Widerstand gegen Flüchtlinge: Deeskalation nach Katalog
Ein Strategiewechsel bei der Suche nach Standorten für Flüchtlingsunterkünfte soll fremdenfeindliche Ausfälle in den Beiräten künftig verhindern.
![](https://taz.de/picture/149024/14/fluechtlinge_04.jpg)
Es mutet wie ein Friedensangebot an: Die Sozialbehörde stellt eine Liste mit sämtlichen für Flüchtlingsunterkünfte geeigneten Grundstücken und Gebäuden der Stadt zusammen und händigt sie allen Beiräten aus – und im Gegenzug bemühen sich die Beiräte um Mitarbeit und darum, Gegenargumente an einem „Kriterienkatalog“ festzumachen. „Ich möchte zukünftig keine Einwände mehr hören, in denen es heißt, wir haben schon genug Ausländer hier“, so die deutlichen Worte von Staatsrat Horst Frehe (Die Grünen) auf der öffentlichen Beirätekonferenz am vergangenen Donnerstag.
Damit reagierte er auf die Häufung fremdenfeindlicher Ausbrüche bei Diskussionen um Standorte für Flüchtlingsunterkünfte: Er könne sich doch bei den ganzen Flüchtlingen nicht mehr auf die Straße trauen, hatte beispielsweise ein Bürger auf einer Beiratssitzung in Bremen-Mitte gesagt. In Vegesack fragte ein anderer, ob denn keiner an die deutschen Kinder denke. Der Stadtteil sei schon „belastet“ genug. Und in Obervieland hat jüngst eine Bürgerinitiative Unterschriften gegen die geplante Errichtung eines mobilen Flüchtlingsheims gesammelt: zu nah stünde es am angrenzenden Neubaugebiet. Dort, an der Brenningstraße, steht ein Schild mit der Aufschrift: „Keine Container auf der Wiese“ und dem Hinweis auf die nächste Beiratssitzung am 13. August.
Die ist nun freilich verschoben worden, denn erst einmal sammelt die Sozialbehörde Listen aller potenziellen Standorte für Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt – und nicht nur, wie bisher, Grundstücke oder Häuser der stadteigenen Firma Immobilien Bremen. „Daraus“, so Frehe, „werden wir die geeignetsten Objekte ermitteln und dann mit den Beiräten und Ortsämtern abstimmen – es wird keine Entscheidung ohne die Beiräte geben.“ Frehe musste sich von den Stadtteil-Parlamenten in den letzten Wochen und Monaten wiederholt anhören, dass über deren Köpfe hinweg Standorte bestimmt würden. Nun können sie sich ein Bild über die gesamtbremische Situation machen und aus dieser Perspektive urteilen. „Das hätte auch schon vor Monaten geschehen können“, so der Einwurf des Obervieländer Beiratssprechers.
Frehe nannte als Kriterien für die Errichtung der Übergangswohnheime „geeignete Wohneinheiten und soziale Anbindung, vor allem an Schulen und Kindergärten.“ Unterkünfte in Industriegebieten und Stadtteilen ohne Infrastruktur seien nicht gewünscht. „Blockland scheidet wahrscheinlich aufgrund materieller Kriterien aus.“ Daneben sollen die Unterkünfte so klein wie möglich ausfallen: „Lieber vier Einrichtungen mit je 90 Menschen als drei mit 120“, so Frehe.
Heike Sprehe (SPD), Beiratssprecherin aus Vegesack, wendet ein, „dass in Mitte und Schwachhausen ja schließlich auch nur 60 Flüchtlinge untergebracht sind“, und Gerd Ilgner (SPD), Borgfelder Beiratssprecher, sagt, er könne sich auf der heutigen Beiratskonferenz keinesfalls festlegen, erst einmal müssten die gefällten Entscheidungen in den Beiräten diskutiert werden.
Entscheidungen waren freilich gar nicht Ziel der Konferenz, sondern, so Edith Wangenheim (SPD), Sprecherin des Beirats Woltmershausen, die Formulierung eines „Verfahrens- und Kriterienvorschlags zur Deeskalation und zur Schaffung einer Willkommenskultur“.
Ob und wie das angenommen wird, kann der 27. August zeigen: Dann nämlich findet die verschobene Beiratssitzung in Obervieland statt.
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