Werkstattbesuch beim Karikaturisten: Witzig und kreativ auf Bestellung

Wenn am Vormittag die Redaktion anruft, hat Mathias Hühn meist schon ein Bild im Kopf. „Sonst dreh ich durch“, sagt er. 15.30 Uhr muss er fertig sein.

Bild: Mathias Hühn

Mathias Hühn nimmt die Idee, die ihm am Abend beim Spülen kam, mit sich hinaus in den Regen. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss; es ist Montag, ein grauer, nasser Morgen, kurz nach neun. Er joggt los, herab zum Kanalufer. Der Regen tränkt sein T-Shirt, tropft ihm von der Nase, doch der Karikaturist ist guter Dinge.

Denn wenn er schon am Morgen eine Idee hat, dann weiß er, dass ein entspannter Tag vor ihm liegt. Zunächst aber geht er joggen. Der Sport hilft, den Kopf frei zu kriegen, zugleich nimmt das Bild in seiner Vorstellung dabei klarere Formen an. „Das klappt immer ganz gut“, sagt er.

Eine Stunde später sitzt Hühn in seinem Büro, das in seiner Wohnung von der Küche abgeht. Er hat sich geduscht, umgezogen, einen Stoß ausgeschnittener Zeitungsfotos aus der Schublade gekramt. Seit den 90ern sammelt er alle möglichen Motive, die er in thematischen Mappen ordnet. Heute braucht er die mit den Plattenbauten. Der Einstieg fällt ihm leichter, wenn er eine Vorlage hat. Er wählt ein Bild aus, ein Asylbewerberheim in Sachsen-Anhalt. „Ich guck einmal drauf und denk: So kann ich’s machen. Dann geht’s so seinen Lauf.“

Er zeichnet jeden Dienstag eine Karikatur, die am Mittwoch in der taz erscheint. Diese Woche aber hat die Redaktion eine zusätzliche Arbeit für den Freitag vor der Bundestagswahl bestellt.

Extraschicht in dieser Woche

Deswegen muss er ausnahmsweise an zwei Tagen hintereinander zeichnen. Ehe er mit der Arbeit beginnt, nimmt er sich einen Moment zum Nachdenken. Anders als sonst steht er nicht unter Zeitdruck – bis zum Abgabetermin ist es noch eine Weile hin. Was ihm vorschwebt, ist eine Szene, in der es um Nichtwähler geht, um Harz-IV-Tristesse und politische Gleichgültigkeit.

Mathias Hühn, ein schmaler, leiser Mann, 45 Jahre alt, lebt mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern in Berlin-Mitte. Auf dem Schreibtisch vor ihm breitet sich ein buntes Chaos aus Farbtöpfchen, Pinseln und Krimskrams aus. Er nimmt ein Blatt Papier, legt ein Geodreieck an und teilt ein Rechteck ab, als Rahmen für das Bild. Dann zieht er mit Bleistift ein Raster aus Längs- und Querlinien: „Das wird die Platte.“ Links nimmt ein Flachbau Konturen an, davor ein Pfeilschild mit der Aufschrift „Wahllokal“. Halt, doch keinen Pfeil. Hühn radiert ihn weg, zeichnet stattdessen ein Stellschild. Dann skizziert er einen Mann, der darauf zusteuert, und hier und da Köpfe in die Fenster der Mietskaserne.

Politik in Aquarell

„Es gibt Leute, bei denen geht das ruck, zuck“, sagt er. Ihm gelingen Bilder umso besser, je mehr Ruhe er hat. Es ist elf, dienstags ruft um die Zeit ein taz-Bildredakteur an und fragt, was er vorhat. „Wenn ich dann noch keine Idee habe, drehe ich durch.“ Meist grübelt er schon seit dem Vorabend, guckt Tagesschau, hört Nachrichten im Radio. Oft fällt ihm in der Küche oder beim Abwaschen etwas ein, „da ist es so schön ruhig, und es plätschert“.

Manche Karikaturisten malen mit Farbtusche, andere arbeiten am Computer. Hühn verwendet Aquarellfarben. Der Nachteil ist aber, dass die sich kaum korrigieren lassen. „Wenn du in dunklen Farben gemalt hast, und es sieht scheiße aus“, sagt er, „kannste nichts mehr machen.“

Hühn stammt aus Rotenbergen, einem Örtchen in Hessen. Er hat Politik studiert, wollte aber schon immer Karikaturist werden. Nur glaubte er lange, er könne nicht gut genug zeichnen. „Ich war immer unzufrieden“, sagt er. Doch er übte weiter. Vor rund fünfzehn Jahren lief er mit zwei Karikaturen auf gut Glück in die taz-Redaktion. Wenig später war eine abgedruckt, dann kam ein Anruf: Ob er Lust hätte, regelmäßig für die taz zu zeichnen.

Hühn fängt an, das Betongrau für den Plattenbau zu mischen. Er testet die Nuance am Blattrand, dann streicht er die Farbe auf die Fassade. Ihm ist es wichtig, mit seinen Bildern eine politische Haltung auf den Punkt zu bringen. „Viele sehen sie inzwischen als Schmuckwerk. Aber die sind ja nicht umsonst auf der Meinungsseite. Das ist schon ein Statement.“ Sein Humor ist an manchen Tagen schärfer als an anderen, aber nie bösartig. Beschwerden hat er noch nie erhalten, fast nie. Nur einmal kamen zornige Briefe; da hatte er sich am Saubermann-Image der CDU abgearbeitet: Auf seiner Arbeit ragte eine Hand mit CDU-Flagge aus einer Wanne, ein Verweis auf den Tod Uwe Barschels. Es gab Leute, die das geschmacklos fanden. Hühn versteht das nicht. Ihm ging um das Thema Heuchelei, nicht um Barschel als Person.

Er weiß, dass viele Redaktionen vorsichtig geworden sind. „Manche Zeitungen gucken darauf, dass sie ihren Lesern nicht auf die Füße treten“, sagt er. Doch ihm selbst werden kaum Grenzen auferlegt. Nur einmal, als einem Magazin eine Karikatur als Zweitverwertung verkauft hatte, sah er hinterher im Heft, dass Details daran verändert worden waren, um sie zu entschärfen.

Niedrige Honorare, enger Markt

Zudem ist es nicht leicht, als Karikaturist über die Runden zu kommen. Die Honorare sind niedrig. Der Markt ist eng, sehr eng. Hühn hat noch nie daran gedacht, sich einen anderen Beruf zu suchen. „Ich fänd’s natürlich geil, wenn ich jeden Tag zeichnen könnte. Weil man dann auch mehr Routine kriegt.“ Aber das ist wirtschaftlich nicht möglich. Also übernimmt er auch andere Aufträge, kümmert sich um Inhalt und Layout einer Kiezzeitung in Neukölln, er gibt Workshops, betreut Schülerzeitungen.

Hühn beginnt, die offenen Fenster des Plattenbaus auszumalen. Achtsam verteilt er die Farbe um die winzigen Köpfe herum. „Ich mach das gern, dieses Fisselige“, sagt er. Wann immer er den Pinsel ausgewaschen hat, steckt er ihn in den Mund und lutscht die Haare zu einer feinen Spitze zurecht. Ob das nicht schädlich ist? „Keine Ahnung“, sagt er. „Ich glaube, die roten Farben sind nicht so gesund.“

Nach und nach schließen sich die letzten weißen Flecken. Jetzt fehlen nur noch ein paar Details, die Dachrinne, die Schatten unter den Fensterbänken. Zum Schluss schneidet er die zwei Sprechblasen aus und klebt sie über ein Paar im ersten Stock des Mietshauses, das auf den einsamen Wähler herabschaut.

"Jetzt hab ich Stress"

Einen Tag später hockt Hühn wieder am Schreibtisch. Es ist bereits zwölf Uhr durch, und der Karikaturist weiß noch nicht recht, was er zeichnen soll. „Jetzt hab ich richtig Stress“, sagt er, „und auch nur so ’ne halbgare Idee.“ Er sitzt reglos auf seinem Stuhl, die strumpfsockigen Füße unterm Sitz verschränkt. Auf dem Papier sind erst ein paar Striche vorskizziert. In seiner Karikatur soll es um Syrien gehen, und um Russland, dessen diplomatische Initiative US-Luftschläge in dem Kriegsland abgewendet hat. „Es fällt mir schwer, zu solchen Themen Witze zu machen.“ Doch an diesem Tag hat sich sonst nichts angeboten.

Hühn hatte zwar recht schnell ein Bild im Sinn; Obama und Assad sollten auf einer einsamen Insel sitzen. Aber das Motiv funktionierte nicht. „Das sah total beknackt aus“, murmelt er. Also ändert er den Plan und setzt die zwei Präsidenten in ein marodes Holzboot. „Assad ist super“, sagt er, „kein Kinn, lange Nase. Obama ist auch relativ dankbar.“ Im Hintergrund zeichnet er eine rundliche Silhouette, ein riesiger Schwimmring mit dem Kopf einer Friedenstaube, am Heck eine russische Flagge.

„Jetzt hab ich die Kurve gekriegt“, sagt er. Ehe es an die Feinarbeit geht, guckt er im Internet nach Fotos, auf Google erscheint eine Galerie bunter Gummiringe und Badetiere. Hühn schließt das Fenster und beugt sich über sein halbfertiges Bild. Dann arbeitet er Strukturen in den Ring ein, den Plastikglanz, die Falten entlang der Naht. Die Farbe glänzt nass auf dem Papier. Hühn seufzt. „Bei so großen Flächen verwendet man viel Wasser. Man muss warten, bis es trocknet. Das verzögert alles.“

Er hat nicht mehr viel Zeit, bis 15.30 Uhr muss er die Arbeit an die Redaktion gemailt haben. Aber inzwischen geht es gut voran, seine Nervosität klingt allmählich ab. Er ist zufrieden, zumindest „halbwegs“, sagt er. Als Letztes schreibt er mit dem Füller seine Signatur in die Ecke. Jetzt muss er das Bild nur noch einscannen und abschicken.

Wenn die Karikatur erschienen ist, legt Hühn das Original in einer Schublade ab. Die Mutter seiner Freundin kriegt jedes Jahr ein Bild zum Geburtstag und eins zu Weihnachten geschenkt. „Sonst kommen sie in die Kiste.“ Dort sammeln sie sich, während Hühn immer neue Karikaturen zeichnet, eine pro Woche, immer dienstags, zwischen 10 am Morgen und 15.30 am Nachmittag.

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