Eine Polemik: Wider die Schweinheiligkeit
■ Wozu sich über Tütensuppe aufregen? Ein Plädoyer für sterile Euterkulturen und das tier- und pflanzenfreie Essen
Wenn's um unser täglich Essen geht, werden wir heikel. Auf der Anuga fühlen sich viele wie im Horrorkabinett. Brot und Torten kommen längst aus dem Chemietank, Schweine werden von der Maschine ihrer rechtmäßig gewachsenen Borsten beraubt. Das ist entwürdigend, mag sein. Aber schon der alte Hausmetzger ging nicht gerade sanft zur Sache: In einer Brühwanne wurden die Rüsselviecher mit einem scharfen Eisen abgeschabt.
Da ist die Schweinerei doch höchstens, daß wir Schwein essen. Und unsere Schweinheiligkeit: Die allgegenwärtige Marktwirtschaft liefert nur prompt, was die Mehrheit wollen soll. Unser modern-unverbindlich-spontaner Lebensstil fordert automatisch modernes Essen – von Emulgatoren zusammengehaltenes Wasser statt Butter, ewig haltbares Bier oder Brot.
Daß dabei alle auf ihre Gesundheit bedacht sind, ist das am schwersten Erträgliche. Gentechnik kratzt die meisten nicht, weil neue Lebewesen geschaffen und freigesetzt werden, sondern weil die neuen Tomaten oder Hefen eventuell ihrem Wanst schaden könnten. Kohl in Bonn, Hundescheiße auf dem Gehsteig in meinem Wohnviertel, drängelnde Autofahrer – das drückt mehr auf mein Gemüt und damit auf meine Gesundheit als Techno-Food. Wir fressen den Streß in uns hinein, fordern aber streßfrei und organisch hergestelltes Essen – lächerlich.
Im globalen Dorf muß die Lebensmitteltechnik vielmehr endlich die nächste Stufe erklimmen: Essen ohne Tiere oder Pflanzen. Was ist dagegen zu sagen, daß die Milch künftig aus Euter-Zellkulturen kommt, die in einer Nährlösung schwimmen? Das wäre das Ende der Massentierhaltung, von Antibiotika und Verschwendung von Ackerland für die Intensiverzeugung von Futtermitteln. Das Essen aus sterilen Kulturen würde auch hervorragend zu unserer Angst vor den kleinen Keimen passen. Keine Kuhscheiße, keine Colibakterien, kein Schimmel. Alles wäre gut. Reiner Metzger
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