Werner Herzog auf der Berlinale: Erstaunen über die Welt
In "Cave of Forgotten Dreams" macht Werner Herzog uralte Höhlenmalereien plastisch erfahrbar. Auf der Berlinale läuft der Film außer Konkurrenz.
"Wir wollen nicht einfach nur ein besseres Wissen. Wir wollen Geschichten rekonstruieren." Der junge Archäologe formuliert, was der Filmemacher sich ohnehin vorgenommen hat: Es geht nicht darum, einen Ort einfach zu vermessen, sondern darum, ein Verständnis zu gewinnen von den Menschen, die ihn belebt haben. Gar nicht so einfach, wenn dieser Ort das letzte Mal in der Steinzeit zugänglich war.
Die Chauvet-Höhle in Südfrankreich ist ein Teleskop in die früheste Menschheitskultur. Imprägniert gegen den Lauf der Geschichte durch einen Erdrutsch, der den Eingang versperrte, ist alles, was sich darin befindet, wie in einer Zeitkapsel konserviert. Als Forscher 1994 einen Zugang entdeckten, war sofort klar, dass sie einen einzigartigen Fund gemacht hatten: Die mehr als 400 Höhlenmalereien, die ältesten rund dreißigtausend Jahre alt, waren so gut erhalten, als wären sie erst am Vortag gemacht worden.
Über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren sind Menschen in diese Höhle gekommen, um Tiergemälde auf den Wänden anzubringen: Löwen, Bären, Nashörner, Pferde, so lebendig dargestellt, als wären sie in Bewegung. Zusammen mit einem kleinen Team hat Werner Herzog die Erlaubnis erhalten, das Innere der Höhle zu betreten. Die Bilder, die er von dort mitgebracht hat, zeigt er in "Cave of Forgotten Dreams". Dafür hat er das erste Mal ein 3-D-Verfahren eingesetzt, um die Kurven und Wölbungen der Wände, die Teil der Gemälde sind, plastisch erfahrbar zu machen: Die Steinzeit wird mit Hightechmethoden ergründet.
Auch Archäologie findet nicht mehr mit Hammer und Spaten statt. Laserscanner haben jeden Quadratzentimeter des Systems aus Kammern und Gängen kartografiert. Jeder Knochensplitter wird registriert und zugeordnet, sämtliche Funde werden mithilfe der Kohlenstoffanalyse datiert.
Wissenschaft ist Geduldsarbeit, vor allem unter diesen Bedingungen. Viele der Forscher dürfen das, was sie untersuchen, nicht einmal berühren, so zerbrechlich sind die Strukturen. Betreten darf man diesen Ort, an dem schon die Atemluft des Menschen irreversible Schäden anrichten kann, nur mit sterilen Schuhen und entlang der ausgelegten Stege.
Natürlich gibt sich Herzog nicht damit zufrieden, die Geschichte der Entdeckung und Erkundung der Höhle zu erzählen. Wie immer in seinen Dokumentationen ist der Gegenstand nur Ausgangspunkt einer Reflexion aufs Große und Ganze, wobei die Verknüpfung des Entlegenen zum Prinzip erhoben wird. So hat in einem Film über Höhlenmalerei Fred Astaire einen Auftritt neben Albinokrokodilen, die im Abwasser aus einem Atomkraftwerk schwimmen, und einem Mann im Bärenfell, der auf einer Knochenflöte "The Star Spangled Banner" spielt.
Herzog findet schon lange seine besten Stoffe nicht mehr in Drehbüchern, sondern in der Wirklichkeit, in der Antarktis, in Alaska oder im Dschungel von Guyana.
Man muss die Neigung des Regisseurs, jedes Sujet wie den Stoff für eine große Oper zu behandeln, nicht teilen. Doch Herzogs Talent, sein Erstaunen über die Welt in erstaunliche Bilder zu fassen, macht jede seiner Dokumentationen zu einem Glücksfall.
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