Westjordanland vor neuen Unruhen: Die Gräber sind schon angelegt
Viele Palästinenser rechnen mit einer dritten Intifada. Auf dem „Märtyrerfriedhof“ von Deheische wurden bereits 14 Ruhestätten ausgehoben.
DEHEISCHE taz | Mohammed Dschafari ist ein wichtiger Mann in Deheische, einem palästinensischem Flüchtlingslager am Rande Bethlehems. Wenn er Bekannte sieht, hält er einfach an, steigt aus und schüttelt erst einmal ausgiebig Hände. Dass sein Auto auf den engen Straßen einen Stau verursacht, kümmert ihn nicht. Denn er ist in Deheische der Führer der Fatah, die im Westjordanland das Sagen hat und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) beherrscht. Dschafari hat immer Vorfahrt.
Weil der Mittvierziger überzeugt ist, dass ein Aufstand der Palästinenser – eine dritte Intifada – unmittelbar bevorsteht, wurden auf seinen Wunsch hin auf dem „Märtyrerfriedhof“ des Lagers 14 neue Gräber hergerichtet. „Die jüdischen Siedler provozieren es. Die nächste Intifada ist nur noch eine Frage der Zeit“, sagt Dschafari.
Rauchend läuft Dschafari zwischen den Grabstätten umher und setzt sich schließlich auf ein Mäuerchen. Der Märtyrerfriedhof für die 38 Palästinenser aus Deheische, die hier bereits im Laufe der zweiten Intifada beerdigt wurden, wirkt idyllisch. Orangenbäume und Blumen blühen. Es ist ein freundlicher Frühlingsmorgen mit blauem Himmel und Schäfchenwolken.
Viele Gründe für die Unzufriedenheit
In einer bereits bestehenden Gräberreihe wurden drei neue Gruben ausgehoben und mit einem Zementrahmen ausgekleidet. Muslime werden nicht im Sarg, sondern nur in ein Tuch gehüllt beigesetzt. Mangels Platz musste für die übrigen Vorbereitungen auf eine kleine Anhöhe ausgewichen werden. Dschafari ließ zuerst terrassenartig eine Mauer ziehen und dann Gräber herrichten, die wie kleine Parzellen wirken, die auf Tote warten.
Dschafari hält Daumen und Zeigefinger hoch, so nah beieinander, bis nur noch ein paar Millimeter dazwischenpassen. „Es fehlt nur noch so viel, bis alles explodiert“, ist er sich sicher, und zählt die Gründe auf: schlechte Wirtschaftslage, Arbeitslosigkeit, Razzien des israelischen Militärs, die ungestrafte Gewalt der Siedler. „Jeden Tag hole ich unsere Jugendlichen vom Checkpoint zurück, ich sage ihnen, sie sollen es nicht darauf anlegen“, behauptet er. „Aber wie lange hören sie noch auf mich?“
Dschafari und die palästinensische Führung haben ihre eigenen Gründe, einen Aufstand herbeizusehen oder auch nur damit zu drohen. US-Präsident Barack Obama hat bei seinem Besuch im März massiven Druck auf Präsident Mahmud Abbas ausgeübt, die Friedensverhandlungen mit Israel wieder aufzunehmen und nicht weiter auf einem Baustopp in den Siedlungen zu bestehen. Außenminister John Kerry reiste am Samstag in die Region, um konkrete Gespräche vorzubereiten.
Krirtik an der eigenen Führung
Erst vor wenigen Tagen hat der Tod eines krebskranken Palästinensers in israelischer Haft zu Unruhen geführt, bei denen Tausende auf die Straßen gingen, Brandsätze warfen und zwei Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen wurden.
Namhafte Palästinenser sehen jedoch bislang wenig Bereitschaft zum Widerstand. „Ich sehe keine Intifada kommen“, sagt Sami Awad, Direktor der Friedensorganisation Holy Land Trust in Bethlehem. Das sei „reines Wunschdenken“. Außerdem müsste die Autonomiebehörde befürchten, dass sich ein Aufstand gegen sie selbst richten könnte.
„Die palästinensische Führung ist korrupt“, sagt beispielsweise Ahmed Wahasch, ein 24-Jähriger, der sich mit Bauarbeiten durchschlägt. „Nichts wird sich ändern, wenn wir nicht unsere Führung ändern.“ Die Palästinenser wollten ein guten Leben für ihre Kinder, sagt Houda Olajam, eine siebenfache Mutter aus Deheische, „und das kann es nur durch Frieden geben.“
Der Friedensprozess hat bisher vor allem Enttäuschungen mit sich gebracht. „Neue Verhandlungen werden nichts bringen“, ist Ahmed Afandi, der in Daheische einen kleinen Lebensmittelladen betreibt, überzeugt. „Wir haben es viele Jahre probiert. Es ist doch verrückt, jetzt wieder das Gleiche zu machen und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“ Er sei frustriert, dass „wir für die Welt irrelevant geworden sind“. Widerstand sei die einzige Möglichkeit, „die Aufmerksamkeit der Medien zurückzugewinnen“. Für ihn sind die 14 neuen Gräber auf dem Märtyrerfriedhof „bei weitem nicht genug“.
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