Wie demokratisch sind Volksentscheide?: Volkes Wille
Die Grünen waren der Motor für die Einführung der Direkten Demokratie. Inzwischen haben sie den Spaß daran etwas verloren. Nun übernimmt die AFD ihren Job.
HAMBURG taz | Will man die Volksgesetzgebung, die in den vergangenen drei Jahrzehnten Einzug in die Landesverfassungen aller Bundesländer hielt, einer Partei zuordnen, so fallen einem zuerst die Grünen ein. Keine Partei hat enger mit den Initiativen kooperiert, keine hat sich plebiszitäre Elemente mehr auf ihre Fahnen geschrieben und das Thema in Koalitionsverhandlungen öfter auf die Agenda gesetzt.
Als basisdemokratisch strukturierte Partei entstanden die Grünen Ende der Siebziger aus zwei Bewegungen, die Massen von Menschen auf die Straße brachten, aber zunächst keine parlamentarische Mehrheiten organisieren konnten: Der Anti-AKW-Bewegung und der Friedensbewegung, die sich gegen den Nato-Doppelbeschluss formierte. Skeptisch, wie sie gegenüber dem parlamentarischen Betrieb waren, sannen die Grünen früh über Strategien nach, Volkes Stimme mehr Macht zu verleihen.
Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, brachten sie noch im selben Jahr einen Gesetzentwurf zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen ein. Die von einer Gruppierung der Grünen gegründete „Aktion Volksentscheid“ richtete 1983 eine Sammelpetition an den Bundestag, die Volksgesetzgebung auf Bundesebene einzuführen.
Auch auf Landesebene agierte die Partei als Motor der Volksgesetzgebung. Mit der Wiedervereinigung kam das Thema stärker nach vorn, und bis 1996 wurde die Volksgesetzgebung in alle Landesverfassungen aufgenommen – zuletzt in Hamburg. Heute bekundet der grüne Hamburger Abgeordnete Farid Müller, Hamburg habe „inzwischen die beste direkte Demokratie in ganz Deutschland“ und er selbst habe als Verfassungsexperte seiner Fraktion „mitgeholfen, dass die Regelungen für Bürger und Volksentscheide bürgernah und freundlich sind“.
Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die Grünen setzen auf Regierungsbeteiligung und versuchen, ihre Anliegen in Koalitionen durchzupauken. Das Volk aber folgt ihnen nicht immer. Besonders weh tat der Partei die Volksblockade der von der grünen Senatorin Christa Goetsch mit viel Herzblut entwickelten Schulreform, einem der wichtigsten Eckpfeiler des schwarz-grünen Koalitionsvertrages in Hamburg. Der verlorene Volksentscheid war für viele Grüne ein Schock und leitete das Ende der ersten Ehe zwischen CDU und Grünen auf Länderebene ein.
Zwar treten die Grünen offiziell noch immer für eine Ausweitung der Volksgesetzgebung ein, doch hinter vorgehaltener Hand hört man von Parteifunktionären oft kritische Stimmen zu der Vision, dass das Volk möglichst viel selbst entscheiden sollte. Die Liebe zur direkten Demokratie scheint ein wenig erkaltet.
Ohnehin eignet sich das Instrument des Volksentscheids immer auch für Parteien, die starke Stimmungen und Bewegungen in der Gesellschaft repräsentieren, in den Parlamenten aber nicht als koalitions- und mehrheitsfähig gelten. Was früher auf die Grünen zutraf, gilt heute mehr als für jede andere Partei für die AfD. Kein Wunder, dass sich der parlamentarische Arm der Pegida-Bewegung heute als Vorreiter der direkten Demokratie versteht.
Im Mai dieses Jahres sprach sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm für eine direkte Demokratie auf Bundesebene nach Schweizer Vorbild, dem Mutterland der Volksgesetzgebung, aus. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry sagte, das Eintreten für eine so weit reichende direkte Demokratie sei „ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal“ ihrer Partei. In vielen Länderparlamenten hat die Partei inzwischen Anträge eingebracht, die Volksgesetzgebung zu stärken.
Der Hamburger AfD-Fraktionsvorsitzende Jörn Kruse sagte gegenüber der taz, es sei ein „wichtiges Anliegen“ seiner Partei, die Volksgesetzgebung zu stärken. Und auch der Hamburger AfD-Politiker Jens Eckleben gibt zu Protokoll: „Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung gehören seit Gründung der AfD zu unseren Hauptanliegen.“
Die Volksgesetzgebung mag ein Ziehkind der Grünen sein. Die Rechtspopulisten haben, so scheint es, den grünen Spross längst adoptiert.
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