: Wie exklusiv ist „all inclusive“?
Um den lokalen Tourismus zu fördern, hatte Gambias Regierung All-inclusive-Angebote internationaler Touristikunternehmen verboten. Als das Tourismusgeschäft stagnierte, hob sie das Verbot wieder auf. Ein Lehrstück über den internationalen Markt
von CHRISTINE PLÜSS
Exklusiv? Die All-inclusive-Angebote werden eher mit Billigferien in Verbindung gebracht. Wie exklusiv im wahrsten Sinne des Wortes aber All-inclusive-Reisen sind, zeigt das Beispiel Gambia: Wirte von Strandkneipen, Familienpensionen, lokale Transportunternehmen und Souvenirhändlerinnen werden durch die Ferienformel der internationalen Tourismusindustrie systematisch von der Beiteiligung am Geschäft ausgeschlossen.
Anfang Dezember 2000 hob die Regierung Gambias einen Beschluss wieder auf, der im Jahr zuvor für Aufruhr in der Tourismuswelt gesorgt hatte: Die Regierung des kleinen westafrikanischen Küstenstaats hatte nämlich verfügt, dass Hotels und Ferienanlagen ab Saisonbeginn im Oktober 1999 keine All-inclusive-Arrangements mehr anbieten dürfen. Der Zickzackkurs der Regierung erweist sich als kleines Lehrstück über die Verhältnisse auf dem internationalen Tourismusmarkt. Doch dazu die Ereignisse der Reihe nach.
Die Wirtschaft Gambias profitiere zu wenig von den All-inclusive-Tours, befand Gambias Regierung im Mai 1999 und wies die Tourismusunternehmen, insbesondere die internationalen Hotels und Reiseveranstalter, an, ihr Angebot auf Zimmer mit Frühstück oder Halbpension umzustellen. Die ausländischen Reisenden sollten den Austausch mit dem Volk pflegen, ließ das Tourismusministerium verlauten. Wenn die TouristInnen im Hotel blieben, weil sie Essen, Getränke und ihre Unterhaltung dort im Voraus bezahlt hätten, würden die Verdienstmöglichkeiten der lokalen Restaurants, Bars und Taxiunternehmen, aber auch des Souvenirhandels klar beschnitten.
Das Verbot der All-inclusive-Angebote zeugt vom hohen Stellenwert, den der Tourismus heute in Gambia einnimmt. Er macht rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und bietet schätzungsweise 10.000 Einheimischen Beschäftigung. Diese gehören vornehmlich zu den 20 Prozent der insgesamt 1,25 Millionen zählenden Bevölkerung Gambias, die in der Hauptstadt Banjul ihr Auskommen suchen; viele arbeiten in subalternen Jobs in Hotels oder in Kleinunternehmen, Familienbetrieben und im informellen Sektor rund um den Tourismus.
Der Regierungsbeschluss erfolgte ganz offensichtlich auf Druck der lokalen AnbieterInnen im Tourismus. Allzu gegenwärtig war vielen noch der herbe Rückschlag, den Gambias Tourismus 1994 in Kauf nehmen musste, als er aufgrund politischer Instabilität und Reisewarnungen der britischen Regierung fast völlig zum Erliegen kam. Deshalb sah man mit wachsendem Unbehagen, wie das in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre wieder aufstrebende Tourismusgeschäft immer mehr in die Hände von internationalen Hotelketten und Reiseveranstaltern gelangte.
So engagierte sich etwa die deutsche FTI-Gruppe 1997 mit der Übernahme des einzigen Fünfsternehotels in Gambia und bot das ebenfalls von ihr geführte 200-Betten-Haus Sunwing erstmals als All-inclusive-Hotel an. Bezeichnenderweise gehörte das Sunwing zur schwedischen Scandinavian Leisure Group, einer Tochergesellschaft des britischen Reisekonzerns Airtours, der ebenfalls an FTI beteiligt war (und unterdessen die FTI-Gruppe voll übernommen hat). Denn gerade bei der britischen Kundschaft, die Gambia als erschwingliches Ferienziel (wieder)entdeckte, erfreuten sich die All-inclusive-Arrangements steigender Beliebtheit.
Kein Wunder, ließ das Verbot der All-inclusive-Arrangements bei den lokalen touristischen KleinunternehmerInnen in Gambia doch die Hoffnung aufkommen, gerechter am Tourismus zu verdienen. Entlang den Stränden wurden neue Bars eröffnet, mit Picknicks und Partys lockte man ausländische und einheimische Gäste. Die lokalen Reiseveranstalter atmeten auf, bedienten sie doch seit je eine Kundschaft, die Wert auf eine flexible Urlaubsgestaltung legte und Bed-and-Breakfast-Arrangements bevorzugte.
Auf wenig Gegenliebe stieß der Regierungserlass allerdings bei den Managern der internationalen Veranstalter. So beklagten sich Verantwortliche der Hotelkette Sandals gegenüber der einheimischen Presse, die Regierung habe keine Ahnung vom Tourismusgeschäft. Die Gäste würden ohnehin Ausflüge unternehmen, die Hotels kauften Produkte des lokalen Markts. Andere Hoteliers zweifelten öffentlich die Rechtmäßigkeit des Regierungsbeschlusses an. Die FTI-Gruppe machte – laut gambischen Medien – Einkommenseinbußen von rund 21 Millionen Dollar geltend, entließ Angestellte und stoppte ihre Unterstützungsprogramme im Land. Auch die britischen Veranstalter Cosmos, Airtours, First Choice und Gambia Experience hätten ihre Geschäfte reduziert.
Schützenhilfe erhielt das internationale Tourismusbusiness von religiösen Führern, die im Freitagsgebet den Verfall der Sitten anprangerten und gegen Alkoholkonsum und die neuen Vergnügungen am Strand predigten. Im August 2000 jedenfalls wurde anlässlich eines Kabinettswechsels das Tourismusministerium neu besetzt. Die neuen Verantwortlichen verfügten als Erstes den Abriss der Strandkneipen. Im Dezember hoben sie das Verbot der All-inclusive-Reisen auf und erließen neue Steuererleichterungen für ausländische Investoren, die All-inclusive-Anlagen errichten wollen.
„Das Verbot der All-inclusive-Angebote hat den lokalen AnbieterInnen keineswegs den faireren Tourismus gebracht, den sie sich erhofft hatten“, kommentiert rückblickend Bubacarr Sankanu, der als gambischer Staatsangehöriger die Organisation Pan-African Renaissance e. V. mit Sitz in Köln leitet. „Die Regierungsmaßnahme hat im Gegenteil mehr Einheimische vom Tourismus ausgeschlossen“, hält Sankanu angesichts der Tatsache fest, dass viele Leute ihre Arbeit verloren und der Tourismus stagnierte. „Die ursprüngliche Absicht, nämlich die Förderung der lokalen Kontrolle des Tourismus, konnte nicht verwirklicht werden.“ Die Behörden der Empfängerländer steckten in einem Dilemma, meint Sankanu weiter: „Auf der einen Seite stehen sie unter Druck, die Entwicklung des internationalen Privatsektors zu fördern oder zumindest zu gewährleisten. So setzen sie politische Maßnahmen durch, die ausländischen Investoren freie Hand geben. Auf der anderen Seite haben sie den Druck der Bevölkerung, die soziale Infrastrukturen will. Wenn sie mit strengen Maßnahmen die Wirtschaft regulieren, werden sie als undemokratisch bezeichnet und verlieren eventuell ausländische Unterstützung; wenn sie aber eine Laisser-faire-Politik betreiben, dann bekommen sie Probleme im Land selbst.“
Trotz aller Schwierigkeiten haben nach Ansicht von Sankanu die einheimischen AnbieterInnen im Kampf gegen die All-inclusive-Angebote an Einfluss gewonnen: Die Regierung wolle nun eine nationale Konferenz einberufen, um ihre Anliegen aufzunehmen. Außerdem wolle sie die Qualifizierung und Planung im Tourismus fördern.
Etliche lokale TourismusunternehmerInnen haben sich zudem in einem neuen Verband, der „Association of Small Scale Enterprises in Tourism“ (Aset), zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu vertreten, für Ausbildung und Qualität im Tourismus zu sorgen und auf nationaler und internationaler Ebene für eine nachhaltige, faire Entwicklung des Tourismus einzustehen.
Tatsache ist aber auch, dass sich mittlerweile wichtige Veranstalter aus Gambia zurückgezogen haben. So hat der deutsche Vorreiter für All-inclusive-Angebote, FTI, der als Marktführer über 50.000 Ferienreisende jährlich nach Gambia brachte, das Urlaubsziel ab kommender Saison vorläufig aus dem Programm gestrichen. Man müsse ab Sommer 2001 generell die Kapazitäten reduzieren, begründet Andrea Hetzel, die Kommunikationsbeauftragte des FTI-Konzerns, die Entscheidung. Nicht nur Gambia, auch verschiedene Reiseziele rund ums Mittelmeer seien aufgrund der Unternehmenslage sowie der Übernahme des Konzerns durch die britische Airtours aus dem Angebot gestrichen worden. Das bedeute noch nicht das definitive Aus für Gambia, doch könne vorderhand nichts Genaueres darüber gesagt werden, ob und wann Gambia wieder im Programm erscheinen werde.
Der Schweizer Ableger von FTI bietet Gambia bereits in der laufenden Saison nicht mehr an, und auch Hotelplan hat Gambia nicht mehr im Programm. Peter Stahel, der Senior Product Manager der Badeferien weltweit von Hotelplan, erklärt, dass in erster Linie die Absetzung des Direktflugs der Swissair nach Banjul für diesen Rückzug verantwortlich sei. Das All-inclusive-Verbot habe die Entscheidung nicht beeinflusst. Die All-inclusive-Angebote fänden in der Schweiz – anders als in Deutschland oder Großbritannien – nur ein kleines Publikum.
Für die Tourismusanbieter und -verantwortlichen Gambias, die sich um gerechtere Verteilung der Einkünfte aus dem Tourismus bemühen, ist das Fazit bitter: Für konkrete Maßnahmen vor Ort ist der Spielraum offensichtlich eng, will man es nicht mit den „big players“ verderben. Diese aber, die großen Tourismuskonzerne, treffen ihre Entschlüsse zum Gambia-Programm ohnehin fernab vom Land selbst.
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