piwik no script img

WiderstandBehörde verhindert Blockadetraining

Stadt Göttingen untersagt kurzfristig Probeblockaden gegen geplanten Neonaziaufmarsch am 14. August in Bad Nenndorf - Grüne Jugend veranstaltet stattdessen ein theoretisches Seminar unter freiem Himmel.

"Nicht nachmachen": Weil Göttingen Probeblockaden untersagte, hielt Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel ein theoretisches Seminar ab. Bild: Kai Budler

Stefan Wenzel, Fraktionschef der Grünen im niedersächsischen Landtag, ist empört. "Das ist doch völlig überzogen", schimpfte der Abgeordnete am vergangenen Samstagnachmittag in der Göttinger Fußgängerzone. Was Wenzel so aufregt: Die Göttinger Stadtverwaltung hat ein "öffentliches Blockadetraining" der Grünen Jugend im Vorfeld eines Nazi-Aufmarsches in Bad Nenndorf kurzfristig untersagt.

Noch am Mittwoch hatte das städtische Ordnungsamt keine Bedenken wegen der angemeldeten Aktion gehabt. Die sollte vor der Innenstadtkirche St. Jacobi stattfinden. Der freie Zugang zur Kirche und ein "problemloses Passieren des Jacobiplatzes" müssten allerdings gewährleistet bleiben, schrieb die Behörde in einer E-Mail. Am Freitagnachmittag - offenbar nach Intervention der Polizei, wie ein Anwalt berichtete - erhielt Moritz Keppler, der das Training für die Grüne Jugend angemeldet hatte, einen weiteren Auflagenbescheid.

"Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern ist, die zu Übungszwecken eine Blockadeaktion simulieren, sowie sonstige schauspielerische Aktionen, die Blockadeaktionen darstellen, sind im Verlauf der Versammlung untersagt", hieß es in dem Behördenschreiben.

Der Nazi-Aufmarsch

Der Kurort Bad Nenndorf liegt rund 35 Kilometer westlich von Hannover. Im Winckler-Bad hatte die britische Armee von 1945 bis 1947 Nazi-Verbrecher verhört.

Seit 2006 veranstalten Neonazis "Trauermärsche" zum Winckler-Bad. Anfangs nur eine regionale Veranstaltung, zogen 2009 schon rund 700 Rechte aus dem In- und Ausland durch den Ort.

Am 14. August soll der nächste Marsch stattfinden. Bis 2030 haben die Nazis Märsche angemeldet.

Gegen Rechts gingen im vergangenen Jahr rund 1.500 Menschen in Bad Nenndorf auf die Straße. Für den 14. August mobilisieren zwei Bündnisse zu Gegendemonstrationen und Blockaden.

Nach einer Pressemitteilung der Grünen Jugend im Internet halte es die Göttinger Stadtverwaltung für "offenkundig", dass die Teilnehmer nicht nur die Verhinderung von rechten Aufmärschen diskutieren und aufklären wollen, sondern sich "aktiv an der Einübung von Praktiken beteiligen wollen, die zu rechtswidrigen Situationen und Taten führen werden".

"Im Verwaltungsgericht war da natürlich niemand mehr zu erreichen", sagt Keppler. Eine Beschwerde gegen die Auflage habe man deshalb nicht mehr rechtzeitig einlegen können.

Die Grünen wollen das Verbot aber nachträglich anfechten. So verwies Fraktionschef Wenzel auf das so genannte "Mutlangen-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts. Dieses habe Sitzblockaden und andere Formen "zivilen Ungehorsams" im Jahr 1986 nämlich nicht als Straftaten, sondern nur als Ordnungswidrigkeit bewertet.

Viele der rund 50 Interessierten auf dem Kirchplatz haben von dem faktischen Verbot des Blockadetrainings vorab gar nichts mitbekommen. Für sie organisierte die Grüne Jugend deshalb spontan ein "theoretisches Seminar" unter freiem Himmel. Mit Hilfe einer provisorischen Tafel erläuterten die Sprecher der Jugendorganisation Jan Wienken und Julia Hamburg, wie sich eine fiktive "Mimi" bei Sitzblockaden am besten verhält, wie Polizeiketten umgangen und Bezugsgruppen organisiert werden können.

"Aber bitte nicht nachmachen, es ist wirklich nur theoretisch", rief Wienken. Lautes Gelächter bei den Zuhörern, von denen sich viele auf den Boden gesetzt hatten. Verlegenes Lächeln bei einigen der Polizisten, die im Umkreis postiert waren.

Neben dem theoretischen Training gab es noch Informationen zu der Nazi-Demonstration in Bad Nenndorf am 14. August. Die rechtsextreme Szene hat die Kurstadt zu ihrem Wallfahrtsort gemacht und veranstaltet seit 2006 "Trauermärsche" zum Winckler-Bad, einem früheren Verhörzentrum der britischen Armee. Dort waren führende Nazis inhaftiert. In dem Lager landeten aber auch Menschen aufgrund vager Verdächtigungen und vermeintliche sowjetische Spione. Es kam im Winckler-Bad zu Misshandlungen und Folterungen, weshalb das Lager nach zwei Jahren von den Briten geschlossen worden war.

Im vergangenen Jahr zogen mehr als 700 Neonazis aus dem In- und Ausland durch Bad Nenndorf. Rund 1.500 Bürger stellten sich ihnen entgegen. Für den 14. August mobilisieren zwei antifaschistische Bündnisse zu Demonstrationen und Blockaden gegen den rechten Aufmarsch.

In Göttingen zogen am Samstag die Teilnehmer des "Blockade-Seminars" noch in einer Demonstration durch die Stadt. Am Platz der ehemaligen Synagoge und am Zwangsarbeiterdenkmal legten sie weiße Rosen ab. "Wir wollen den Anfängen wehren", sagte ein Teilnehmer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!