Westberliner Wutbürgertum: Aufregende Luxuskarossen
Vor 35 Jahren sorgten Straßenkreuzer in Beton für einen Skandal. Eine Potsdamer Schau erinnert an den Skulpturenboulevard Berlin.
Wohnungen links und rechts des Kurfüstendamms waren für ein paar Hundert D-Mark zu mieten, Einschüsse und Spuren des Zweiten Weltkriegs noch überall an den Fassaden zu sehen. Kohleheizungen sorgten im Winter für Smog, und die, die es sich leisten konnten, flohen dann auf die Kanaren.
Die internationale Kunstszene traf sich bei der Kölner Kunstmesse im Rheinland, deshalb musste West-Berlin mit Großausstellungen protzen, um das Publikum anzuziehen. Der größte Kunstskandal, der West-Berlin erschütterte, ereignete sich im Jahr 1987 zur 750-Jahr-Feier der Stadt eben am beschaulichen Kurfürstendamm und erzeugte die ersten Wutbürger:innen und einen aggressiven Shitstorm ungeheuerlichen Ausmaßes durch die Stadt.
Dieser Moment Berliner Stadtgeschichte ist Thema einer aktuellen Ausstellung im Museum Fluxus+ in Potsdam. Mit „Concrete Cadillacs“ wird an Wolf Vostells „Anti-Denkmal der Konsumgesellschaft“ erinnert zum 35. Jubiläum des Berliner Skulpturenboulevards. Kuratiert wird die Schau von Philipp John und Barbara Straka, die auch Kuratorin des Skulpturenboulevards war.
Repräsentative Meile
Wo heute bunte Buddy-Bären und zum Ende des Jahres hin üppige Weihnachtsdekoration die Kaufgemeinde der Luxusboutiquen am Kurfürstendamm beglücken, wollte man mit dem Boulevard repräsentativ eine bedeutende Kunstmeile im öffentlichen Raum entwickeln, zur Verdeutlichung des Anspruchs von Berlin, als ebenbürtig mit New York, London, Paris anerkannt zu werden. Die Idee kam von dem 1998 verstorbenen Berliner Maler, Bildhauer und Happeningkünstler Wolf Vostell, der den Kurfürstendamm als idealen Ort für ein Skulpturenmuseum im öffentlichen Raum sah.
Die einzelnen Skulpturen sollten dabei in Form einer „regelmäßigen Perlenschnur“ auf dem Mittelstreifen des Edelboulevards im Abstand von 50 Metern aufgestellt werden. Das erwies sich aber technisch als nicht realisierbar, dementsprechend suchte eine Kunstjury passende Kunst für passende Orte, und die Ereignisse nahmen ihren Lauf.
Realisiert wurden 1987/88 immerhin acht Skulpturen an Berlins elegantester Flaniermeile, um die eingemauerte Stadt auch international am zeitgenössischen Kunstgeschehen zu beteiligen. Zudem war Berlin 1988 zur Kulturhauptstadt gekürt worden, und das sollte auch mit großer Kunst im öffentlichen Raum gefeiert werden. 1,8 Millionen Mark standen bereit.
Der damalige Kultursenator Volker Hassemer (CDU) gab das Projekt „Skulpturenboulevard“ beim Neuen Berliner Kunstverein in Auftrag, der sich damals am Kurfürstendamm befand, und unterstützte das Vorhaben ohne Wenn und Aber gegen alle Angriffe. Der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) aber war nach dem Aufschrei seiner Wähler:innen dagegen und verkündete, mit ihm werde es ein solches Vorhaben nicht geben.
Die Sache kochte hoch
Entsprechende Berichte und Interviews des SFB kann man noch im RBB-Archiv abrufen und sich über derart viel auf Kunst bezogene Polemik und Hysterie nur wundern. Auch die Stadtpresse war daran eifrig beteiligt und kochte die Sache hoch. So diskutierten Leute auf der Straße über Zeitungsschlagzeilen wie „Kunst oder Schrott“, sprachen von „Zwangsverkunstung“, Antigruppierungen bildeten sich und sammelten Unterschriften, das Volk wurde selbst kreativ, es entstanden dubiose Gegenskulpturen.
Die verantwortliche Kuratorin Barbara Straka bekam während der Ereignisse sogar Mord- und Bombendrohungen und musste für zwei Jahre bei Freunden untertauchen. Sie und ihr Team versuchten es mit Gesprächen auf der Straße und mit Kunstvermittlung – und riskierten dabei ihre körperliche Unversehrtheit.
Bei ihrer Eröffnungsrede zur Schau in Potsdam erzählte Straka von Zuschriften, die offen und auch anonym verschickt wurden. In denen war von „Entarteter Kunst“ die Rede, von „Gaskammern für Künstler“ und von „Irrsinnsbekundungen“ im Tenor tiefbrauner Propaganda. „Künstler und Veranstalter“, so ein Briefeschreiber, solle man „an den Laternen des Kurfürstendamms öffentlich aufknüpfen“.
Von den damaligen Geschehnissen zeugt heute noch auf der Mittelinsel am Rathenauplatz in Charlottenburg, am Ende des Kurfürstendamms, Wolf Vostells Auto-Beton-Skulptur „2 Beton Cadillacs in Form der nackten Maja“.
„Nicht mal deutsche Autos!“
Täglich fahren daran Tausende Autos vorbei, und aus dem Auto heraus hat man da wenig Muße, eine Skulptur zu betrachten. Kaum vorstellbar aber ist heute, dass diese aus zwei amerikanischen Luxusschlitten bestehende und in Beton gegossene Skulptur die gediegen bürgerliche West-Gemeinde in so eine vulgäre Wutgemeinde verwandeln konnte. „Das sind nicht mal deutsche Autos“, rief ein Mann aus einer aufgeregten Menschenmenge, die sich bei der Skulptur versammelt hatte, in die SFB-Fernsehkamera.
Auch das an der Joachimsthaler Straße Ecke Kurfürstendamm platzierte banal-realistische „Randaledenkmal“ von Olaf Metzel erregte ganz besonders die Geister. Bestehend aus aufgestapelten rot-weißen Absperrgittern, auf denen ein Einkaufswagen thronte, erinnerte es doch an etliche Großdemonstrationen. Ganz schnell wurde die Skulptur damals abgebaut, heute ist sie auf dem Euref-Campus in Schöneberg zu sehen.
Durch den Skandal und bundesweite Medienberichte zog der Skulpturenboulevard Touristen magisch an und entwickelte sich zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen. Mittlerweile fanden Besucher:innen die Kunstwerke toll und eine Skulptur ganz besonders: die vierteilige und acht Meter hohe Plastik „Berlin“ vom Künstlerpaar Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff am anderen Ende des Skulpturenboulevards beim Kaufhaus des Westens. Die symbolträchtige verschlungene Metallarbeit ist bis heute ein beliebtes, mit der Gedächtniskirche im Hintergrund fotografiertes Sujet und zu einem Wahrzeichen Berlins geworden.
Die Potsdamer Ausstellung hat eine große Zahl an Zeitungsartikeln, Fotos, Videos, Briefen und Dokumenten zu den damaligen Geschehnissen zusammengetragen. Gleichzeitig wird der 90. Geburtstag von Wolf Vostell gefeiert.
Heute gibt es eine Fangemeinde seiner Cadillac-Skulptur und Sponsoren, die sich zusammen mit der Familie um den Erhalt der aufwendigen Skulptur kümmern. Denn Kunst im öffentlichen Raum braucht Pflege.
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