■ Wie die „Democratin“ Henriette Obermüller das Fahnensticken in eine politische Aktion ummünzte: „Sieg oder Tod“
Die Revolution von 1848/49 war eine von Männern gedachte und militärisch durchgeführte. Sie fand auf den Barrikaden statt, in der Frankfurter Nationalversammlung oder in der Presse, Räumen also, zu denen sich die Frauen erst Zutritt erkämpfen mußten. Trotzdem gaben die Frauen der Revolution von 1848/49 ihr eigenes Profil, denn die neuen Formen bürgerlicher Öffentlichkeit bedurften symbolischer Abstützung. Diese Aufgabe übernahmen Frauen aus den „besseren“ Ständen in den neu gegründeten Vereinen.
Das Fahnensticken spielte dabei eine wichtige Rolle, denn die Frauen symbolisierten die „innere“ Verteidigungslinie gegen die Konterrevolution, sie unterstützten die Wehrkraft der Männer. Nichts war der Revolution abträglicher als der Spott der Frauen, wenn sie sich über „die Schläfrigkeit und den Hosenschlotter“ gewisser Männer mokierten.
„Hosenschlotter“ kannte die Durlacherin Henriette Obermüller, die die Historikerin Susanne Asche auf ihrer Spurensuche nach den 48er-Frauen entdeckte, offenbar nicht. Die Gattin des als „Wühler“ bekannten Karl Theodor Obermüller besuchte am 16. Juli 1848 den Süddeutschen Demokratentag in Ettlingen, wo sie sich „unter die auf der Tribüne aufgestellte rote Fahne placiert“ haben soll.
Das Haus der Obermüllers – beide aus Familien mit demokratischer Tradition stammend – galt als „Democratennest“; es war der örtlichen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Aufgefallen war die Hausherrin, weil sie einem Freund eine Guillotine als Anstecknadel geschenkt hatte. Doch mit symbolischen Aktionen beschied sich Henriette nicht, denn offenbar übertrat sie den ihr zugewiesenen häuslichen Kreis und versuchte, wie die spätere Anklage vermerkt, „das Landvolk aufzureizen“.
Ob „das Landvolk“ Henriette Obermüller folgte, verschweigen die Quellen. Sicher ist, daß sie unter den Durlacher Bürgerinnen manche Anhängerin fand, denn sonst wäre es nicht zu dem Fahnenstreit gekommen, der 1849 während der badisch-pfälzischen Reichsverfassungskampagne den Durlacher „Frauen- und Jungfrauenverein“ spaltete. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung in der Bürgerwehr um die rote oder weiße Farbe der Revolutionsfahne, die in einer feierlichen Zeremonie vor dem Rathaus unter Beteiligung der Frauen übergeben werden sollte.
Henriette trug diesen Disput in den Frauenverein und plädierte, um die Freischärler bei der Stange zu halten, für eine rote Fahne mit der Aufschrift „Durlachs Democratinnen den Turnern 1849 – Sieg oder Tod“. Nun handelte es sich bei den Durlacher Vereinsdamen allerdings um gemäßigte Geister mit wohltätigen Ambitionen, und so schlugen sie die von Henriette Obermüller zusammen mit einigen Gesinnungsgenossinnen gestickte rote Fahne glattweg aus.
Daraufhin veröffentliche Henriette Obermüller im Durlacher Wochenblatt einen Aufruf an die „Frauen und Jungfrauen“, eine Vereinsfahne zu stiften. Wie hoch der politische Gegner die von Frauen gestickten und überreichten Fahnen einschätzte, läßt sich aus den Prozeßakten der Henriette Obermüller ablesen, die wegen Hochverrats viele Monate im Gefängnis saß und erst 1850 gegen Kaution entlassen wurde.
Als Dank für ihre konsequente Haltung in der Fahnenfrage widmete ein Durlacher „aus Auftrag vieler Bürger“ Henriette Obermüller 1849 ein emphatisches Gedicht mit dem Anfangsvers: „Des Vaterlandes kampfgeübten Söhnen, / Die gleich zum Siege, wie zum Tod bereit, / Hast Du mit andern freigesinnten Schönen, / Die Fahne, die sie führen soll, geweiht.“ Ulrike Baureithel
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