Widerstand im Nationalsozialismus: Mit Mythen aufräumen
VVN-BdA organisiert Gedenken an die „Rote Kapelle“ in Lichtenberg. An der Gruppe zeigen sich die unterschiedlichen Gedenkkulturen in Ost und West.
Am 22. Dezember jährt sich die Hinrichtung der ersten elf Widerstandskämpfer*innen der „Roten Kapelle“, einem der größten Berliner Netzwerke gegen den Nationalsozialismus. An diesem Tag im Jahr 1942 wurden die Nazigegner in der berüchtigten NS-Blutstätte Plötzensee im Minutentakt gehenkt oder enthauptet.
In der DDR gab es ein Denkmal, in der BRD galten sie als Spione
Zum 80. Jahrestag organisiert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) eine Gedenkveranstaltung vor dem Denkmal für die Rote Kapelle in der Schulze-Boysen-Straße 12 in Lichtenberg. Dort wird neben Erika Rathmann und Trille Schünke von der VVN-BdA auch der Bürgermeister von Lichtenberg, Michael Grunst (Linke), eine Ansprache halten. Die Besucher*innen der Veranstaltung werden gebeten, Blumen mitzubringen.
Mit der Gedenkveranstaltung 2 Tage vor Weihnachten beginnt eine Veranstaltungsreihe der Berliner VVN-BdA zur Roten Kapelle. Am 22. Januar 2023 wird es ab 14 Uhr bei einem Rundgang durch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße 13–14 um die Geschichte der Widerstandsgruppe gehen. Dabei kommen auch die Mythen zur Sprache, die es um die Widerstandskämpfer*innen in Ost- wie Westdeutschland gab.
Vereinnahmtes Gedenken
In der BRD wurden die Antifaschist*innen pauschal als Spionagegruppe für die Sowjetunion und als Landesverräter*innen diffamiert. Damit wurde die Klassifizierung der NS-Zeit übernommen. In der DDR gab es hingegen früh Ehrungen und Gedenken der Mitglieder der Roten Kapelle. Allerdings wurde behauptet, sie hätten unter Leitung der Kommunistischen Partei (KPD) ihren antifaschistischen Widerstand organisiert. Nach aktuellem Stand der historischen Forschung handelte es sich um ein politisch unterschiedliches Widerstandsnetzwerk, dem von den Nazis die Bezeichnung Rote Kapelle gegeben wurde.
„Der ‚Roten Kapelle‘ gehörten mehr als 150 Antifaschist*innen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft und weltanschaulicher Traditionen an. Ebenso breit aufgestellt muss heute das gesellschaftliche Gedenken sein, um an die Verbrechen der Nazi-Diktatur zu erinnern und damit auch aktuell gegen jede Form menschenverachtender Politik Position zu beziehen“, zieht der Vorsitzende der VVN-BdA Lichtenberg Olaf Ruhl den Zusammenhang zwischen der Gedenkpolitik und der aktuellen antifaschistischen Praxis.
Leser*innenkommentare
chricki
Zeitweilig erfolgte ja in BRD und DDR eine faktische Gleichsetzung der "Roten Kapelle", auch wenn sich die politische Vereinnahmung unterschied. Heute würden die wohl erfolgten Mitteilungen an sowjetische Geheimdienstleute bezüglich des anstehenden militärischen Überfalls auf die Sowjetunion wohl eher als Whistleblowing angesehen werden (Stalin ignorierte entsprechende Informationen bewusst). Spannend ist bei dem im Rahmen der "Roten Kapelle" aufgebauten Netzwerk darüber hinaus, dass es Verbindungen zu anderen Widerstandsgruppen gab (Arvid Harnacks Bruder Falk gehörte zur Weißen Rose, andere Harnacks waren mit dem 20. Juli verbunden). Die Rote Kapelle war ein widerständiges Netzwerk eben gerade über die parteigebundenen Gruppen hinaus, wie seit Ende der 1980er Jahre in Ost und West langsam herausgearbeitet wurde. BND-Chef Gehlen ging übrigens davon aus, dass in der BRD immer noch ein aktives "Rote-Kapelle-Netz" die Politik der BRD beeinflusste. Das richtete sich dann gegen Personen wie den NDR-Intendanten Adolf Grimme, der mit den Kuckhoffs befreundet war...