. Außerdem bevorzugt er seit Jahren Scuol, ein relativ kleines und ruhiges Skigebiet im oberen Inn-Tal, das — wenn man seinem Fremdenverkehrsdirektor glauben darf — keinerlei Expansionsgelüste hat. Ganzheitlich Skifahren heißt auch, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedingungen zum Thema zu machen, unter denen wir diesem Vergnügen frönen: Deshalb lud er auf der letzten Reise neben diesem — überaus aufgeklärten — Manager des Fremdenverkehrs auch Aktivisten einer Greenpeace-Initiative zur abendlichen Diskussion, die sich für die Sanierung des Bergwalds engagieren.
Reicht das, um Skifahren moralisch vertretbar zu machen? Je länger ich diese Frage mit Freunden und mit mir diskutiere, um so uferloser wird sie. Konsequent sein, nur „das Richtige“ zu tun, geht halt beim Skifahren so wenig wie beim Einkaufen, beim Geldverdienen, beim Leben in der Großstadt: Immer bedienen und bestätigen wir auch Strukturen, die wir „eigentlich“ ablehnen. Man kann sich nur Mühe geben, den eigenen Beitrag zu Belastung und Schaden so klein wie möglich zu halten. Uwe Kloss, so mein Eindruck, bekommt das bei seinen Reisen ganz passabel hin. Der Stachel des Zweifels aber bleibt: auch er gehört zum „ganzheitlichen Skifahren“.
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