Werksübersicht in Lübeck: "Bitte - Maschinengewehr drauf!"
Ihr Weg führte Künstlerin Almut Linde an unterschiedliche Orte wie den Irischen Nationalzirkus, Schießplätze der Bundeswehr oder eine insolvente Maschinenfabrik.
30 Minuten waren vorgesehen für Informationen für alle, eine weitere halbe Stunde für Fragen und Antworten für Freiwillige. Der UstgPersStOÄ hatte die Aula zu sperren, an Bekleidung reichte der Tagesdienstanzug.
Dann konnte es losgehen mit der Vorstellung des Projektes der Künstlerin Almut Linde. Die wird, ihrerseits, seitens der Bundeswehr-Standortkommandatur Hamburg so beschrieben: „Die in Hamburg lebende und arbeitende Künstlerin Almut Lind hat sich nicht zuletzt durch eine Vielzahl an nationalen und internationalen Kunstausstellungen sowie die Gründung einer deutsch-spanischen Künstlergruppe europaweites Renommee erworben.“
All diese Ausführungen hängen nun unter Glas im Lübecker Kunstverein: Hinter Lindes „Dirty Minimal #33.6.“ verbirgt sich der „Militärbefehl zum Besuch eines Kunstvortrages“.
„Bundeswehr? Da geht man nicht hin!“, sagt Almut Linde nachdrücklich: „Die Bundeswehr ist der Ort, der uns am kunstfernsten erscheint.“ Aber genau, dass das so ist, weckte offenbar ihr Interesse: „Was bedeutet ein so strenges hierarchisches System für das Individuum? Und wie bewegt sich das Individuum in diesem System?“ Noch dazu: „Es trifft das System Kunst auf das System Bundeswehr.“ Befehle wie der, eine Ausstellung zu besuchen oder jener, einen Vortrag anzuhören, „sind aus Sicht der Kunst natürlich absurd“, sagt sie. „Aus Sicht der Bundeswehr aber entsprechen sie genau dem Prozedere.“
„Da geht man nicht hin!“
Es brauchte seine Zeit, bis Linde Zugang erhielt zu Kasernen und der Truppenübungsplätzen, doch dann öffneten sich die Tore und die Schlagbäume. Entstanden ist dabei, zum Beispiel, „Dirty Minimal #33.2 – Bullet Actionpainting / Machine Gun“: Sie stellte fünf gerahmte Bilder während einer Schießübung auf, wandte sich dann an die Soldaten: „Bitte – Maschinengewehr drauf!“ Und die taten, worum sie gebeten wurden: „Zart, gleichzeitig superbrutal“, sagt Linde – „sind ja Durchschüsse.“
Ein weiteres spannendes Exponat, mitgebracht aus der Welt des Militärs: Wandfüllend erstreckt sich ein zweigeteiltes Panorama, dass einen Soldaten im Tarnanzug zeigt, der seinerseits auf eine Landschaft schaut. Ein Scharfschütze, erzählt Linde und interpretiert: „Anders als Caspar Davids Wanderer durch den Nebel ist der Soldat nicht kontemplativ, sondern guckt wie ein Jäger, wie ein Raubtier: ’Ist da was?‘. Auch wenn es eine Feuerpause während des Manövers war.“ Den Eindruck des Beobachtens, des Lauerns verstärkt dabei noch die Struktur des Fotos: Während der flächige Vordergrund leicht unscharf ist, sind in der Ferne die Büsche, Zaunpfosten als mögliche Fixpunkte nahezu glasklar zu erkennen.
„Kunst transzendiert die Hierarchieebenen“, sagt Linde und erzählt wie zur Illustration dieses abstrakt klingenden Satzes eine Anekdote: „Ich saß in Hamburg beim Kommandanten.“ Sie stockt, überlegt kurz: „Heißt das ’oberster Kommandant‘?“ Jedenfalls saß sie bei ihm, beim Kaffee, und er erläuterte, dass sie nichts Despektierliches herstellen dürfe, etwa was die Uniformen oder die Fahne betreffe. „Ich habe ihm angeboten, dass er die Fotos, bevor sie erscheinen, noch mal durchgehen könnte“, sagt Linde. „Aber er sagte: ’Nein – ich vertraue Ihnen.‘ Das hatte ich nicht erwartet.“
Immer wieder beschäftigt Linde sich mit dem Zusammentreffen unterschiedlicher Sphären, unterschiedlicher Interessen – besonders mit Blick auf die Formen, die dabei entstehen. Das mit den Formen ist für die Vertreterin der „Minimal Art“ durchaus wörtlich zu verstehen, etwa bei ihrer zwölfteiligen Fotoarbeit über den Irischen Nationalzirkus. In Lübeck zu sehen ist nun das Bildnis zweier Akrobatinnen in den Räumen des Irish Museum of Modern Art, eine Art lebendiger Skulptur aus Körpern.
Zirkus ohne Schminke
Wichtig für Linde: die Kunstform zu präsentieren – ohne all das, was gemeinhin die Welt des Zirkus’ ausmacht: Kostüme, Schminke, laute Musik. Und ohne beim Fotografieren Publikum vor Ort zu haben. Dieses findet sich nun, im Kontext eines ganz anderen Ausstellungsraumes, ja doch zusammen, schaut quasi doppelt: auf eine Vorführung und auf das Bild einer Vorführung.
„Die Akrobaten haben es auch sehr geschätzt, dass sich mal jemand für sie als Personen interessiert hat“, erzählt Linde, „und nicht für den Ablauf ihrer Vorführung.“ Auf den Zirkus stieß sie in einem entscheidenden Moment: Jahrelang hatte er auf die staatliche Kulturförderung zählen können, ohne dass er sich inhaltlichen Forderungen ausgesetzt sah.
Doch nun sollte er sein Konzept ändern: statt sein Programm weiter aus einzelnen, artistischen Nummern zusammenzusetzen, sollte eine abendfüllende, erzählerisch geschlossene Geschichte geboten werden – oder die Förderung werde eingestellt. Am Ende entschied der Zirkus von sich aus, auf das staatliche Geld lieber zu verzichten und dafür eigenständig zu bleiben.
Von dieser Souveränität im Moment des Entscheidens weit entfernt sind jene Arbeiter der Lübecker Maschinenbaugesellschaft, die Linde auch porträtiert hat.
Hoffen und Bangen
Auf sie wiederum traf Linde genau am 31. August des Jahres 2010 – der Tag, an dem das Unternehmen Insolvenz anmeldete und sich zugleich ein Investor meldete; der Tag, an dem die Beschäftigten so noch einmal wie auf den Punkt genau zwischen Hoffen und Bangen schwebten, bevor sie dann doch ins Ungewisse entlassen wurden. Ernst, ein wenig ungläubig, auch gefasst schauen sie den Betrachter an.
Dass ihre Zeit vorbei ist, dass sich längst etwas ganz anderes anbahnt, zeigen kleine, unscheinbare und weiße Flecken mal neben der Werkbank, mal auf dem Betonboden: Es sind die Federn erster Möwen, die sich in den bald leer stehenden Hallen einnisten.
Almut Linde, „Existential“: bis 20. Januar, Lübeck, Overbeck-Gesellschaft
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