piwik no script img

Wie Fisch ohne Kopf

■ Was macht Frau ohne Mann? Von Requisit zu Requisit eilen! So zeigt es jetzt das Schauspiel „An Ikarus“ im Jungen Theater

Wenn folgender Satz in einer Vorankündigung steht, klingelt die Alarmglocke: „Dabei ist die Inszenierung so angelegt, daß in den Köpfen der Zuschauer eigene Bilder und Geschichten entstehen können.“ Mit dieser Umschreibung für „Achtung, Kunst!“ lädt das Junge Theater jetzt zu einem Solo-Gastspiel namens „An Ikarus“, das in der Inszenierung des Ex-Shakespeare-Company-Schauspielers Renato Grünig am Mittwoch abend dem geneigten Uraufführungspublikum erstmals gezeigt wurde.

Was macht Frau, wenn der geliebte Mann, Freund, Bruder weg ist? Unter diesem Motto wendet sich die junge, im Bremer Umland lebende Autorin Sybilla Pörksen der Kehrseite des Ikarus-Mythos zu. Während der fliehende Flieger wohl noch auf dem Weg zur Sonne oder möglicherweise auch schon längst ins Meer gestürzt ist, wartet Kalymne unverdrossen auf ihre andere Hälfte. „Ikarus ist Flieger, so groß ist er“, sagt die in die Rollenpole „alte Braut“, „das Kind“ und „reife Frau“ geschichtete und verschachtelte Heldin gleich mehrfach. Frau ohne Mann (Sohn, Bruder) ist nach dieser aus dem Mythos, aus neuzeitlichem Liedgut („Maikäfer flieg“) und zeitlosen Reflektionshäppchen zusammengesetzten Textcollage wie Fisch ohne Kopf. Denn bevor der Kalymne am Ende auch ein Leben ohne Ikarus möglich scheint (Stichwort: Katharsis), schwankt sie zwischen Bewunderung, Sehnsucht, Ablenkungsmannövern, innerer Leere und dem zaghaften Streben nach Autonomie.

Füße kratzend liegt die Kalymne anfangs da in ihrem mobilen Solotheaterbühnenbild aus Stoffwänden, einem Riesentopf und ungezählten anderen Requisiten. Die ebenfalls im Bremer Umland lebende und hörbar stimmgebildete Schauspielerin Judith S. Bauerdiek macht sich im gelben Kleid und unter einer Zottelperücke zunächst als Ikarus Schwester für ihren Bruder schick, zelebriert ein Dinner for One und sagt dann immer wie aus heiterem Himmel Sätze wie „Die Ohrringe blühen wieder auf den Regalen“.

Wirkt sie hier stimmlich und im Outfit noch wie ein Gardi-Hutter-Klon, denkt sie später Frustgedanken einer armen Fischverkäuferin oder läßt noch später die Eleganz einer selbstbewußten Frau aufblitzen. Gewiß hätte diese Schauspielerin das Zeug zum Spiel einer solchen Kalymne, wenn die Texthappen nicht so oft so wiederholungssüchtig und krude-mythenschwanger und die Inszenierung eine echte Inszenierung wäre.

Der Stückeleser Renato Grünig nämlich fand die Vorlage zwar poetisch, doch dem Regisseur Renato Grünig ist offenbar nicht allzuviel zum Thema eingefallen. Statt auf die wechselnden Gemütszustände zu setzen, läßt er Frau Bauerdiek geradezu rastlos von Requisit zu Requisit eilen und unzählige Male rein in die Pantoffeln und auch wieder raus aus den Pantoffeln schlüpfen.

Bei all dem Umgekleide und Herumgeschiebe wirkt das Schauspiel schnell wahllos und beliebig. Und so entstehen dann tatsächlich eigene, allerdings abschweifende Bilder und Geschichten in den Köpfen der Zuschauer. Freundlicher Beifall. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: Bis Sonntag, 14. Februar, täglich um 20 Uhr im Jungen Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen