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Wider die Deklassierung von Frauenarbeit

■ Wolfgang Rose, stellvertretender Hamburger ÖTV-Chef, über die Arbeitsmarktpolitik der Hansestadt: Warum ein ABM-Tarifvertrag die einzige zukunftsweisende Lösung ist

taz: Warum blockiert die ÖTV zehn Millionen Mark Hamburger ABM-Mittel?

Wolfgang Rose: Die ÖTV blockiert überhaupt nichts, sondern sie macht gemeinsam mit den Beschäftigungsträgern als einzige Gruppierung konstruktive Vorschläge. Die Personalräte im öffentlichen Dienst haben die gesetzliche Verpflichtung, auf die Einhaltung der Tarifverträge zu achten. Wir haben einen Tarifvertrag von 1984, der festlegt, daß ABM-Beschäftigte nach den geltenden Tarifen zu beschäftigen sind. Und wenn Personalräte ABM-Verträge vorgelegt bekommen, in denen eine 10prozentige Absenkung der Tarife vorgesehen ist, dann ist das tarifwidrig.

Lügt das Hamburger Arbeitsamt also?

Es gibt unverantwortliche Vorwürfe von seiten des Arbeitsamtes gegenüber der Stadt und der ÖTV, die keine Grundlage haben. Das Arbeitsamt fordert von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), daß die Tarifregelung für ABM-Beschäftigte gekündigt wird. Das zeigt schon, daß das Arbeitsamt weiß, daß die Personalräte gar nicht anders können als zu blockieren.

Die Frage, ob diese Regelung gekündigt werden soll, ist eine politische. Wir haben Verhandlungen angeboten. Und unsere Position als ÖTV ist natürlich erst einmal, daß wir Kürzungen nicht richtig finden. Die Hamburger Regierung hat die ABM-Absenkung der Bundesregierung massiv kritisiert. Wenn der Bund auf 90 Prozent absenkt, erwarten wir von der Hamburger Politik, daß sie diese Kürzungen nicht mitmacht.

Das Hamburger Stadtsäckel ist aber leer.

Die 90-Prozent-Regelung, die im Arbeitsförderungsgesetz steht, wird vom Hamburger Senat abgelehnt, wie auch von den anderen SPD-regierten Ländern. Nun könnte die Stadt sagen, wir übernehmen den Rest. Sie muß ohnehin ein Viertel bezahlen. Daß Hamburg das nicht tut, kann man angesichts der Haushaltslage noch nachvollziehen. Es ist aber nicht nachvollziehbar, daß die Stadt bei ihrem eigenen Anteil – diesen 25 Prozent – auch 10 Prozent einsparen will. Deswegen ist unsere Forderung: Das Viertel der Stadt soll sich an den 100 Prozent bemessen und nicht an den 90 Prozent.

Sie werfen dem Senat also politisch widersprüchliches Verhalten vor?

Andere Bundesländer, wie zum Beispiel Hessen, kompensieren die Absenkung auf 90 Prozent durch Landesmittel. Zumindestens das Viertel, das man selber fördert, müßte nicht abgesenkt werden, außer das Land will mitsparen.

Dann müssen Sie doch wohl ziemlich sauer auf SPD und Senat sein.

Das ist ein Konflikt, den wir seit einem halben Jahr austragen. Die Anwendung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes hat schon immer eine Benachteiligung mit sich gebracht. Denn: Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden an Voraussetzungen geknüpft, die nur auf Dauerbeschäftigte zutreffen. Hier besteht sowieso schon eine Benachteiligung der ABM-Beschäftigten. Wir wollen daher, daß diese Leistungen gezwölftelt werden und jeder ABM-Beschäftigte für jeden Monat das anteilige Urlaubs- und Weihnachtsgeld bekommt.

Ist das der konstruktive Vorschlag, von dem Sie sprachen?

Das ist nur ein Teilaspekt. Wir haben in einem Eiltempo wie noch nie Anfang Mai einen Tarifvertrag ausgehandelt. Darin haben wir schweren Herzens eine zehnprozentige Kürzung der Bundesmittel in Kauf genommen. Der wichtigste Gewinn ist aber, daß wir eine Durchschnittsbezahlung der anzuwendenden Branchentarife erreicht haben.

Was soll das heißen?

Das Arbeitsamt hat die Praxis der bisherigen Bezuschussung Anfang des Jahres umgestellt – das macht es jetzt so schwer. Bisher wurde immer nach BAT – Tarif für Angestellte – und MTL – Tarif für Arbeiter – bezahlt. Zu den Branchentarifen ist das Arbeitsamt verpflichtet, wenn kein bindender Tarifvertrag bei den Trägern vorliegt.

Was bedeutet das konkret für die ABM-Stellen?

Das bedeutet, daß ein Träger, der in einem Beschäftigungsbereich ein Café wie in Steilshoop betreibt, den Hotel- und Gaststätten-Tarif anwenden muß. Der ist, wie jeder weiß, niedrig, nämlich knapp über 2000 Mark brutto. In einem anderen Bereich des selben Trägers aber, einer Tischlerei zum Beispiel, bekommen selbst die angelernten Kräfte nach Tarif knapp unter 4000 Mark brutto. Das ist für einen Träger nicht zumutbar, weil die Beschäftigten die Differenz von 80 bis 90 Prozent als absolut ungerecht empfinden würden.

Nennen Sie doch das Kind beim Namen: Frauen sind bei einer branchenüblichen Bezahlung – die dann auch nur zu 90 Prozent gezahlt wird – die Verliererinnen.

In dieser Branchendifferenzierung liegt eine ganz klare Deklassierung von Frauenarbeit. Die Bereiche, in denen un- und angelernte Frauen im zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt werden, sind diejenigen, in denen niedrige Branchentarife gezahlt werden. Bei den Textilarbeiterinnen kommt noch hinzu, daß die Funktion der AB-Maßnahmen, nämlich auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten, gar nicht gegeben ist, weil es die Stellen nicht gibt, so daß nur die soziale Frage übrig bleibt.

Damit würde eine alleinstehende Mutter von zwei Kindern, die im ABM-Projekt Café Steilshoop arbeitet, schlechter wegkommen als mit Sozialhilfe?

Das trifft für Frauen mit Kindern schon in den untersten Lohngruppen zu. Und bei ABM kommt die Absenkung auf 90 Prozent noch hinzu.

Eine Gleichstellung wäre also nur über einen eigenen ABM-Tarifvertrag zu erreichen?

Wir als Gewerkschaft haben eine Verantwortung für Arbeitsmarktpolitik. Wenn wir im zweiten Arbeitsmarkt zulassen, daß Niedriglohn-Sektoren eingeführt werden und Lohn-Dumping stattfindet, dann kommen auch Löhne und Gehälter im ersten Arbeitsmarkt ins Rutschen. Der andere Gesichtspunkt ist die soziale Gerechtigkeit.

Wie weit geht denn Ihre Kompromißbereitschaft?

Das kann man nur am Verhandlungstisch austesten. Wir lehnen die Absenkung auf 90 Prozent ab, stellen aber fest, daß sie gesetzliche Realität ist. Wir versuchen durch Tarifarbeit, daß dies für die betroffenen ABM-Beschäftigten wenigstens die einzige Benachteiligung bleibt und nicht noch weitere hinzu kommen. Denn wir haben in Hamburg 78.000 Arbeitslose. Der Sockel der Langzeitarbeitslosen wird eher noch steigen. Das heißt, die aktive Arbeitsmarktpolitik muß ausgeweitet werden. Und dafür brauchen wir eine Struktur: einen zukunftsweisenden Tarifvertrag für ABM-Beschäftigte. Von den politischen Entscheidungsträgern wünsche ich mir mehr Mut, diesen auch zu realisieren.

Fragen: Silke Mertins

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