Wie Hamburgs Bürgermeister Scholz herrscht: Sie nennen ihn St. Olaf
Bürgermeister Olaf Scholz gibt am Dienstag seit 99 Tagen in Hamburg den Kurs vor. Niemand stört ihn dabei. Er ist der Polit-Profi, der alles besser weiß.
HAMBURG taz | Olaf Scholz sagt, was er denkt. Und glaubt, was er sagt. Und er macht, was er gesagt hat. So bewegt er sich im Kreis, der für ihn die perfekte politische Form darstellt. Die Form, in die Menschen ihr Kreuz machen sollen. Denn in vier Jahren will er wiedergewählt werden. Dafür, dass er das getan hat, was er ankündigte, und nicht getan hat, was er nicht versprach. Dafür, dass er verlässlich ist. So sieht es Olaf Scholz.
In der Hamburger SPD findet die Meinungsbildung von oben nach unten statt, so sehen es andere. "Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt", kündigte Scholz vor eineinhalb Jahren an, als er Hamburger Parteivorsitzender wurde. Er meinte es ernst, das ist inzwischen allen in der SPD klar. Nach fast einem Jahrzehnt in der Opposition hat er die einst so ruhmreiche Hamburger Sozialdemokratie wieder an die Macht gebracht, und das gleich mit absoluter Mehrheit. Manche in der Partei nennen ihren Bürgermeister in einer Mischung aus Ehrfurcht und Ironie deshalb "St. Olaf".
Denn Olaf Scholz ist sakrosankt. Und solange er keine schwerwiegenden Fehler macht, wird er unantastbar bleiben. Sein einziger Gegner - zurzeit zumindest - ist er selbst. Scholz ist davon überzeugt, dass er es eben besser kann als die vielen Amateure und Teilzeit-Politiker, die sich so im Stadtstaat an der Elbe tummeln. Scholz ist ein Polit-Profi, der in einer anderen Liga als alle anderen hier in Hamburg spielt. Das glaubt er wirklich.
Der gebürtige Osnabrücker, 53, lebt seit 50 Jahren in Hamburg. Er ist verheiratet mit der SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Britta Ernst.
Der Rechtsanwalt war 1982 bis 1988 Bundesvorsitzender der Jusos, 1994 bis 2000 Kreischef in Hamburg-Altona, 2000 bis 2004 und seit 2009 Vorsitzender der SPD in Hamburg. Von Mai bis Oktober 2001 war er Innensenator.
Bundestagsabgeordneter war Scholz 1998 bis 2001 und 2002 bis 2011.
SPD-Generalsekretär war Scholz von 2002 bis 2004, danach Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und von 2007 bis 2009 Bundesarbeitsminister.
Seit 2009 ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.
Nichts, wirklich gar nichts habe ihn überrascht, seit er am 7. März Regierungschef in Hamburg wurde. Das sagt er so, und das meint er so. Und wenn Scholz am heutigen Dienstag, seinem 53. Geburtstag, vor der Landespressekonferenz im Rathaus seine Bilanz der ersten 99 Tage zieht, wird er drei Botschaften verkünden: Ich habe mich auf das Amt gut vorbereitet, ich setze alles um, was ich angekündigt habe, und ich will es so gut machen, dass ich wieder gewählt werde.
Olaf Scholz - nicht die Hamburger SPD - hat die Bürgerschaftswahl im Februar gewonnen mit dem simplen Versprechen, "handwerklich gut regieren" zu wollen. Klarheit, Vertrauen und Verantwortung stellte er in Aussicht, und das reichte. Denn Scholz hatte die politische Stimmung in Hamburg, die Wechselstimmung weg von der CDU, erkannt und ausgenutzt. Das spricht für seinen politischen Instinkt.
Generalstabsmäßig hat er den Weg an die Macht geplant. Die wenigen Vertrauten, die er einweihte und deren Rat er sich anhörte, schweigen beredt über die Einzelheiten. Denn wenn man es sich mit Scholz verderben will, reicht eine einzige Illoyalität. Der Mann vergibt selten, und er vergisst nie.
Einige beklagen indes, nie genau zu wissen, was er eigentlich denkt. Scholz lädt zum Gespräch, wen und wann er will. Dann hört er seinem Gegenüber aufmerksam zu und schaut ihm unverwandt in die Augen, so lange der redet. Danach sagt Scholz "Danke", und die Audienz ist beendet. Kein Lob, keine Kritik, kein Feedback: Nicht alle Genossen können damit - auch psychisch - gut umgehen. Dabei ist das noch die moderate Erscheinungsform seines Führungsstils. Ungemütlich wird es, wenn er antwortet: "Danke. Ich würde mir aber wünschen, dass …" So drückt Scholz sich aus, wenn er jemandem eine letzte Chance gibt.
"Olaf denkt, Olaf lenkt und wir rudern", sagt ein prominenter Genosse, ohne unglücklich zu wirken. Der Kurs wurde bestimmt auf einer "Führungskräftekonferenz" im Dezember 2010, deren 39 Geladene Scholz höchstselbst aussuchte. Nicht alle, die dabei sein durften, machten Karriere; wer aber nicht dabei war, ist in keinem Fall etwas geworden.
Die wichtigste Leitlinie, die dort aufgestellt wurde, lautet: Zehn Jahre lang "eisenharte" Haushaltskonsolidierung. "Das ist meine Entscheidung, die behalte ich bei", sagt Scholz heute: "Wir müssen den Haushalt über die Ausgaben steuern, nicht über die Einnahmen." Deshalb lässt er kontinuierlich sparen, und wenn wie aktuell die Steuereinnahmen sprudeln, werden nicht Wünsche erfüllt, sondern Schulden abgebaut. Deshalb bleibt er bei seinem Nein zur Stadtbahn, deshalb legte er sich wegen des Weihnachtsgeldes mit den Beamten an, deshalb nimmt er den Verteilungskampf mit den Hochschulen achselzuckend hin. "Das muss man aushalten können", sagt Scholz in diesen Fällen.
So unangreifbar ist er, dass für ihn nicht einmal ungeschriebene Gesetze gelten. Früher mussten Hamburger SPD-Parteichefs ihr Amt aufgeben, wenn sie Senatoren wurden, Bürgermeister wurde noch kein Landesvorsitzender. Die Maxime war bis 2001 das "eiserne Dreieck" aus Bürgermeister, Parteichef und Fraktionsvorsitzender.
Olaf Scholz indes bleibt Parteivorsitzender, und niemand stellt das in Frage. Manche halten eine Personaldebatte für nebensächlich, andere sagen schlicht, es könne zurzeit "nur den Einen und Einzigen" geben.
Es ist Scholz, der die Hamburger SPD fast im Alleingang wieder auf die Sonnenseite im Stadtstaat geführt hat. Er hat ihr ein neues Selbstbewusstsein eingehaucht, das bei Einigen schon wieder an die altgewohnte Arroganz der Macht erinnert, für die sie vor zehn Jahren aus dem Amt gejagt worden war.
Olaf Scholz, so scheint es, steht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Viel höher hinaus kann es kaum gehen. Vom Gipfel indes führen alle Wege bergab.
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