Wie die taz zu den Leser*innen findet : Durch die Nacht
Redaktionsschluss, Druckerei, Kurier, Briefkasten. Wir haben die gedruckte taz eine Nacht lang verfolgt.
von LIN HIERSE und HANNA VOSS
Familie Zimmermann aus Oldenburg hat sich geärgert. Am vergangenen Samstag hat sie keine taz am Wochenende bekommen. Woran kann das gelegen haben? Was ist schiefgegangen? Bis die Zeitung auf dem Frühstückstisch der Abonnent*innen ankommt, geht sie durch viele Hände. Wenn eine Lieferung zu spät kommt oder ein Zusteller ausfällt, kann es passieren, dass morgens keine taz im Briefkasten liegt. Doch wer steckt hinter dem Wort „Zusteller“? Und was wird eigentlich wann wohin geliefert?
1. Station: taz-Redaktion, 17.15 Uhr
Der Weg der taz beginnt in der Berliner Redaktion. Hier ist die taz zum Redaktionsschluss noch komplett digital. Spätestens um 17.15 Uhr wird die Seite 2 an drei Druckereistandorte in Deutschland geschickt: nach Pinneberg (Schleswig-Holstein), Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) und Gießen (Hessen). Dort werden die drei Ausgaben der taz, die Nord-, Berlin- und Westausgabe, gedruckt. Wir verfolgen den Weg der taz Nord und starten, während die Redaktion die Seiten an die Druckereien sendet, in Richtung Norden
2. Station: Druckerei A. Beig, Pinneberg, 19.10 Uhr
Wir taufen ihn „Gonzo“, unseren Mietwagen, mit dem wir uns auf den Weg zur Druckerei A. Beig machen und dabei hineinfahren in den Sonnenuntergang, im Fach zwischen uns Cola und Bonbons. Gonzos Navigationssystem bietet die Wahl zwischen drei verschiedenen Touren, und obwohl es um den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen geht, entscheiden wir uns nicht für die hellblaue, ökologische, sondern für die rote, die schnellste Route. Und Gonzo, der es nicht besser weiß, schickt uns im Feierabendverkehr mitten durch Hamburg. Eine Stunde verspätet erreichen wir die Druckerei in Pinneberg, abseits der Innenstadt, gepflanzt in ein Gewerbegebiet.
Draußen, rauchend und grau, wartet Axel Gerhards, er führt uns in die Halle, die hoch ist wie ein Zirkuszelt und in der es nach Maschinenöl und Chemikalien riecht. Gerhards ist der Versandleiter, er sorgt dafür, dass die beiden Produktionsabschnitte, der Druck und der Vertrieb, optimal ineinandergreifen. Gelegentlich müssen wir versuchen, von Gerhards Lippen und aus seinen Augen zu lesen, die nie durch die Brillengläser schauen, sondern stets einen Spalt breit darüber hinweg. Es ist laut, sehr laut, und wir verstehen auch deshalb längst nicht alles.
In einem ruhigeren Raum lernen wir Ute Ladiges kennen, Ute, die das alles schon seit 27 Jahren macht. Sie sitzt am Schreibtisch, vor ihr auf dem Bildschirm öffnen sich kleine Rechtecke, taz-Seiten, die aussehen wie Briefmarken in einem Sammelalbum. Aus der Redaktion in Berlin werden die Daten an diesen PC gesendet, an diese Ute. Sie sagt, die taz arbeite immer sorgsam, nur selten müsse sie der Redaktion hinterhertelefonieren.
Ute schickt die Daten an die Maschinen im Raum, wo sie auf Druckplatten gezogen werden. Vier Druckplatten pro Zeitungsseite, für jede Farbe eine: Cyan, Magenta, Yellow und Schwarz. An der Wand neben Utes Schreibtisch hängen die Platten kopfüber wie Handtücher zum Trocknen. Auch das Sportmagazin kicker druckt die Pinneberger Druckerei an diesem Abend, 35.000 Stück, 12.000-mal die taz. Als wir gehen, kontrolliert Ute gerade eine taz, von der Titelseite über den Hambacher Forst bis zum Ende, ob auch nichts schief sitzt, ob keine Farbe zu grell blitzt. Sie sieht zufrieden aus.
Die spitzen braunen Lederschuhe immer einen Zentimeter nach außen gerichtet, führt Axel Gerhards weiter durch die Halle. Zu den Papierrollen, aneinandergeschoben wie truckreifengroße Zitronenrollen aus der Bäckerei.
Die Breite der Rollen ist abhängig vom Zeitungsformat und davon, wie viele Seiten nebeneinander gedruckt werden. Über im Boden eingelassene Minifließbänder gelangen die Rollen zu ihren Maschinen, die sie an beiden Seiten greifen und aufbocken. Die um das Papier gewickelte Pappe wird zuvor entfernt, eine dünne Lage papierenes Weiß bleibt kleben. „Früher, als es den Verlagen noch gut ging und sie nicht auf den Papierverbrauch geachtet haben, ist mehr kleben geblieben“, sagt Gerhards.
Die taz rattert neben und über uns hinweg, Tausende hintereinander, das nennt sich Schuppenstrom. So gelangt sie in eine Maschine, die erst seit vergangenem Jahr in Pinneberg steht. Vorher fiel in nur einem Jahr fünfmal der Strom aus, alles musste an die Druckerei nach Büdelsdorf geschickt werden, 100 Kilometer nördlich. Doch mit der neuen Maschine, sagt Gerhards, passiere das nicht mehr, heute sei es mal ein Papierstau, vor allem aber der strenge Zeitplan, der immer noch etwas verzögern könne. In der neuen Maschine wird jede taz einzeln aus dem Schuppenstrom genommen, an der nächsten Station geöffnet und in diese Öffnung die jeweilige Beilage geschoben. Die fertige taz kehrt zurück in den Schuppenstrom, fährt noch eine Station weiter und wird dort Teil eines taz-Pakets, verschnürt und mit einem Aufschlagzettel versehen, damit der Fahrer weiß, wo sie hinmuss.
Der Fahrer an diesem Abend ist Norbert, nur Norbert, der wenige Worte spricht und noch weniger Firlefanz macht um das, was er immer macht. Er selbst bezeichnet sich als Kurier. Offiziell ist er ein Subunternehmer, der für den Zeitungslogistiker OHL fährt. Mit dem arbeitet die taz zusammen. Welche Subunternehmer OHL beschäftigt, weiß die taz nicht. Mit einem kleinen Gabelstapler verlädt Norbert die tazzen, die nach Bremen müssen, in seinen blauen Caddy.
3. Station: Parkplatz, Bremen, 21.50 Uhr
Etwa eine Stunde folgen wir Norbert auf der Autobahn durch die Nacht. Die Straßen sind frei, der Stau in Hamburg ist lange her, genau wie der letzte Kaffee. In Bremen kurvt Norbert quer über einen Großparkplatz, rechts rein, wir halten vor einer schmalen Einfahrt. Norbert steigt aus und werkelt mit einem Schlüssel am Schiebetor. In unserem Rückspiegel leuchten die Scheinwerfer des nächsten Kuriers auf.
Die Männer parken Heck an Heck. Ralf Rüdebusch fährt einen schwarzen BMW mit Emdener Kennzeichen und schwarzen Felgen, die er hässlich findet. Norbert reicht ihm Zeitungspakete an, Rüdebusch stapelt sie auf eine flauschige Decke mit ockerfarbenen Blumenmuster im Kofferraum. Die Übergabe geht schnell, dann wird verhandelt: Wer muss das Tor hinter sich abschließen? „Wer aufschließt, muss auch abschließen“, findet Rüdebusch und gewinnt. Wir verabschieden uns von Norbert und folgen dem schwarzen BMW zurück auf den leeren Parkplatz.
Rüdebusch steigt aus, öffnet seinen Kofferraum und macht es sich neben den Zeitungsbündeln bequem. „So“, sagt er wie einer, der noch viel vor hat. Dann notiert er die Stationen, die die Zeitungen von hier aus nehmen. Gleichzeitig erzählt er von Schwierigkeiten mit anderen Fahrern und Spediteuren. So finden wir auch heraus, warum Familie Zimmermann am Wochenende keine taz bekam: Die Wochenendausgabe in Oldenburg wurde nicht ausgeliefert, weil ein Kurier im Stau stand. Ihm wäre das nicht passiert, sagt Rüdebusch, ohne Luft zu holen. Er kennt sich gut aus, er wäre doch niemals in diesen Stau reingefahren. Durch diese Verspätung kam die taz nicht rechtzeitig bei der Verteilstation in Oldenburg an. Und damit auch nicht in den Oldenburger Briefkästen.
Seit 1988 fährt Rüdebusch die taz durch den Norden. Ihm ist noch nie eine Lieferung liegen geblieben, im Dienst ist er immer erreichbar. Seit er ein Handy besitzt, hat er seine Nummer nicht gewechselt. Wir schieben unsere Fragen ein, wenn Rüdebusch gezwungen ist, zu atmen. Was, wenn er die taz nicht mehr ausliefern könnte, weil es keine gedruckte Tageszeitung mehr gäbe?
„Das wäre schade um die Zeitung“, meint er, „aber finanziell wäre das für mich kein großer Verlust.“ Das meiste Geld verdiene er ohnehin mit Lkw-Touren, das Speditionsbusiness mit den Zeitungen sei hart umkämpft, und sowieso könne sich ja jeder die kleinen Päckchen ins Auto werfen, da mischten heutzutage viele mit, und das mache ihm die Preise kaputt.
4. Station: Post und Verteilstation Oldenburg, 22.45 Uhr
Wir können gar nicht so schnell gucken, geschweige denn Gonzo abstellen, wie Ralf seinen Wagen auf das Asphaltviereck vor der Postzentrale fliegt. Er steigt aus und legt das taz-Paket vor den Eingang. Wer die taz mit der Post erhält, ist abhängig von der Postleitzahl. Wenn es sich für die zuständigen Trägerdienste nicht lohnt, die Zeitungen per Boten zuzustellen, übernimmt das die Post.
Gegen 23 Uhr düst der schwarze BMW dann auf den Hof eines solchen Trägerdienstes, mit dem auch die taz zusammenarbeitet. WE-Druck liegt etwas außerhalb, in Oldenburg-Etzhorn. Hier werden Lokalzeitungen wie die Ostfriesen-Zeitung gedruckt, aber das Unternehmen liefert auch andere Blätter in die Region aus. Die taz-Ausgaben werden hier für den weiteren Transport vorbereitet. Dafür landen sie zunächst von Rüdebuschs Kofferraum auf einem Tisch in der Verpackungsstation.
In der Halle herrscht Warnwestenpflicht: Flughafenatmosphäre. Weiße Transporter reihen sich routiniert am Fließband auf. Dennis Thoben nimmt uns in Empfang und zeigt uns, wo die Zeitungen und Beilagen jeweils abgestimmt auf die Abonnent*innen zu individuellen Paketen zusammengeschnürt werden: Manche bekommen die Süddeutsche Zeitung und die taz, andere Welt, FAZ und eine Lokalzeitung. An Verpackungsmaschinen sammeln Angestellte die unterschiedlichen Zeitungen für Paketkombinationen zusammen, die dann mithilfe eines Pedals in Sekundenschnelle und begleitet von einem peitschenden Knall mit schwarzen Plastikbändern verschnürt werden.
Auf der anderen Seite der Halle ist ein Aufenthaltsraum mit grellem Licht und großen Fenstern, durch die man das Ent- und Verladen beobachten kann. Es gibt Filterkaffee und H-Milch. An der Wand hängt ein Flatscreen, auf dem der Bearbeitungsstatus einzelner Lieferungen steht. Ohne Erklärung sind die Codes aus Zahlen und Buchstaben unmöglich zu entschlüsseln. „060_ON_CC“ heißt unsere Route: 060 ist die Nummer der Tour, ON steht für Oldenburg Stadt, und CC hat damit zu tun, welche Beilagen in der Tour mit ausgeliefert werden. Der angezeigten Tabelle lassen sich außerdem Informationen über Verladerampe, Anzahl der Pakete und voraussichtlichen Start der Verladung entnehmen.
Um 0.15 Uhr sollen unsere Zeitungen laut Anzeige im Lieferwagen von Fahrer Marek landen, der in dieser Nacht vier Verteilungspunkte in Oldenburg-Stadt anfährt. An Rampe 7 ist er gerade fertig mit dem Laden der Zeitungen, die über das Fließband an seinen Wagen transportiert wurden. Er muss vorne nur noch schnell einen Brief abgeben, sagt Marek. Keine fünf Minuten später folgen wir seinem Lieferwagen in Richtung Stadtzentrum.
5. Station: Tankstelle, Oldenburg, 0.30 Uhr
Seit drei Jahren, erzählt Marek eine Viertelstunde später, und hält ein zusammengeschnürtes Zeitungspaket wie einen Untersuchungsgegenstand ins Licht, mache er das hier. Mit einem der Fahrradboten habe er trotzdem noch nie gesprochen.
Sie kämen eben, wann sie wollten, meistens vor ihrer tatsächlichen Arbeit, und das könne zwischen 0.30 und 5 Uhr sein. Diese Anonymität kann auch zum Problem werden, wenn die Leute krank oder aus anderen Gründen verhindert sind und sich nicht melden. Und passiert es, dass Zeitungen gestohlen werden? Marek lacht. „Warum sollte jemand?“ Heute fährt Marek die Stadttour, vier Stationen in Oldenburg muss er beliefern, diese Tankstelle ist die erste.
Aus den geschnürten Paketen in seinem Auto baut er kleine Stapel vor dem Tankstellenhäuschen, sortiert sie nach Zustellbezirk. Nach ganz links legt er den Stapel mit der taz für Zimmermanns, den wir ehrfürchtig begutachten. Wir sehen sogar die nachgelieferte Wochenendausgabe, auf die Zimmermanns am Samstag verzichten mussten. Bis hierhin also haben wir es mit der taz geschafft.
Als Marek weg ist, heißt es warten. Wenig später taucht ein Radfahrer auf, mit dünnem Pferdeschwanz und Kopfhörern im Ohr. Wir sagen „Moin“, er sagt nichts. Der Zusteller ignoriert uns und steuert die verschiedenen Zeitungspakete vor dem Eingang der Tankstelle an. Er sammelt ein paar Exemplare ein und verstaut sie gemächlich in seiner Fahrradtasche. Dann schwingt er sich wieder aufs Rad und verschwindet in der Dunkelheit. Wann unser Kurier kommt, wissen wir nicht.
Wir warten an der verlassenen Tankstelle. Als sich um 1.45 Uhr noch immer kein Zusteller blicken lässt und uns langsam die Augen zufallen, fahren wir – ohne Fahrrad – schon mal vor: Nur wenige hundert Meter weiter zu Familie Zimmermann, mit der gedruckten taz im Gepäck.
6. Station: Briefkasten, 6 Uhr
Wir bringen die taz also persönlich, doch weil wir annehmen, dass selbst die großartigste Zeitung der Welt niemand um 2 Uhr nachts lesen möchte, warten wir, bis Zimmermanns zur Arbeit müssen.
Im frühen Morgengrauen nehmen Jörg und Dörthe Zimmermann ihre taz entgegen, „ich lese sie jeden Tag“, sagt Jörg. Aber die Zukunft, die sei wohl digital. „Die ePaper-Ansicht der taz auf dem Smartphone ist schon perfekt“, findet Jörg.
Auf dem Tablet dürfe sie sich aber noch verbessern, und eine richtige App sollte auch bald folgen. „Spiegel Online zum Beispiel finde ich großartig.“ Dörthe nickt: „Manchmal schafft man es ja dann doch nicht, alles zu lesen, und dann denke ich schon immer über dieses ganze verschwendete Papier nach.“ Sie hätten dann immerhin noch Verwendung dafür – als Bodenauslage für den Hühnerstall.