Pick Pockets: Wettergeflüster, Bettbericht
■ Anekdotisch, poetologisch, romanesk: Bücher über die Liebe
„Mögen sie arm oder reich sein, die Straßenbahn oder das Flugzeug nehmen, sich von Balkon zu Balkon oder übers Handy unterhalten, durch Shakespeare oder durch einen Schlager unsterblich werden, es läuft doch immer darauf hinaus, daß sie sich schließlich in die Arme fallen und seufzen: Ich liebe dich!“ So einfach ist das – jedenfalls in Luciano De Crescenzos charmanten Plaudereien „Von der Macht der Liebe“.
Der ehemalige IBM-Ingenieur erzählt locker Liebesgeschichten und Liebesmythen der Antike und vermischt sie listig mit Anekdoten aus dem Italien der Gegenwart.
Man kann das Ganze natürlich auch komplizierter angehen, besonders, wenn dabei eine Dissertation herauskommen soll wie im Fall Ina Hartwigs, deren Studie „Sexuelle Poetik“ sich vier unterschiedlichen Arten widmet, in denen Sexualität als Prinzip poetischer Logik zum Ausdruck kommt. „Bei Proust wird die Absolutheit der Sexualität durch das Unbekannte des Lesbianismus repräsentiert, bei Musil durch das Verbot des Inzests, bei Genet durch die Gewalt, bei Jelinek durch die Verbrechen der Nazis.“ Im Rückgriff auf Foucault kommt die Autorin zu dem Ergebnis, nur die Literatur habe „das Vermögen, die Körper der Geschichte in Geschichten von Körpern zu verwandeln. Und das ist mitunter hohe Kunst.“
Zwei Geschichten von Körpern verbindet Dorothea Dieckmann in „Die schwere und die leichte Liebe“ kunstvoll zu einer sehr zeitgemäßen Novelle. Die Autorin hat Philosophie studiert, und auch sie hat ganz offensichtlich ihren Foucault gründlich gelesen, der ja den menschlichen Körper als eigentlichen Schauplatz von Geschichte entdeckte. Aber der philosophische Diskurs schimmert bei Dorothea Dieckmann nur gelegentlich durch; zumeist wird er durch präzise und poetische Bilder aufgelöst: „Wenn Haut auf Haut trifft, zufällig, verbinden sich die Chemien, die einander bis zu dieser sanften Gleichgültigkeit erschöpft haben; wie ein Traum, der den Träumer morgens unversehens wieder anfällt, flackern sie auf, so daß die Berührungen ihre Beiläufigkeit verlieren.“
Sehr viel unausgesprochener und ironischer funktioniert die erotische Poetik Eduard von Keyserlings, diesem literarischen Einzelgänger der Jahrhundertwende, dessen Werk zur Zeit eine längst fällige Renaissance erlebt. Der Roman „Wellen“ schildert den Sommeraufenthalt einer Großfamilie an der Ostsee. Die betuliche Idylle gerät in Bewegung, als ein merkwürdiges Liebespaar auftaucht, dessen gegenseitiges Begehren sich gewissermaßen wellenartig auf die anderen Personen ausweitet. In diesem Buch stehen so wunderbare Sätze wie diese: „Wovon sollen Sie sprechen? Hinter mir sind alle Fäden abgerissen. Da können Sie nur entweder vom Wetter sprechen oder mir eine Liebeserklärung machen.“
Vor die Alternative gestellt, zwischen Wetterbericht und Bettgeflüster zu wählen, entschiede sich eine Mehrheit vermutlich fürs Letztere, und die drei Protagonisten im gleichnamigen Roman Knud Faldbakkens sowieso. Der norwegische Autor, der auch in Deutschland mehrfach mit intelligenten Unterhaltungsromanen aufgefallen ist, fädelt hier eine erotische Dreiecksbeziehung ein, die es in sich hat: Gier, Aggression, Eifersucht und Angst ver- und entmischen sich. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich um eine Komödie, aber ganz ohne Ernst gibt's nichts zu lachen – in der Liebe schon gar nicht.
„Der Gefühlsmensch“ ist ebenfalls ein Roman über eine Dreiecksbeziehung, ein Frühwerk des derzeit nicht zu Unrecht, wenn auch vielleicht etwas übermäßig gefeierten Spaniers Javier Marias; eine Geschichte, wie der Autor in seinem Nachwort schreibt, „in der die Liebe weder sichtbar ist noch lebt, sondern angekündigt und erinnert wird“. Das mag abstrakt klingen, wird im Text aber aufs schönste eingelöst. Der Ich-Erzähler erinnnert sich an zurückliegende Ereignisse, und indem er sich seiner Leidenschaft zur Frau eines anderen erinnert, wird immer unklarer, ob diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben oder nur geträumt sind. „Die Liebe“, sagt Marias, „hat immer eine imaginäre Dimension (...). Sie harrt immer ihrer Erfüllung, sie ist das Reich dessen, was sein kann. Oder aber dessen, was hätte sein können.“ Klaus Modick
Luciano De Crescenzo: „Von der Macht der Liebe“. btb
Ina Hartwig: „Sexuelle Poetik“. Fischer TB
Dorothea Dieckmann: „Die schwere und die leichte Liebe“. Ullstein TB
Eduard von Keyserling: „Wellen“. dtv
Knut Faldbakken: „Bettgeflüster“. btb
Javier Marias: „Der Gefühlsmensch“. Serie Piper
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen