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Wider dieEngstirnigkeit

Angela Lehners unterhaltsamer Roman „2001“ handelt von einer Clique, die der Ödnis des Provinzlebens HipHop und Exzess entgegensetzt. Es ist auch ein Buch über die Zäsuren nach der Jahrtausendwende

Alles was man wissen muss: Tal heißt die österreichische Kleinstadt, in der das Buch spielt Foto: imago

Von Jens Uthoff

Es ist nicht bloß eine normal schreckliche Provinzjugend, die Julia Hofer durchlebt; nein, zu allem Überfluss trägt sie sich auch noch in Österreich zu. „Unsere Stadt heißt Tal und das ist alles, was man wissen muss. Ich setze die Kapuze auf, schiebe Cypress Hill in den Discman und marschiere los“, lauten die ersten Sätze der 15-jährigen Ich-Erzählerin in Angela Lehners Roman „2001“. In diesem Ort erleben Julia Hofer und ihre Freun­d*in­nen eine maximale Enge und Engstirnigkeit, der sie mit Alkohol, Rauchen, HipHop, Witzen, Sprühen und, wenn es gut läuft, mit Schmusen und erstem Sex zu entgehen suchen. Bei Julia Hofer aber läuft es meistens nicht so gut.

Überhaupt sind die meisten Figuren in „2001“ Loser, auf der Hauptschule zählen sie zum „Restmüll“. So wird dort der Teil der Schü­le­r*in­nen genannt, der es nicht mal in Sport- oder Sprachklassen geschafft hat. Wenn man im Restmüll landet, „muss man nichts Besonderes mehr leisten, außer existieren, aber auch das ist manchmal schwer“, so die Erzählerin. Die Handlung folgt ihrer Schulklasse durch das Jahr 2001 hindurch. Gezeichnet ist das Schuljahr von einem gesellschaftspolitischen Rollenspiel, das Lehrer Brandstätter mit ihnen durchführt: Jeder Schüler und jede Schülerin stellt eine Person oder eine Institution in der internationalen Politik dar, Julia Hofer ist zum Beispiel die UNO. Auf diese Weise werden immer wieder Ereignisse des Jahres – von BSE und MKS über die Auslieferung Slobodan Miloševićs bis hin zu 9/11 – eingeflochten. Und die Schülerinnen und Schüler diskutieren auf dieser Grundlage über (Welt-)Politik.

Vordergründig mag Angela Lehners zweiter Roman eine (sehr unterhaltsame!) Geschichte über Jugend und Rebellion in der Provinz sein, das große Thema aber sind Umbrüche. Deshalb trägt das Buch wohl auch den Titel „2001“, eine grundlegende politisch-gesellschaftliche Zäsur schwebt über allem. Für die Schüler endet nicht nur die Schule, es endet auch eine Ära mit MTV und Viva und der Ironie und Freiheit der Neunziger. Das analoge Zeitalter nähert sich dem Ende, und der weltpolitischen Neuordnung, die mit 9/11 einhergehen soll, scheinen viele Zeichen vorauszugehen.

Es ist einfacher, eine andere Meinung zu eliminieren, als die eigene zu ändern

Lehner, die in Osttirol aufgewachsen ist und heute in Berlin lebt, ist für ihren ersten Roman „Vater unser“ (2019) mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem erhielt sie den Österreichischen Buchpreis für das beste Debüt. In „2001“ setzt sie sich auch mit der österreichischen Innenpolitik jener Zeit – im Jahr 2000 wird die erste ÖVP-/FPÖ-Koalition besiegelt – auseinander. Mit dem angenehm bösen Humor passt Lehner dabei gut in die jüngere Schriftstellerinnengeneration Österreichs (meist sind es in der Tat Autorinnen), die diese Epoche gerade aufarbeitet.

Die Konflikte zwischen rechten und linken Jugendlichen entwickeln sich in „2001“ erst nach und nach. Genauso zeigt sich erst mit der Zeit, welch explosives Potenzial Brandstätters Experiment hat. Das Rollenspiel eskaliert vor allem wegen dem Österreichhasser Bene, der der klügste und politischste Kopf der Clique ist. Er tritt für klassische linke Themen ein, fordert sogar Sensibilität im Umgang mit Sprache und in Fragen der Repräsentation (und ist damit der Einzige, der auf die Debatten der Gegenwart verweist). Bene hält Brandstätter vor, wie lächerlich sein Experiment sei und dass es in Wahrheit doch nur seiner Profilierung diene.

In einem österreichischen Kaff werde er ganz sicher nicht die Welt retten, erklärt ihm Bene, ehe er vor der versammelten Klasse zu einer Wutrede ansetzt: „Wir haben einen scheiß Umgang miteinander, der auf einer scheiß Sprache basiert, die auf scheiß Traditionen aufbaut. Gott, die Tradition, die Vergangenheit: Irgendein Grund findet sich immer, um einen Mitschüler zusammenzuschlagen oder den Nachbarn in die Luft zu sprengen. Und das Schlimmste daran ist, dass alles nur eine Ausrede für die eigene Faulheit ist. Weil Veränderung nämlich unbequem ist. Weil es einfacher ist, eine andere Meinung zu eliminieren, als die eigene zu ändern.“

In Osttirol aufgewachsen: Angela Lehner Foto: Paula Winkler

Angela Lehner hat das Geschehen wohl deshalb in der Abschlussklasse einer Hauptschule angesiedelt, weil das Potenzial der Schüler dort notorisch unterschätzt wird. Dieser Move mag verständlich sein, allerdings schwächt das die Plausibilität des an vielen Stellen ja auch realistisch gezeichneten Romans ein bisschen – denn dass ausgerechnet diese Schülergruppe und diese Figuren Politik und Gesellschaft auf die skizzierte Weise diskutieren, wirkt nicht unbedingt einleuchtend. Generell sind Figurenzeichnung und Dramaturgie aber sehr gut gelungen, man kann sich mit zunehmendem Verlauf der Handlung kaum lösen von den Charakteren und will wissen, wie es mit ihnen weitergeht.

Nicht zuletzt macht es sehr viel Spaß, der Antiheldin Julia Hofer zu folgen, die über eine gehörige Portion Selbstironie verfügt. Zum Überleben in der österreichischen Provinz braucht sie die auch.

Angela Lehner: „2001“. Hanser Berlin 2021, 384 S., 17,99 EUR

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